Freitag, 29. März 2024

Große Klappe


Vielleicht fing das Problem 2012 an. Da haben sie hier nämlich die A 40 drei Monate lang vollgesperrt. Für Nicht-Ruhris ist das vielleicht erklärungsbedürftig: Die A 40, früher B 1, danach eine Zeitlang A 440, führt von Duisburg nach Dortmund und zurück. Sie ist für alle, die mit dem Auto unterwegs sind, die Aorta des Ruhrpotts. Und wer sich hier auskennt, versucht sie zu umfahren. Wer aus nördlicher Richtung kommend, gen Essen und Duisburg will, fährt noch heute reflexartig in Bochum-Riemke ab, nimmt die Abkürzung durch die Stadt und spart sich so ein paar Kilometer dieser Horrorautobahn.

Warum? Weil da quasi immer Stau war. Die offizielle Bezeichung 'Ruhrschnellweg' wich bald dem inoffiziellen Namen 'Ruhrschleichweg'. Einem Bonmot des lokalen Humorarbeiters Hennes Bender zufolge, soll man, unbestätigten Gerüchten zufolge, die Fahrbahn damals unter die stehenden Autos asphaltiert haben. Was sei ferner, fuhr er fort, daran eine Nachricht, so im Sinne von Neuigkeit', wenn es allmorgendlich im Verkehrsfunk hieß: "Auf der A 40 zwischen Bochum-Hamme und Essen-Huttrop zehn Kilometer Stau". Zu dem, was der WDR großartig "Nachrichten" nannte, sagen andere  schlicht "Alltag".

Daran hat sich, das muss man sagen, ein bisschen was geändert, denn man hat es geschafft, das Asphaltband in Teilen dreispurig auszubauen. Ein Projekt, das lange als unrealisierbar galt, fuhr man doch in Teilen Essens den Anwohnern gefühlt durchs Wohnzimmer. Außerdem würden Baumaßnahmen im großen Stil, so hieß es, den endgültigen Infarkt herbeiführen. Doch nichts dergleichen passierte. Die Bauarbeiten wurden so teminiert, dass sie in die Sommerferien fielen. Die Bahn, so wurde lange vorher angekündigt, werde knapp drei Monate vollgesperrt und dann termingerecht wieder freigegeben.

Und exakt so geschah es: Die Autofahrer stellten sich darauf ein, die Bahn wurde gesperrt und pünktlich am 1. Oktober lief der Verkehr wieder. Der Unmut hielt sich in Grenzen, das prognostizierte Chaos auch, allgemein wurde das Projekt gelobt. Erkenntnis: Mache den Menschen klare Ansagen und halte dich an deinen Teil der Abmachung, dann gibt es auch keinen Ärger. Die zuständige Projektleiterin beim Landesbetrieb Straßenbau NRW bekam sogar einen Preis für gelungenes Projektmanagement. "Mit der Strategie '3 statt 24' ist das Projekt ein äußerst erfolgreiches Beispiel, wie notwendige Infrastrukturmaßnahmen in Deutschland effizient und verkehrsschonend umgesetzt werden können", hieß es zur Begründung.

Da müssen sich aufmerksame Kollegen in diversen Stadtverwaltungen gedacht haben: Hey, die Bevölkerung hat gar kein Problem mit solchen Zumutungen, man muss das nur richtig kommunizieren. Und so machte dieses Vorgehen Schule. Zumindest teilweise.

Zum Beispiel in meiner bescheidenen Heimatstadt. Da gab man vorletztes Jahr bekannt, eines von zwei Hallenbädern solle barrierefrei umgebaut werden. Um die Einschränkungen um Badebetrieb so gering wie möglich zu halten, sollten die Maßnahmen während der Freibadsaison vorgenommen werden und das Bad im Oktober desselben Jahres wieder seine Pforten öffnen, hieß es. Alle waren es zufrieden. Leider hatte man da eines übersehen: Wenn man solche Versprechungen macht, dann sollte man den angekündigten Zeitplan auch einhalten, wie damals bei der Autobahn.

Tat man aber nicht. Nach der Bekanntgabe, man habe in de Gebäude Asbest gefunden (man stelle sich die allgemeine Überraschung vor -- Asbest in einem Bau von 1970! Also damit hätte nun wirklich NIEMAND…), ruhte die Baustelle erst einmal. Und ruhte. Und ruhte weiter. Man bat um Verständnis. Jetzt geht die Maßnahme in ihr drittes Jahr und man kündigt an, dieses Jahr sei es aber jetzt echt mal so weit. Verständnis hat inzwischen niemand mehr.

Anderes Beispiel: An der Rhein-Herne-Kanal-Brücke über die für den Verkehr ebenfalls wichtige A 42 waren Ermüdungsrisse festgestellt worden. Die nötigen Arbeiten sollten, wie verlautbart wurde, im Rahmen einer sechstägigen Vollsperrung im Dezember 2023 erledigt werden. Paar Schweißnähte, no big deal. Die Menschen stellten sich darauf ein. Hey, sechs Tage, das schafft man. Leiderleider stellte sich dann heraus, dass die Schäden doch schwerwiegender waren als gedacht und die Autobahn nun leiderleider länger gesperrt bleiben müsse, voraussichtlich bis Ende April 2024 (man stelle sich die allgemeine Überraschung vor -- eine Brücke von 1968, über die täglich 85.000 Fahrzeuge donnern! Also damit hätte nun wirklich NIEMAND...) und man bittet um Verständnis, es seien doch alle schließlich nur Menschen und jeder mache doch mal einen Fehler und Oopsie und so...

(Die liebe T., Freundin aus Studientagen, die in Oberhausen lebt und in Gelsenkirchen arbeitet, hatte nach einem Monat mit mehrstündigen Arbeitswegen den Kaffee derart auf, dass sie jetzt unter der Woche in einer Ferienwohnung in Gelsenkirchen wohnt. Kein Witz. Und da hat sich noch Glück, dass sie als Kinderlose das einfach so machen kann.)

Ich bin weiß Gott alles andere als ein Wutbürger und weit davon entfernt, Politiker pauschal für dumm, faul, inkompetent etc. zu halten. Aber eine solche Politik der großen Klappe mit nix dahinter bringt auch mich da zuweilen an Grenzen. Vor allem, wenn seitens der Verantwortlichen auf durchaus begründeten Unmut aus der Bevölkerung auch noch mit Schweigen oder patzigem Indigniertsein reagiert wird, wie das hier im Sprengel geschieht. Was mich dann zu der Frage führt, was gewisse Fachkräfte bei der Stadtverwaltung eigentlich auf diversen Fortbildungen so beigebracht kriegen.

Immerhin habe ich etwas gelernt: So wusste ich gar nicht, dass es überhaupt Ferienwohnungen in Gelsenkirchen gibt, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass jemand in Gelsenkirchen Ferien macht.







3 Kommentare :

  1. ... Verzögerungen ...
    Leider traut man sich in der Politik nicht, vom "Worst-Case" auszugehen. OK, kann ich nachvollziehen. Wenn dies allerdings kombiniert wird: Keine Ahnung von den Gewerken und auch keine Lust sich die technischen Details zu Gemüte zu führen, um wenigstens halbwegs zu wissen, um was es geht und was evtl. während der Arbeiten "aufploppt" — dann wirds meistens Schxxx. Schönes Beispiel wäre auch der Quasi-Neubau der Gorch Fock. Da hätte man besser ein paar 100.000 Euro in vernünftige Analysen gesteckt, als einfach drauflos zu bauen.
    Oder vor der Haustüre: die Baustelle A43 bei Recklinghausen — allen (zumindest denen, die sich auskannten) war klar, das bei den Brückenarbeiten mit unverdichtetem Boden zu rechnen sei, hat man ignoriert und dann während der Arbeiten festgestellt, dass man riesige Anker braucht, um das stabil zu bauen, danach wurde aus lauter Not die Wochenenden durchgebaut.

    Gruß
    Jens

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    1. Das A43-Ding kommt mir bekannt vor, nur vielleicht ne Nummer kleiner: als vor Jahrzehnten in $HEIMATSTADT ein Parkhaus an einen Hang bzw. in diesen hinein gebaut werden sollte, wurden schon beim Abriß der vorigen Bebauung (einige kleinere, ältere Häuser) und Aushub der Baugrube diverse alte Gänge, Schächte, Keller[reste] angeschnitten. Soweit nicht verwunderlich in einer Bierbrauerstadt im ländlichen Oberfranken, wo fast jeder irgendwo nen versteckten Keller hat. Beim Gießen der Anker allerdings verschwand vÖlLiG üBeRrAsChEnD ein Vielfaches des vorher gepeilten Betonvolumens im Berg, und ein vertikaler Schacht von geschätzten 140m Tiefe im Kellerboden unter einer Gründerzeitvilla hundert Meter weiter den Hang rauf hatte Wochen später nur noch 20m Tiefe und nen harten Boden. Dass nicht die Keller der Häuser hinter der benachbarten mittelalterlichen Stadtmauer mit ihren ganzen Fluchttunneln und sonstigen Pfaffenlöchern mit Beton vollliefen, war vermutlich reines Glück.
      Hätten sie mal einen der (teils ehemaligen) Anwohner gefragt … aber war halt das Prestigeprojekt der OBin (und Nobel-Architektin) damals.

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  2. Und dann wundert man sich ernsthaft, warum man bei Großprojekten "plötzlich" mit Widerstand rechnen muß und wirft den Genervten vor, daß sie den "Fortschritt" behindern...

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