Freitag, 3. Mai 2024

Shitty future

 
Natürlich ist mir bewusst, dass mein Festhalten am Bargeld eher irrational ist. Bargeldlos hat nur Vorteile, das wissen wir doch spätestens seit den Neunzigern, "als Visa in einer strunzdummen TV-Werbung klargestellt hat, dass nach einem Tauchgang im Meer nur diejenige am Strand eine neue Sonnenbrille bezahlen kann, die unterm Badeanzug eine Kreditkarte am Popo kleben hat." (Koopman) Überhaupt ist, wer noch verkeimtes Bares nutzt, doof und stinkt. Andere Länder sind da längst viel weiter und lachen sich über die rückständigen Deutschen wieder einmal einen Ast und was weiß denn ich.

Gerade der Hygieneaspekt scheint ganz gut zu verfangen bei einer Generation, die sich am liebsten drei Mal täglich ganzkörperdampfstrahlen und -desinfizieren würde. Erzählen Sie mal in entsprechender Runde, Sie würden, durchaus mit dem Segen des zuständigen Dermatologen, nicht täglich duschen, solange die Temperaturen entsprechend sind, und achten Sie auf die Gesichtsausdrücke. Wenn Sie dann noch erzählen, Sie zahlten weiter fröhlich bar, könnten Sie auch erzählen, Sie nähmen allmorgendlich ein erfrischendes Vollbad in der Jauchegrube hinterm Haus.

Dann wäre da noch der Datenschutzaspekt: Bargeld macht anonym, Bargeldlos gläsern. Ich finde nach wie vor, es geht absolut niemanden etwas an, was genau ich wann und wo gekauft habe. Und gehöre damit einer, wie es scheint, stetig schrumpfenden Minderheit von Bedenkenträgern an. Das Diktum, man habe ja schließlich nichts zu verbergen, begegnet einem da sehr häufig. Andererseits könnten gewisse Vorkommnisse der letzten Zeit ein Hinweis sein, wieso auch die AfD so vehement für das Festhalten am Bargeld eintritt.

Darum geht es mir allerdings gar nicht. Ich zahle an der Tanke auch längst mit Karte. Nach meinem Dafürhalten bin ich eh längst so nackig, dass es auf die Einkauferei auch nicht mehr ankommt. Mein Problem: Ich kaufe gern auf Vorrat, bin anfällig für Sonderangebote und ich schätze die Haptik von Bargeld, die mich zuverlässig davor bewahrt, mehr auszugeben als ich möchte (was dem Handel wiederum natürlich ganz recht wäre). Meine Erfahrung in klammen Zeiten war, dass barzahlen hilft, die Flocken zusammenzuhalten. Das prägt.

Das Argument indes, bargeldloses Zahlen sei zu abhängig von funktionierenden Stromnetzten, scheint mir immer weniger stichhaltig. Wann hat man zuletzt aus Ländern, in denen das Zahlen mit Plastik viel verbreiteter ist als bei uns, von großflächig kollabierendem elektronischen Zahlungsverkehr gehört? Sogar aus der Ukraine, deren Infrastruktur regelmäßig unter russischem Beschuss liegt, ist nichts dergleichen zu hören. Zwar hat in Großbritannien meine EC-Karte mitunter Probleme gemacht, doch dürfte das nach der Umstellung auf debit auch der Vergangenheit angehören.

Dumm nur, wenn die Funktionalität des Ganzen eigentlich gar nicht das Problem ist, sondern anderes:

"»Shitty future« wird dieser Zustand bisweilen genannt, was Dinge meint, die heute fortschrittsmäßig besser und einfacher sein könnten als früher, die sich dank proprietärer Kack-Software, privatisierter Infrastruktur und der Profitinteressen ihrer Eigentümer:innen aber in ein fragiles Anwendungselend mit der Halbwertzeit von jeweils zwei bis drei Jahren verwandelt haben." (Koopman, a.a.O.)


Und da steht man dann mit ein paar modrigen Münzen und schimmligen Scheinen in der Tasche im Zweifel besser da. Weil Bargeld hat immer noch ein unschlagbar universeller Standard ist. Noch.







2 Kommentare :

  1. "es geht absolut niemanden etwas an, was genau ich wann und wo gekauft habe."
    ... genau so ist es.
    Aus gleichem Grund verzichtet man auch gerne auf die Segnungen der Kundenkarten ...

    Gruß
    Jens

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    1. Jens: Dazu müssen wir uns einmal kurz vergegenwärtigen, welche Besonderheiten unsere Person und unser Sozialverhalten – im umfassenden Sinn – ausmachen, und wieviel davon sich bereits in Datensammlungen öffentlicher und privater Art findet.

      Dazu gehören etwa praktisch lückenlose Informationen über unseren Gesundheitszustand, unseren Körperbefund und unsere Krankheiten, weiterhin über unsere gesamten sozialen Kontakte, unser Reiseverhalten einschließlich aller Vorlieben, unsere bevorzugten Lektüren, Filme, Auto-, Kleidungs- und Gerätemarken, unsere Ernährung, Hobbies, Partnerpräferenzen, unser mediales Kommunikationsverhalten einschließlich unserer Sprachkompetenz, Lieblingsthemen und charakterlichen Schwachpunkte, die beruflichen oder außerberuflichen Kompetenzen und Interessengebiete. Die Liste ließe sich verlängern. Sie ist unschwer zusammenstellbar aus einer Auswertung von vollkommen gewöhnlichen Datensammlungen der von den Individuen autorisierten Bank-, Kreditkarten-, Reise-, Versand- und Medienunternehmen. Überdies schreiben viele auch vermutlich seit Jahrzehnten unverschlüsselte E-Mails über Server und Knotenpunkte in Australien, Nevada oder Taiwan, die jeder, der es möchte, lesen, speichern und seinerseits nach unbekannten Methoden auswerten kann. Zusätzlich laufen die "Massen" mit immer online geschalteten Mobiltelefonen herum und texten die Cloud-Welt voll mit Ihren jeweils neuesten Nachrichten über ihr Liebesleben.

      Buchtipp: "Speichern und strafen – Die Gesellschaft im Datengefängnis", Adrian Lobe, C-H-Beck 2019

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