Samstag, 12. Juli 2025

Apocalypso im Reichstag (2)


Nicht ohne Grund ist § 218 StGB schon als 'Klassenparagraph' bezeichnet worden. An der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche zeigen sich Widersprüche und Bigotterie der bürgerlichen Gesellschaft nämlich besonders deutlich: Die reiche, privilegierte Dame 'von Stand' hatte da im Zweifel kein Problem. Kündigte sich unerwünschter oder ungelegener Nachwuchs an, ging Madame halt eine Zeitlang in ein fernab gelegenes Sanatorium, zum Beispiel wegen "Nervenschwäche". Dort wurde das dann diskret erledigt. War ihre Schwangerschaft bereits publik, dann erlitt sie während der Kur -- die Nerven! -- tragischerweise eine Fehlgeburt. Über die ungewollt schwangere Proletarierin, die über solche Mittel nicht verfügte, wurde hingegen moralisch der Stab gebrochen. Triebhaft, sexuell haltlos, amoralisch. Tss, tss, kein Wunder, dass die besitzlosen Rammler nicht aus dem Muspott kommen.

Daran hat sich bis heute im Kern wenig geändert. Ginge es Abtreibungsgegnern und 'Lebensschützern' ernsthaft um den Schutz menschlichen Lebens, dann gäbe es da durchaus wirksame Mittel: kostenloser Zugang zu Verhütungsmitteln, sexuelle Aufklärung, Hilfen für alleinerziehende Mütter und kinderreiche Familien, flächendeckende kostenlose Kinderbetreuung ab kurz nach der Geburt. Also: alles dafür tun, dass keine Frau ungewollt schwanger wird und, wenn sie es doch wird, dafür sorgen, dass sie keine Angst haben muss vor der Zukunft mit einem (weiteren) Kind. Das wird gewiss nicht jede Abtreibung verhindern, aber dennoch etliche. Was es hingegen sicher verhindert, ist viel Leid.

Abtreibungen hart bestrafen zu wollen und, wie dies meist christliche 'Lebensschützer' auch gern tun, Sexualaufklärung und Verhütung ebenfalls zu verteufeln und zu bekämpfen und dann noch professionelle Kinderbetreuung als 'unnatürlich' abzulehnen, verhindert gar nichts. Überall, wo ein religiöser Rollback stattfindet, steigt die Zahl der ungewollten Schwangerschaften und der illegalen Abtreibungen, die nicht immer komplikationslos verlaufen. Gewiss, die offiziellen Abtreibungszahlen mögen zwar erheblich sinken, aber man muss dann von hohen Dunkelziffern ausgehen, da die illegalen ja nicht erfasst werden. Oder allenfalls indirekt. Sie wollen oder können nicht kapieren, dass der Sexualtrieb sich nicht wegbeten oder wegverbieten lässt und dass ihr Idealbild der christlichen Familie mit den Realitäten und Zumutungen des Kapitalismus in vielen Fällen unvereinbar ist. 

Hinzu kommt der seelische Druck betroffener Frauen, einen Ausweg finden zu müssen und sich schlimmstenfalls gezwungen zu sehen, etwas Verbotenes zu tun. Wenn man dann noch bedenkt, dass christliche Fundis wie der 'A'fD-Flügel um Trixi von Storch nicht selten auch den Sozialstaat gern weitestgehend abgeschafft sähen, was die erwähnten wirksamen Maßnahmen unmöglich machte, weiß man, dass man es mit Ideologen zu tun hat, die an pragmatischen Lösungen überhaupt nicht interessiert sind und denen das Leben nur heilig ist, solange es in einer Gebärmutter stattfindet. Was sie wollen, ist einer zivilisierten, aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts unwürdig: Eine autoritäre, vormoderne, patriarchale Klassengesellschaft, eine Herrschaft einer religiösen Elite über die Mehrheit. Und die Frage, wie mit Schwangerschaftsabbrüchen umzugehen sei, war und ist ihr entscheidender Hebel. 

Bitte den Exkurs zu entschuldigen, das Thema hier sollte eigentlich Jens Spahn sein. Der hat am Freitag wieder einmal gezeigt, dass er der momentan wohl gefährlichste Mann im Bundestag und eine echte Machtoption für die AfD ist. Drei Kandidat:innen für das Bundesverfassungsgericht, darunter die von der SPD benannte Frauke Brosius-Gersdorf, waren, wie das Verfahren es vorsieht, seit Monaten offiziell nominiert und ihre Ernennung bereits vom Wahlausschuss des Bundestages beschlossen gewesen, was deren Wahl durch das Parlament zur Formsache gemacht hätte. 

Die Wahl scheiterte, weil einige CDU-Abgeordnete angeblich kalte Füße bekommen haben in der Personalie Brosius-Gersdorf. Nicht nur hieß es, sie sei eine Linksradikale mit verfassungswidrigen Ansichten in Sachen Schwangerschaftsabbruch, nein, es tauchte urplötzlich auch ein Gutachten des nicht unumstrittenen Plagiatsjägers Stefan Weber in Bezug auf ihre Habilitationsschrift auf, von dem dieser sich aber gleich wieder distanzierte. Beides mag übrigens sein. Man kann Brosius-Gersdorfs Einlassungen problematisch finden und ihre Habil kann natürlich Plagiate enthalten. Niemand ist heilig. Nur gab es, wie gesagt, mehrere Monate Zeit, das in aller Ruhe zu prüfen, entsprechende Bedenken im Wahlausschuss anzumelden und sie im Zweifel nicht zu nominieren. Was aber wohl nicht passiert ist. 

Passiert ist statt dessen folgendes: Eine, wie parteiübergreifend zu erfahren ist, hoch angesehene und integre Verfassungsjuristin, die sich nichts hat zuschulden kommen lassen, wurde mit Dreck beworfen, mit haltlosen Unterstellungen überzogen und um für eine billige politische Intrige geopfert. Ein solches Handeln hinterfotzig und schäbig zu nennen, wäre noch deutlich zu viel der Höflichkeit. Weiterhin wurde die Institution Bundestag durch dieses unwürdige Schmierentheater schwer beschädigt. Was umso schwerer wiegt, als dass gerade der Union die 'Würde des Hauses'TM immer sehr wichtig zu sein scheint und zum Beispiel Unionsfrau Klöckner da sehr schnell pingelig wird. Drittens wurde der 'A'fD ein billiger Erfolg ermöglicht, für den sie nichts tun musste, außer sich zurückzulehnen. Man erlaubte ihr erneut, die CDU zu spalten und am Nasenring durch die Arena zu schleifen. Und schließlich ist Kanzler Merz, der sich zuvor noch klar für Brosius-Gersdorf ausgesprochen hatte, nach zirka 70 Tagen im Amt bereits angezählt, sein Image als Macher und Durchgreifer zum zweiten Mal nach seiner Wahl schwer angeknackst.


Die möglichen Ursachen haben alle eines gemeinsam: Die Schlüsselrolle, die Jens Spahn höchstwahrscheinlich gespielt hat. Sein Job als Fraktionsvorsitzender wäre es gewesen, die Mehrheit zu organisieren und seinem Kanzler den Rücken freizuhalten. Dass das beides nicht geschah, kann ebenfalls mehrere Gründe haben. Erstens: Spahn, der die drei Kandidat:innen selbst mit vorgeschlagen hatte, wusste von nichts und wurde von der Entwicklung überrascht. Das mag sein, ist aber wenig plausibel. Der Mann ist seit über 20 Jahren in der Bundespolitik und bestens vernetzt. Irgendwer redet immer irgendwo. Zweitens: Spahn ist seinen Aufgaben als Fraktionschef nicht gewachsen. Drittens: Spahn hat die Abstimmungsniederlage bewusst herbeigeführt oder zumindest wissentlich in Kauf genommen. Auch diese drei Gründe haben eines gemeinsam: In allen drei Fällen wäre er reif für den sofortigen Rücktritt. Das das nicht geschieht, hat nicht nur mit Stuhlkleberei zu tun, sondern wirft ein beunruhigendes Licht darauf, wie viel Einfluss der Mann in der Partei  offenbar hat. 

Immerhin, ein Hoffnungsschimmer:


Die Union wird offenbar gerade zerrieben zwischen ihrem törichten Unvereinbarkeitsbeschluss nach links und der löchrigen Brandmauer nach rechts. Eine solche tiefe Spaltung, wie sie sich da jetzt abzeichnet, ist in neu der Geschichte der Geschlossenheitsmaschine CDU. Die nötige Mehrheit hätte man noch am Freitag zusammenkriegen können. Dazu hätte man aber mit den Linken reden müssen, die bereit waren, Brosius-Gersdorf zu wählen. Aber: der Unvereinbarkeitsbeschluss, der vermaledeite!

Überall dort, wo bislang eine rechte Machtübernahme stattgefunden hat, stand vorn im rechten Playbook, die Gerichte zu delegitimieren und auf Linie zu bringen. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde jetzt auch hierzulande getan. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.










2 Kommentare :

  1. Dass ich das noch erleben darf: dass ausgerechnet BILD ein Arschloch zwar nicht ein Arschloch nennt, aber den Spahn eine Katastrophe. Das Ende ist nahe!

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  2. ... in Bezug auf Jens Spahn muss man aktuell schon konstatieren "mehr angezählt sein, geht eigentlich nicht."
    ... in Bezug auf die Abweichler in der CDU kann ich nur sagen "genauso mies und ängstlich und bigott für wie ich euch immer schon hielt"
    ... in Bezug auf die Sozen: "Blöd gelaufen, jetzt hattet ihr gerade eure 16 Prozent-Mini-Mitregierung recht ordentlich im gemeinsamen Regierungsprogramm untergebracht und nun sowas.
    ... in Bezug auf Verschwörungstheorien: Der schwule CDUler hat sich heimlich vorher mit der Fascholesbe abgestimmt, um eine künftige CDU-AfD Koalition vorzubereiten. (die beiden Konterfeis machen übrigens richtig gutes Kopfkino)
    Gruß Jens

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