Sonntag, 6. Juli 2025

Schmuseecke


Es gibt die nicht uncharmante Hypothese, dass es im Mainstream-Kino mittlerweile deswegen so züchtig, ja prüde zugeht, weil die filmische Darstellung sexueller Akte weitgehend an die Pornoindustrie ausgelagert worden sei, deren Hervorbringungen dank Netz inzwischen quasi frei für alle verfügbar seien. Analog könnte man sagen, in dieser Gesellschaft sei noch nie so wenig gestritten worden, seitdem handfeste Konflikte überwiegend in 'sozialen' Netzwerken stattfinden. Und so wie Pornografie nur am Rande mit Erotik zu tun hat, wird auch bei X (ex Twitter) et al. nicht wirklich gestritten im Sinne von: möge das bessere Argument gewinnen, sondern vor allem gehetzt, gepöbelt und beleidigt.

Eine bleierne Streitunlust liegt inzwischen über allem. Zwar wird auf allen Kanälen getalkt und gesabbelt und sich in coram publico in die Wolle gekriegt, dass es nur so eine Art ist, doch wirklich streiten zu wollen scheint sich, von Ausnahmen abgesehen, kaum jemand mehr. Weil das anstrengend ist und vor allem sinnlos. Man kann zum Beispiel nicht mit Aktivisten streiten, geschweige denn diskutieren, weil die nicht im Traum daran denken, dass sie vielleicht falsch liegen könnten. Es ist auch keine Debatte möglich mit welchen, die sofort persönlich beleidigt sind, auf verletzte Gefühle plädieren und über Unterdrückung und Machtmissbrauch klagen, wenn sie auf Gegenrede stoßen. Denn darum vor allem geht es: Nicht mit Argumenten überzeugen, sondern jeden echten Streit zu umgehen bzw. im Keim zu ersticken.

Interessanterweise hausen die schlimmsten Heulsusen inzwischen im konservativen bis rechten Lager. Womit sie sich durchaus treffen mit den von ihnen gern bekämpften woken Streiter:innen, die Safe spaces einfordern. Schien einst in panzerartigen grauen Anzügen steckenden Konservativen und Rechten das Wort 'HÄRTE!' auf der Stirn zu prangen und sie verkörperten Maximen wie die, dass ein echter Mann nicht weine (außer bei der Nationalhymne), Gefühle zeigen Weiberkram sei und ein Indianer keinen Schmerz kenne, wähnt man sich heute in einer Selbsthilfegruppe für Hochsensible. Andauernd werden sie, schluchz, böswillig missverstanden, verleumdet, mundtot gemacht und beleidigt, buhu! Opferrolle rückwärts. Jüngster Höhepunkt: Jens Spahn wirft den Grünen AfD-Methoden vor, weil die ihm seine Ausflüchte in der Masken-Affäre nicht abkaufen mögen. (Fürs Protokoll: Er meint jene AfD, von der er selbst noch vor kurzem sagte, sie sei eine ganz normale Partei.)

Noch schlimmer ist diese windelweiche Streitvermeidung, das Wegducken, der an Feigheit grenzende Unwille, klar Position zu beziehen, wie ich sie immer öfter bei politisch bzw. administrativ Verantwortlichen zu beobachten meine. Leuten, die Verantwortung tragen und zu deren Job es gehört, nötigenfalls Regeln durchzusetzen. 

Man kann sich einreden, ängstliches Vermeiden jeglicher klaren Kante, wie es auch Angela Merkel und Olaf Scholz zusammen fast zwanzig Jahre lang vorgeturnt haben, trüge dazu bei, die Gesellschaft zu befrieden. Tut es aber nicht. (Den parallelen Aufstieg der AfD kann man auch als Reaktion auf den Regierungsstil von Merkel und Scholz begreifen.) Wer nur laut genug und ausdauernd genug Zeter und Mordio schreit, findet immer irgendwo jemanden, der brühwarm "Butschi butschi!" sagt. Und das ist fatal. Jedes verbindlich-diplomatische Ausweichen bestärkt sie nur. Immer werden sie einem einreden, tolerant zu sein bedeute, gefälligst jeden Quatsch mitzumachen. Nein, tut es nicht. Glaubt irgendjemand, einen jener Schüler, die an der Berliner Carl-Bolle-Grundschule einen schwulen Lehrer bedroht und letztlich weggemobbt haben, hätte die rückgratlose, schmusige Nicht-Performance der Schulleitung und der Schulaufsicht irgendwie beeindruckt? Hand hoch bitte!

Es hätte hier genau eine angemessene Reaktion gegeben. Dem betreffenden Lehrer öffentlich die volle Unterstützung des Kollegiums und der Schulleitung aussprechen und den Familien der betreffenden Schüler:innen mitteilen, dass diese Schule dann wohl leider der falsche Ort für ihre Kinder sei, wenn sie ein echtes Problem mit einem homophilen Lehrer hätten. Den folgenden Aufschrei hätte man aushalten müssen.

(Natürlich dürfte es dabei nicht bleiben. Nachdem das geklärt wäre, müsste selbstverständlich Ursachenforschung betrieben und über geeignete Maßnahmen beraten werden. Man darf durchaus vermuten, dass Gründe auch strukturell bedingt, unter anderem bei Unterfinanzierung und Ignoranz der Schulverwaltung zu suchen sind. Das Beispiel Rütli-Schule hat ja gezeigt, dass man derlei Probleme in den Griff bekommen kann, die Konzepte sind da. Kostet halt nur.)

Und das ist nur ein Beispiel von vielen

"Die andre Wange jesusmäßig hinhalten / ist Quatsch mit Soße
In seine Feinde soll man Löcher machen / und zwar große." (Wiglaf Droste)


Der Klügere gäbe nach, bekommen viele als Kind beigebogen. Die Einsicht, dass wenn die Klügeren immer nachgäben, am Ende die Dummen die Herrschaft übernehmen, braucht dann leider länger. Nein, wer es immer nur vermeidet, sich mit Dummen, Rohen und Gemeinen auch mal anzulegen und Fanatikern entschieden entgegenzutreten, macht sich bloß zu deren Büttel und es trifft am Ende immer die Falschen.

Zum Beispiel Maxim Biller. Der ist, wie Ulf Poschardt, dem hier ausnahmsweise zuzustimmen ist, richtigerweise meint, "wohl der einzige jüdische Schriftsteller im deutschen Sprachraum, der sich weigert, Dinge schönzureden". Und das passt vielen nicht. Darunter durchaus welchen, die sonst bei Canapés und Weißwein nicht müde werden, 'unbequeme Stimmen' zu feiern. Angesichts seiner Kolumne 'Morbus Israel' bekam man wohl kalte Füße in der ZEIT-Redaktion und man entschied den Beitrag, der bereits in der Druckausgabe erschienen war und im Netz selbstverständlich noch zu lesen ist, wie es heißt, zu "depublizieren" (was für ein Wort!). Der Erfolg so weit? Aufmerksamkeit vervielfacht. Kompliment! Sollte es in der Gegend um Ohlsdorf und Friesenhagen in letzter Zeit vermehrt zu Bodenerschütterungen gekommen sein, dann weil Helmut Schmidt und Marion Dönhoff gewaltig in ihren Gräbern rotierten.

Es hätte auch hier exakt eine angemessene Reaktion gegeben: Den Text wieder republizieren, sich für die unbedachte Löschaktion beim Autor und den Leser:innen entschuldigen und offenlegen, wie es zu dieser fatalen Entscheidung kommen konnte. Aber dafür braucht's, leider, leider: Rückgrat. 

Weil Dinge, die man nicht lesen soll, immer doppelt interessant sind, habe ich die Kolumne, logo, gelesen. Sie ist, bei Biller nicht wirklich eine Überraschung, scharf formuliert, auf Kontroverse gebürstet und man muss gewiss nicht zustimmen. Vor allem den Satz von der "strategisch richtigen, aber unmenschlichen Hungerblockade" kann man mit Gründen brutal finden. Andererseits bringt dieser Satz ziemlich genau in wenigen Worten die fiese Tatsache auf den Punkt, dass man in der Politik zuweilen nicht die Wahl hat zwischen einer falschen und einer richtigen Entscheidung, sondern nur zwischen mehreren schlechten und man absolut nicht weiß, welche am Ende die am wenigsten schlechte ist. Menschen, die ein Faible haben für moralisches Schwarzweiß, hassen solche Gedanken.

Auch sonst ist da nichts, was einen solch absurden Akt der Selbstzensur rechtfertigen würde, im Gegenteil. Allenfalls, dass es -- O Schreck und Graus! -- tatsächlich Streit geben könnte. Zumal, und hier wird es richtig fies, der Beitrag von der Redaktion eines Blattes "depubliziert" wurde, die sich ansonsten sehr wohl traut, heiße Eisen anzupacken. Etwa wenn es um Geflüchtete geht. 2018 erschien zum Beispiel ein Pro und Contra zu der Frage, ob man Seenotrettung nicht lieber bleiben lassen solle, was darauf hinausliefe, dass übers Meer Flüchtende vermehrt ertrinken würden. Den Shitstorm entschied man durchzustehen. Kann man sich seine Gedanken zu machen.








1 Kommentar :

  1. ... der Kommentar von Herrn Biller wurde von mir und 3 weiteren linken Ü-60 Zauseln als scharfe (so im herzhaften Pepperoniebereich, die Sorte, die man auch roh ohne weiteres verzehren kann) Satire bewertet.
    Aber wie der Forist ganz richtig schrub: Hach, die eigenen Gefühle und Befindlichkeiten. Schlimm schlimm das alles.

    Ich empfehle also den "Tief Betroffenen" die Wolfgang Pohrt Biografie von Klaus Bittermann. Da steht alles schon drin.
    (696 Seiten, 36 Euro, ISBN 978-3-89320-284-3)

    Gute Besserung, Jens

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