Harald Schmidt meinte in den Neunzigern mal, in Stuttgart habe jetzt eine große Kampagne zur Stadtverschönerung begonnen. Als erste Maßnahme sei der Bettler verhaftet worden.
Der Charme Stuttgarts erschließt sich dem Reisenden nicht sofort. Liegt landschaftlich wirklich sehr schön im Talkessel. Wurde im Krieg arg zerbombt und eher geht so wieder aufgebaut. Weil man hier der Charta von Athen anhing und von der 'autogerechten Stadt' träumte, verzichtete man vielerorts auf Rekonstruktion und etliches von dem, was die Bomber übrig gelassen hatten, wurde auch noch abgeräumt. Dass Stuttgart dennoch immer wieder mal zu einer der lebenswertesten Städte Deutschlands erkoren wird, könnte also mit anderem zu tun haben. Mit der Küche vielleicht. Oder einem Lebensgefühl, dass 'schaffe' sich lohnt und tatsächlich belohnt wird. Letzteres war im Ruhrgebiet einst nicht so anders. Nur die Gegend weniger lieblich.
Mitte der Nuller war ich schon mal hier, mit einer Abordnung aus Bochum bei der IHK. Die zuständigen Funktionäre berichteten mit breiter Brust davon, wie dolle im Ländle alles so liefe, wie fleißisch 'geschafft' werde und wie proper alles sei hier. Diese Mischung aus Mitleid, Schockiertheit und blankem Befremdetsein, mit der man uns ansah, als wir von den Zuständen auf dem Arbeitsmarkt des Ruhrpotts berichteten, ist mir ebenfalls plastisch in Erinnerung geblieben. Es war keine Arroganz, wirklich nicht, nur komplettes Unverständnis, wie so was überhaupt möglich ist und wie Menschen es hinbekommen, in solch einem Biotop zu überleben.
'Schaffe' tun sie ja tatsächlich hier. Zum Beispiel am Hauptbahnhof. Seit 15 Jahren Dauerbaustelle. Der Fußweg vom Bahnsteig zum S-Bahnhof führt durch diverse Umleitungen und Tunnel und dauert gut zehn Minuten. Mit dem Etat für Ausstellungen und Informationsangebote über die segensreichen Effekte von 'Stuttgart 21', den die Bahn hier ausrollt, könnten kleinere Städte vermutlich ihr komplettes Tourismusangebot wuppen.
Apropos Tourismus: Ins Porsche-Museum sollte es gehen. Allein auf dem knapp zehnminütigen Weg mit der S-Bahn von den Resten des Hauptbahnhofs nach Zuffenhausen kommt man an den Zentralen von Mahle und Bosch vorbei. Zulieferindustrie, von der die ganze Gegend übersät sein dürfte. Wenn beim Daimler und bei Porsche dereinst vielleicht nicht das Licht ganz ausgehen sollte, aber doch deutlich kleinere Brötchen gebacken werden müssten, dann sähe es hier wirklich finster aus.
Das Museum? Ein kühner Bau, muss man sagen. Wie so oft, fand ich das Publikum mindestens so interessant wie das Exponierte. Wer glaubt, hier bei Porsches trieben sich vor allem mal Camp David-Holgis und Möchtegerns herum, sieht sich getäuscht. Gefühlt die Hälfte der Anwesenden, und derer waren nicht wenige, sprach fließend Italienisch. Ein weiteres Viertel hatte erkennbar ostasiatischen Hintergrund; und englische Muttersprachler waren ebenfalls vernehmbar.
Das Exponierte? Vor allem Autos von Porsche eben. Was auch sonst? Wer dem grundsätzlich nichts abgewinnen kann, sollte einen Bogen um den futuristischen Tempel machen, denn dann ist Langeweile programmiert. Weil ich zwar nicht zu den Ulf Poschardts dieser, hihi, Welt gehöre, mich andererseits der Faszination für solche Autos auch nicht völlig entziehen kann, haben der Weg und die moderaten 12 Euro Eintritt mich nicht gereut.
Dass nun ausgerechnet zwei der legendärsten Porsche-Rennwagen, der 906 Carrera 6 und der 935, vor allem die 'Moby Dick'-Variante, gerade fehlten (man wechselt wohl immer mal durch) und statt dessen die drölfzigste Variante des aktuellen 911ers gezeigt wurde, fand ich ärgerlich. Dafür waren der 917 und auch der 917/20 ('Sau') zu sehen. Oh, und Design können sie wirklich im Hause Porsche. Natürlich ist vieles im Zweifel Geschmackssache, aber sieht man sich aus der Nähe einen 911er aus den Neunzigern an, ein mithin 30 Jahre altes Auto und bei weitem nicht das schönste, das hier gebaut wurde (das ist der erste 928), dann steht der immer noch taufrisch da im Vergleich mit vielen anderen 30 Jahre alten Kaleschen anderer Fabrikate.
(Der oben abgebildete 959 war übrigens mal das schnellste Serienauto der Welt mit Straßenzulassung. Unter anderem Martina Navratilova, Boris Becker und Herbert von Karajan besaßen einen. Letzterer semmelte seinen gleich mal in den Graben.)
Was wünschenswert gewesen wäre? Natürlich kommen die wenigsten Leute hierher, um etwas über die Aktivitäten der Familien Porsche und Piëch während der NS-Zeit zu erfahren. Dass Ferdinand Porsche Panzer konstruiert hatte, erfährt man noch. Zwangsarbeiter? Eher nicht. Dass Ferry Porsche ab 1938 SS-Mitglied war? Kann mich nicht erinnern, kann mich aber auch täuschen.
Und mehr Geschichten wären nett gewesen. Etwa, wie sie 1969 die Zulassung für den Jahrhundertrennwagen 917 bekommen haben (die Langheck-Variante erreichte schon 1971 auf der Mulsanne in Le Mans 387 km/h). 25 Exemplare musste Porsche den FIA-Kommissaren für die Homologation hinstellen. Dummerweise hatte Chefentwickler Ferdinand Piëch Entwicklung und Bau derart Spitz auf Knopf genäht, dass die Teile nicht reichten. Also hatten längst nicht alle der vorgestellten Wagen überhaupt Motoren, in einigen sollen Antriebswellen von Traktoren und Bremsklötze aus Holz verbaut gewesen sein. Bei der Abnahme ließ Piëch ein paar der Boliden starten und die turbogeladenen Zwölfzylinder mächtig röhren. Daraufhin lotste er die strengen Prüfer zum Mittagessen, wo sie großzügig mit Speis und alkoholischem Trank bewirtet wurden und er ihnen die nötigen Unterschriften abluchste. So jedenfalls will es die Fama.
Stopp! Die Serviette hätte ich auch kostenlos mitnehmen können. Denke ich.
Und sonst so? Deutschlands Jungmenschen scheinen nicht nur in München zur Wiesn quasi kollektiv vom Trachtenfimmel besessen zu sein. In der übervollen Regionalbahn nach Stuttgart jede Menge Feiervolk, das zum Cannstatter Volksfest, a.k.a. 'Wasen' wollte. Junge Leute in Jeans und T-Shirt mit Kanne im Anschlag und meinetwegen doofem Spruch auf dem Leibchen? Kaum zu sehen. Fast alle Jungmänner trugen Lederhosen, die jungen Frauen ebenfalls Tracht, aber meist keine bayerische bzw. bayerisch angehauchte, sondern eine Art stilisierte schwäbische. Also schwarze Mieder mit Perlen besetzt.
Die ganze Atmosphäre wirkte übrigens nicht locker oder ausgelassen, sondern eher gezwungen. Alle schienen finster entschlossen, gewaltig einen draufzumachen. Als hieße es: Wir haben dieses Event gebucht und jetzt wird das auch eisern und mit maximaler Effizienz durchgezogen. Das erscheint mir aber weniger ein spezifisch schwäbisches Phänomen zu sein.
"Alle schienen finster entschlossen, gewaltig einen draufzumachen"
AntwortenLöschen... in einer mittelgroßen Stadt zwischen Düsseldorf und Köln wurde ein Oktoberfestzelt errichtet — Eintritt inkl. eine Maß und Verzehrgutschein solide 57 Euro. ... da ist man halt "finster entschlossen", wenns bei der Endabrechnung in Richtung dreistellig geht.
Gruß Jens
Dafür ist, wie man sieht, ein Mini-Porsche immerhin schon für einen erfreulich niedrigen zweistelligen Betrag zu haben! Eine gute Nachricht, wenigstens für solche älteren Herren, die das Pech haben, lediglich über ein vergleichsweise kleines Budget zu verfügen, und dazu auch noch einen bedauerlich kleinen Pimmel ihr Eigen zu nennen gezwungen sind.
LöschenPS.
Ob Besitzer übermotorisierter schwäbischer Sportwägelchen tatsächlich, wie es neidische Volksmünder*innen gelegentlich gerne unterstellen, nur unterdurchschnittlich Winziges in der Hose haben weiß ich allerdings nicht, zumindest nicht aus eigener Erfahrung. Einen Porschefahrer hatte ich noch nie im Bett.
Hier hats ja ein ungefähr zehn Nummern kleineres Benz-Museum, gefühlt ungefähr zwei Kilometer vom Benz-Wohnhaus und der Benz-Garage in Burgruinenoptik (wer schon mal „Carl Benz“ recherchiert hat, weiss jetzt, wo ich wohne). Zwecks Besuchsbespaßung war ich da so vor zehn Jahren mal drin. Wir haben uns dank einiger Traktoren und eines Benz-Motorwagens (samt Erwähnung von Berta Benz) nicht über den Fünfer Eintritt geärgert, aber das wars auch schon. Ach, und es gab pro Nase noch 50¢ Ermäßigungsbons fürs andere nennenswerte Museum am Ort (Römer, Brauchtum und Bauernmöbel), das war nett.
AntwortenLöschenZwischen den 911ern steht mit Sicherheit mindestens ein 901er - siehe Wikipedia. Eventuell ist es sogar der rote im Bild.
AntwortenLöschenTja, eine Freundin von mir - ganz normaler Mensch - fuhr einen Porsche. Mit dem Ding fuhr sie zur Arbeit, wenn ihr Mann den Familien-Kombi brauchte. Inzwischen hat sie den Oldtimer, der immer mal mit technischen Problemen daherkam, an einen Sammler verkauft, was ihr nicht wirklich leichtgefallen ist. In welche Schublade paßt sie denn nun?
"Einen Porschefahrer hatte ich noch nie im Bett."
AntwortenLöschen... kein Problem. geht auch Ex-Porsche-356-fahrter?
Gruß Jens
Nun, das 356er Modell kann man immerhin nicht als übermotorisiert bezeichnen ... ich denk drüber nach.
LöschenEs gab auch noch den 912. Sah aus wie ein 911, hatte aber statt des Sechszylinders einen Vierzylinder und war als günstiges Einsteigermodell gedacht.
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