Freitag, 10. Juni 2016

Streifzüge (1). Man viewt wieder public


Ist man es wie ich gewohnt, mehrmals in der Woche zu schwimmen und alle kürzeren Wege mit dem Rad zu erledigen und haben die Ärzte einem genau das untersagt, dann tut man gut daran, sich möglichst jeden Tag zu einem längeren Fußmarsch aufzuraffen. Anderfalls drohen schnelles und komplettes Einrosten sowie ein Platz in den Top Ten beim Jabba The Hutt-Ähnlichkeitswettbewerb. Ein paar Kilometer per pedes fördern zudem den Heilungsprozess (wegen Kreislauf) und tun insgesamt der Stimmung gut. Gestern etwa waren sie vor dem Rathaus in den letzten Zügen des Aufbaus der Public Viewing-Arena für das ab heute dräuende Wettkicken.

Dienstag, 7. Juni 2016

The Gypsum King


Einmal ist halt immer das erste Mal. So konnte mein Gerippe trotz etlicher, teils heftiger Stürze auf fast 50 bruchlose Jahre zurückblicken. Bis gestern. Stolperkante erwischt und den Landeanflug verpatzt. Erst gedacht: Nur ein Kratzer, wird schon wieder. Wurde aber nicht. Heute früh daher das volle Programm. Röntgen, CT, Diagnose, Gips. Nun ja, das Gerüst ist wohl nicht mehr so elastisch wie einst. Und so ein Handgelenk gehört zu den eher komplexeren Baugruppen im Stützapparat, wenn ich die heilkundige Frau von der Chirurgie, wo man mich verstrahlt und verputzt hat, richtig verstanden habe. Glück im Unglück: Es war ein Arbeitsunfall.

Sonntag, 5. Juni 2016

Kontinuitäten


Sieh an, dachte ich, als ich jüngst über die Kunstfigur des BWL-Studenten Justus stolperte, es gibt sie also offenbar immer noch, diese Typen, die einen reflexhaft zur Marx-Engels-Gesamtausgabe greifen lassen, und die sich kein bisschen verändert zu haben scheinen seit damals. Hauptberufliche Söhne und Töchter, deren von jeglichen materiellen Sorgen freies Leben eine einzige Party zu sein schien. Am 18. kamen sie mit geschenktem Auto zur Schule (auf dem Wagen pappte bereits vor der Zulassung ein Sylt-Aufkleber), trugen schon in den Achtzigern Kaschmirpullover locker um die Schultern geschlungen und interessierten sich ausschließlich für Dinge, die man kaufen kann, und zwar möglichst teuer.

Freitag, 3. Juni 2016

Schmähkritik des Tages


Heute: Maxim Biller über Thomas Mann

"[...] Es geht ja auch gar nicht um Thomas Mann, sondern darum, warum dieser schlechte Schriftsteller, der besser ein Parfumeur geworden wäre, heute in Deutschland so populär ist. Die Leute machen nur den zu ihrem Gott, in diesem Fall zu ihrem literarischen Gott, in dem sie sich wiedererkennen können. Und in wem erkennen sie sich da wieder? In einem karrieristischen Bürger, der vollkommen unehrlich mit seiner sexuellen Orientierung umgeht und heimlich die Juden hasst, sich aber natürlich irgendwann nicht mehr traut, das offen zu schreiben, außer in seinen Tagebüchern, und der eines Tages auch noch beschließt, nicht mehr Monarchist und Extrem-Nationalist zu sein, sondern für die Republik zu sein, der also über Nacht bei seiner politischen Orientierung völlig umschaltet und plötzlich ein Verfassungsdemokrat wird. Das ist ganz einfach die Geschichte von 90 Prozent der Deutschen nach dem Krieg. Deshalb ist er für sie ein Gott." (taz, 31.5.2016)

Dienstag, 31. Mai 2016

Antirassismus im Sonderangebot


Es ist mittlerweile Routine, und sie geht ungefähr so: AfD-Grande lässt einen grenzwertigen Spruch fahren, worauf reflexhaft allgemeine Empörung von Medien und Netzöffentlichkeit einsetzt, plus der obligatorische Shitstorm. Es folgt das große dementier- und relativier-Limbo des übrigen Parteipersonals u.a. mithilfe z.T. hanebüchener bis peinlicher Erklärungen (Missverständnis! Unterstellung! Hatter nie gesagt! Mit der Maus ausgerutscht! Boateng ist voll super!). Das ist aber egal, weil es darum, und nur darum geht, Aufmerksamkeit oben zu halten und der mehr oder minder latent rassistischen Kernklientel zu signalisieren: Bei uns seid ihr richtig. Zwinker, zwinker, wir verstehen uns.

Sonntag, 29. Mai 2016

Pussies und Mullahs


Wir sind, wie Tom W. Wolf sehr richtig bemerkte, schon arge Pussies. Während französische Gewerkschafter der Welt gerade zeigen, wie man sich gegen ein als Reform getarntes Verarmungsprogramm wehrt, heulen bei uns nicht eben wenige schon herum, wenn mal ein paar Züge ausfallen. Ei, des gehd doch ned! Mer müsse doch schaffe. Weddbewebbsfähisch bleibe. Des gehörd doch verbohde, so was! Pussies sind die Deutschen, zumindest die deutschen Männer, ja angeblich auch, weil sie kollektiv zu Weicheiern geworden sind, die jetzt, da nordafrikanische Grapscher und Antänzer in Kohortenstärke ihr Unwesen treiben bei uns, nicht mehr in der Lage sind, ihre Frauen angemessen zu verteidigen. Also rumheulen, anstatt auch mal nen Satz heiße Ohren zu verteilen. Ey, machsu meine Ische an oder was? Isch mach disch Krankenhaus!

Donnerstag, 26. Mai 2016

Zwölf Thesen zur Wahl vom Sonntag (2)


(Fortsetzung von Teil 1

7. Die bürgerliche Selbsttäuschung, so schlimm werde es schon nicht kommen, ist hochgradig gefährlich.

Man kann Georg Diez gar nicht genug zustimmen. Die bürgerliche Indifferenz, die Trägheit, die fehlende Entschlossenheit, die liberale Demokratie zu verteidigen, der vermessene Irrglaube, man könne eh nichts machen und so schlimm werde es schon nicht kommen, war im 20. Jahrhundert schon einmal fatal und droht es gerade wieder zu sein. Anders gesagt: Faschisten brauchen für ihren Aufstieg neben einer zerstrittenen, uneinigen Linken vor allem ein feiges, versagendes Bürgertum.

Dienstag, 24. Mai 2016

Zwölf Thesen zur Wahl vom Sonntag (1)


Natürlich gibt es gute Gründe, erleichtert zu sein (und ich bin es auch), dass der parteilose, aber von den Grünen unterstützte Alexander van der Bellen um Sackhaaresbreite noch österreichischer Bundespräsident geworden ist und nicht Norbert Hofer von der FPÖ. Allerdings ist die Angelegenheit zu knapp ausgegangen, als dass wirklich Grund zur Freude bestünde. Das ist eine Ansage, ein Ausrufezeichen, das allen übrigen Kräften in Europa als allerletzte Warnung dienen sollte. Wer weiß, wie die Sache ausgegangen wäre, wenn Ex-Kanzler Faymann nicht noch vor der Stichwahl zurückgetreten wäre.

Eine ganze Menge geht einem da durch den Kopf. Klar, die Sache ist ja auch ungeheuer vielschichtig. Einfache Erklärungen verbieten sich. Bruch- und Konfliktlinien, Unterschiede und Gemeinsamkeiten allerorten. Nicht weniger als zwölf mehr oder weniger zusammenhängende Thesen sind die letzten Tage so zusammengekommen bei mir. Vieles vielleicht vorläufig, ungeordnet und nicht ins Letzte ausgefeilt, teilweise vielleicht gar nicht mal sonderlich originell und überwiegend auf Österreich und Deutschland beschränkt. Work in progress eben. Man verstehe es also mehr als Selbstbedienungsladen, als gedanklichen Steinbruch. Viel zu lesen ist es allemal. Damit es keine Bleiwüste wird und nicht ganz so eitel rüberkommt, in zwei Teilen.

Freitag, 20. Mai 2016

Gewollt, nicht gekonnt (3)


Seit einiger Zeit lässt ein Saunaclub aus dem Rheinländischen aggressiv die Plakatwände dieser Gegend vollplakatieren ("Mama, was ist ein Saunaclub?" - "Da geht man hin, um zu schwitzen." - "Hä? Schwitzen ist doch voll doof. Warum geht man da extra hin?" - "Weil das gesund ist." -  „Wieso?“ - "Frag Papa."). Klar, auch dem minimalst aufgeklärten Passanten erschließt sich sofort, dass bei einem Besuch dieses Etablissements die Benutzung eines finnischen Schwitzbades zwar eine Option, aber eher zweitrangig sein dürfte. Dafür sind die Goldlettern einen Tick zu fett und zu glöööklerhaft, die beiden im Portrait abgelichteten Models (Angestellte?) einen Tick zu nuttig zurechtgemacht. Das ganze Teil atmet neureiches Ludengeprotze. Wie eine getunte Corvette C4. Oder ein Benz-Coupé mit güldnen Speichenfelgen.

Mittwoch, 18. Mai 2016

Die Quotenmänner sollen's richten


Es ist gut dokumentiert und schwer zu bestreiten, dass es in Spitzen- und Führungspositionen einen deutlichen Männerüberhang gibt. Daraus aber nun zu schließen, Männer verdienten immer und überall mehr Geld als Frauen und seien auch sonst privilegiert wie nur was, ist hanebüchener Kokolores, der auch durch jahrzehntelanges, stoisches Wiederholen nicht richtiger wird. Gereon Asmuth fällt anscheinend immer noch darauf herein, wenn er behauptet, das treffe besonders auf Berufe zu, die :