Freitag, 20. Juni 2014

Kabinenwanzen


2003 sind wir ja bekanntlich erstmals Weltmeister geworden. Genauer gesagt, die Fußball-Nationalmannschaft der Frauen. Ein kleiner Denkanstoß fürs Wochenende: Wie wären wohl die Reaktionen ausgefallen, was hätte der politische Gegner gesagt, wenn Kanzler Schröder sich damals in ähnlicher Weise zu den Damen in die Umkleide gedrängelt hätte wie das seine Nachfolgerin bei den Männern tut? Man weiß es natürlich nicht, aber ich vermute, der Vorwurf, er sei ein schlabbriger alter Saftsack, der sich nicht nur am Anblick junger, trainierter weiblicher Hardbodies ergehen, sondern das auch noch schamlos politisch ausnutzen wolle, dürfte hier und da zumindest im Raum gestanden sein. Das muss dieses berühmte Genderdings sein. Außerdem gab es damals noch so was wie einen politischen Gegner.

Die Vereinnahmung des Sports durch die Politik ist ein alter Hut. Bei Politikern ist es seit langem beliebte Praxis, sich öffentlichkeitswirksam an Fußballer heranzuwanzen, um Volksnähe zu demonstrieren, doch waren die Kabinen der Spieler eigentlich immer tabu, wenn ich mich recht entsinne. Der Dammbruch kam 1996 in Gestalt des mächtigen Oggersheimers: Der damalige Kanzler Kohl stattete nach dem Endspiel der Europameisterschaft der siegreichen, vom CDU-nahen Berti Vogts trainierten Nationalmannschaft in den Katakomben des alten Wembley-Stadions einen Besuch ab. Seinerzeit noch ohne Foto. Gab ja auch noch keine Handys mit Kameras. Kurz danach interviewte der 'Spiegel' Christian Ziege und Mehmet Scholl zur gewonnenen EM. Auf die Frage, wie es denn so gewesen sei mit Kohl in der Kabine, meinte Scholl bloß: "Eng."

Solch rotzfreche Antworten würde heute niemand mehr geben, nicht nur, weil die Kabinen vermutlich geräumiger sind als damals. Nein alles supi, war ne tolle Motivation für uns, die Angie ist echt voll locker drauf und guck mal, Poldi macht Selfie. Schön, sollen sie eben. Vielleicht werde ich ja einfach langsam alt. Überhaupt, warum sollten sie auch nicht, die Jungs? Fußball-Nationalspieler und andere gut verdienende DFB-Spitzenkräfte gehören schließlich nicht eben zu denen, die von der aktuellen Berliner Politik sonderlich viel zu fürchten hätten.

Der Fairness halber sollte man erwähnen, dass Frau Merkel mitnichten ein Monopol darauf hat, die begeisterte Stadionbesucherin zu geben und hinterher in der Umkleide ein paar warme Worte an die Jungs zu richten. Auch König Willem-Alexander der Niederlande weilte nebst Gattin beim zweiten orangenen Gruppenspiel gegen Australien im Stadion, was ebenfalls im Fernsehen zu bewundern war. Und auch Prinzessin Maxima hat die Elftal nach getaner Arbeit in der Kabine besucht. Der Unterschied ist aber, auch darauf sollte man vielleicht hinweisen, dass ein niederländisches Königspaar, im Gegensatz zu einer deutschen Bundeskanzlerin, nicht wiedergewählt werden muss, um auf dem Throne zu bleiben. Nein, Frau Merkel ist nicht die einzige, aber sie nutzt die Macht dieser Bilder am virtuosesten von allen. Ist selbstredend legitim. Irritierend nur, dass keiner was sagt. Das muss diese berühmte Postdemokratie sein.

Selbstverständlich ist die Kanzlerin nicht bloß zum Fußball gucken nach Brasilien gereist, wie käme sie dazu? Könnte ja jemand auf die Idee kommen, sie ginge privaten Vergnügungen nach. Nein, es stand ein lang geplanter wichtiger Staatsbesuch bei Präsidentin Rousseff an, die im Moment sicher nichts Wichtigeres um die Ohren hat. Der fiel nun einmal rein zufällig zusammen mit dem ersten Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft. Sicher schaut sie einfach gern Fußball, am liebsten live im Stadion. Von ihr zu verlangen, ihr Ticket selbst zu bezahlen, wäre übrigens lächerlich, weil sie als offizieller Gast der FIFA eingeladen war. Wer würde da schon nein sagen und wer will da urteilen? Es menschelt doch so schön! Und die Deutschen findens prima. Ziel erreicht.

Und vielleicht erscheint Frau Merkel auch so gern nach dem Spiel in der Kabine, weil sie sich ganz gern in Gesellschaft von elf frisch geduschten, durchtrainierten jungen Männern plus Ersatzspieler aufhält. Kann man ja sogar verstehen, irgendwie. Hat die Schwäbische HausfrauTM überdies wieder was gespart. Außerdem drängt sie sich schließlich nicht auf, sondern wird förmlich darum gebeten (wie eigentlich immer). Oder sie mag einfach nur die zwanglose, ausgelassene Stimmung, die bei einer Fußballmannschaft normalerweise herrscht, wenn sie gerade einen durchaus als stark eingeschätzten Gegner einigermaßen überzeugend zersägt hat.

Ach, was soll's, kann alles sein oder nicht. Nur ist das ganze Theater so entsetzlich bezeichnend dafür, was für eine dicke Schicht Mehltau mittlerweile über dem liegt, was von unserer Demokratie noch übrig ist. Der klägliche Oppositionsrest in Gestalt von Linken und Grünen hütet sich wohlweislich, angesichts von Merkels WM-Wahlkampf jenseits der gesetzlichen Wahlkampfkostenerstattung auch nur eine einzige kritische Frage zu stellen, weil man, wohl zu Recht, befürchtet, sich damit komplett lächerlich zu machen und am Ende als Spaßbremse dazustehen. Mutti darf das eben. Und alle parieren brav. Mutti weiß, wie man Gegner aus dem Spiel nimmt.

Apropos aus dem Spiel: Für stramm Nationale dürfte es keine Frage sein, warum die Spanier schon im zweiten Gruppenspiel so schmählich rausgeflogen sind und schon mal die Koffer packen können. Mangelnder Patriotismus natürlich, singen halt ihre Hymne nicht inbrünstig genug mit. Haben sie jetzt davon.



5 Kommentare :

  1. Kleine Erläuterung zu den spanischen Sangeskünsten:
    Tatsächlich singt da KEIN EINZIGER. Der Grund ist trivial. Die spanische Hymne hat keinen Text. Wie die SO überhaupt Weltmeister werden konnten? Schleierhaft... :-)

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    1. Man kann natürlich auch klugscheißen und sagen, dass die spanische Hymne ('Marcha Real') mal einen Text HATTE, der aber nach General Francos Abtritt abgeschafft wurde.

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    2. Ja, aber das zeigt doch nur, dass man ohne stramm national betextete Nationalhymne (und das wird der abgeschaffte Text sicher gewesen sein) abkackt. Da ist der volksgemeinschaftszersetzende Moder nur eben nicht bei den vermeintlich schlaffen, nichthymnensingenden Spielern zu suchen, sondern eine Schicht tiefer - die ganze Nation hat keine gescheite Hymne. Wie soll das funktionieren! Die Fahne hoch und alles wird gut und so...

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  2. Die Schlachtenbummler sollen Merkel auch mit Angie Angie Rufen gefeirt haben, als sie über die Brüstung gelehnt hat.
    Grüße
    Tagträumer

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