Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Freitag, 27. März 2015
Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (7)
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber wenn ich in bestimmte Situationen gerate, passiert es mir manchmal, dass mir Szenen aus Filmen und oder Comics in den Sinn kommen, die aus irgendwelchen Gründen einmal auf meiner körpereigenen Festplatte gelandet sind, weil sie einfach passen wie Arsch auf Eimer. Weil mich das, was ich da gerade erlebe, mich so daran erinnert und man das einfach nicht besser sagen kann.
In Ralf Königs modernem Klassiker 'Der bewegte Mann' zum Beispiel kommt folgende, gleichermaßen zeitlos gültige wie hochkomische Episode vor: Die Co-Hauptfigur Norbert Brommer möchte sich gemeinsam mit zwei Freunden einen schönen Abend machen und sich in einem Programmkino die Visconti-Verfilmung von 'Der Tod in Venedig' ansehen. Als die drei vor Ort ankommen, stellt sich heraus, dass es sich um ein stinknormales 08/15-Kino handelt, von dem mit Rigipsplatten ein kleines, hellhöriges Nebengelass mit winziger Leinwand fürs ambitionierte Minderheitenprogramm abgetrennt ist. Dort läuft 'Tod in Venedig', während im Hauptkino das heute völlig zu Unrecht vergessene Meisterwerk 'Ruckzuck ist die Fresse dick' von und mit Sylvester Stallone gegeben wird.
Der Visconti-Film hat gerade angefangen, als durch die Trennwand ein vernehmliches "RÜLPS" dringt. Das quittiert der genervte Brommer mit dem unsterblichen Satz: "Oh nein, sie kommen!" Und richtig - drei Gestalten, die definitiv im falschen Film gelandet sind, nehmen Platz und machen sich gleich daran, den anderen den Abend zu versauen. Es wird gequasselt, gerüplst, gefurzt, mit Chipstüten geknistert und gesoffen. Als einer irgendwann um Ruhe bittet, eskaliert die Situation und der Abend endet in einer allgemeinen Schlägerei. Moral: Es kann der Kultivierteste nicht in Frieden leben, wenn es den üblichen Verdächtigen nicht gefällt. Von Zeit zu Zeit fühle auch ich mich, als sei ich soeben in eine ganz ähnliche Situation geraten, wenngleich zum Glück meist ohne Prügel. So auch gestern Nachmittag.
Einige Lebensmittel kaufe ich, wenn möglich, in ihrer ökologisch korrekten Variante und tue dies gern im örtlichen Bioladen. Weil die Angestellten dort erfreulicherweise noch nicht zu bloßen Fließbandscannern und Kartonaufreißern konditioniert wurden, ergibt sich immer wieder einmal ein kleiner Plausch. Mag ich. Nicht nur für bessere Qualität und besseren Geschmack, auch für das Gefühl, dass Menschen gern wo arbeiten, entrichte ich gern meinen Öko-Zuschlag, so lange ich es mir eben leisten kann. Einer der dort Werkelnden hatte sich im Gespräch schon öfter als Anhänger, sagen wir, alternativer Sichtweisen auf die Geschehnisse um uns herum entpuppt. Gestern war er ganz groß in Form.
Es sei so weit, meinte er, jetzt stünde unvermeidlich und definitiv Krieg vor der Tür. Was war geschehen? Im Internet habe gestanden, fuhr er fort, François Hollande habe die Amerikaner bezichtigt, hinter dem Absturz der Germanwings-Maschine zu stecken. Aha, meinte ich, und frug, wie denn ein vermutlich willentlich zu Absturz gebrachtes, vornehmlich mit Franzosen, Spaniern und Deutschen besetztes Verkehrsflugzeug einen Casus Belli liefern könne. Das wisse er zwar nicht, entgegnete er, doch hielte er es für zweifelsfrei erwiesen, dass die Nummer ein Inside Job sei. Schließlich wollten die Amerikaner nicht nur einen Keil zwischen Europa und Russland treiben, sondern auch den dritten Weltkrieg. Warum? Na, um die Menschheit zu dezimieren. Quelle? Na Hollande natürlich! Der müsse es schließlich wissen und habe sich jetzt vor Wut verplappert.
Hm. Soso. Aha. Diskutieren? Lieber nicht. Ich packte meine Besorgungen zusammen, machte einen auf dringenden Termin und meinte zum Abschied noch, fein, wenn demnächst der große Knall käme, dann könne ich jetzt ja wieder mit dem Rauchen anfangen.
Und? Was dachte ich, als ich das Etablissement wieder verließ? Richtig, ich musste an folgenden Satz denken: Oh nein, sie kommen!
Gerade mal 48 Stunden, die Toten sind noch nicht unter der Erde, man weiß eigentlich kaum etwas, und schon formieren sich die Aluhüte, die schlauer sind als alle und es wegen ihrer total zuverlässigen Quellen besser wissen als jeder Experte. Respekt! Zwei Dinge habe ich dann aber doch bedauert: Einmal, dass ich leider keine Rolle Aluminiumfolie dabei hatte, um dem armen Mann schnell eine passende Kopfbedeckung basteln zu können. Und dann noch, dass ich so unvorbereitet in die Sache hineingeschlittert war und nicht recherchiert hatte. Zum Beispiel hier oder hier. Hätte ich dem Typen was erzählt von giftigen Organo-Phosphaten in der Kabinenluft oder von Chemtrails, ich hätte nicht nur einen Freund fürs Leben gewonnen, sondern mir auch fette Rabatte in dem Laden sichern können. Manchmal ist man aber auch zu dumm.
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