Montag, 13. Juli 2015

Eine Nacht mit Folgen


Warum leider einiges dafür spricht, dass Europa seit heute offiziell am Arsch ist

Es ist mehr ein Gefühl, und es ist kein gutes. Normalerweise neige ich so wenig zum Unken und Schwarzsehen wie dazu, hier mehr als einen Text pro Tag zu veröffentlichen. Ich versuche normalerweise immer, einer Sache irgendwie noch etwas Positives abzugewinnen. Heute hingegen, wie gesagt, beschlich mich ungewohnt intensiv ein höchst ungutes Gefühl. Als ich von der sogenannten Einigung mit Griechenland erfuhr, dachte ich spontan: Das geht nicht gut aus, das wird uns in nicht allzuferner Zeit noch bitter auf die Füße fallen. Schuldenlogik hin oder her, aber so sollten befreundete Staaten nicht miteinander umgehen.

Hätte man mir vor, sagen wir, zehn Jahren gesagt, es würde bald schon so weit kommen, wie es jetzt gekommen ist, ich hätte vermutlich den Vogel gezeigt. Klar, diese EU schien ein paar Macken und Webfehler zu haben, keine Frage, aber doch nichts, was halbwegs vernünftige, erwachsene Leute nicht gestemmt kriegen würden, oder?

Was sollte Europa einmal sein? Miteinander statt gegeneinander. Sich gemeinsam stark machen für das 21. Jahrhundert. Kultur, Zivilisation, Demokratie, die Schwachen werden unterstützt. Man schien tatsächlich gelernt zu haben, dass Auge um Auge am Ende nur Blinde hinterlässt. Man hatte nicht bedacht, dass dieses große Projekt einmal in die Hände von kleinkarierten, mediokren Krämerseelen geraten würde, denen man mangels ökonomischen Sachverstandes nicht einmal die Leitung einer Sparkassenzweigstelle in der Provinz anvertrauen würde. Der größte Fehler von Gianis Varoufakis war vermutlich, das ein wenig zu laut gesagt zu haben.

Wenn es eine unmissverständliche Lektion aus dem Sommer 1914 gibt, dann die, dass die wahre Gefahr nicht von schlechten Politikern ausgeht, sondern von mittelmäßigen. Diesen zwar top ausgebildeten, aber ungebildeten Funktionärstypen ohne Horizont und ohne echte Ideen, die immer nur funktioniert und alles richtig gemacht haben. Schlechte Politiker machen früher oder später zwangsläufig Fehler, die sie in der Regel das Amt kosten oder auf einem Pöstchen landen lassen, auf dem sie keinen Schaden mehr anrichten können. Mittelmäßige hingegen sind einerseits schlau genug, sich um jeden Preis im Amt zu halten, andererseits aber zu verbohrt, um zu merken, dass auch ihre gern behauptete Ideologiefreiheit sie keineswegs immun macht für Ideologie. Das macht sie so gefährlich.

Und als wären solche weitgehend ungehindert Schaden anrichtenden politischen Leichtgewichte nicht schon bedrohlich genug, haben wir es auch noch mit Medien zu tun, die ihre Rolle teilweise nicht mehr darin sehen, jenen Leichtgewichten in den Arm zu fallen, vierte Gewalt und so, sondern nur noch darin, ins gleiche Horn zu tuten und Regierungspropaganda zu betreiben. (Was macht eigentlich die FAZ so? Sie vermeldet frohgemut, wie rattengeil englische Fußballclubs angeblich auf blutüberströmte, eisenfressende Anführertypen 'Made in Germany' seien. Na dann ist ja alles gut.)

Man kann Wolfgang Münchau, mit dem ich weiß Gott selten genug einer Meinung bin, nur zustimmen, wenn er sagt, an diesem Wochenende im Juli 2015 sei der Euro zum Gefängnis geworden, die Europäische Idee zu Grabe getragen und gegen das nackte, brutale Recht des Stärkeren ersetzt worden. En passant seien noch siebzig Jahre Nachkriegsdiplomatie zerdeppert worden.

Weiterhin gilt es leider, endgültig die Rückkehr des Hässlichen Deutschen auf die Bühne der Weltpolitik vermelden zu müssen. Jenes großschnauzigen, notorischen Solidewirtschafters und Richtigmachers, der, mit harter Währung bewaffnet, den faulen Südländern zeigt, wo der Bartel den Most holt. Was sich 2011 bloß angedeutet hat, als Volker Kauder schnarzte, in Europa würde jetzt wieder Deutsch gesprochen, ist nunmehr vollzogen. Keine schönen Aussichten. Schauen wir uns das, was aus Europa einmal hätte werden, können, noch ein letztes Mal gut an. Wir haben vielleicht nicht mehr lang Gelegenheit dazu.

Was ist passiert? Als in Griechenland eine missliebige Regierung demokratisch gewählt wurde, hat man sie vom ersten Tag an zum Sündenbock aufgeblasen für alles, was in diesem Land seit dem verhängnisvollen Beitritt zur Eurozone falsch gelaufen ist. Nicht einmal der hartleibigste Syriza-Parteigänger hat ernsthaft bestritten, dass Fehler gemacht worden sind und sich in Griechenland etwas tun muss. Man legte Vorschläge vor, die sich durchaus auf der Höhe der ökonomischen Vernunft des Jahres 2015 bewegten. Wirtschaft ankurbeln, Schulden neu strukturieren, Investitionen, Reformen, gern mit internationaler Unterstützung. Lag alles auf dem Tisch.

Das alles aber, unter anderem ein in Frankreich ausgearbeiteter Vorschlag, wurde barsch vom selbigen gewischt. Statt dessen wurde jetzt nach dem Prinzip 'friss oder stirb' von außen ein drakonisches Sparprogramm aufoktroyiert, an dem Griechenland kein Iota mitreden durfte und das exakt jene Fehler fortsetzt, die das Land während der letzten fünf Jahre in eine Depression getrieben haben. Dieser so genannte Kompromiss ist die Quasi-Kolonisierung eines souveränen Staates, dessen Besitz auch noch verramscht werden soll. Schwer vorstellbar, dass das ohne Folgen bleiben wird. Ich will es nicht hoffen, aber es steht zu befürchten, dass auch der Schaden an der deutsch-französischen Partnerschaft, die immer der Kern Europas war, irreparabel ist. Möglich, dass diese Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2015 in die Geschichte eingehen wird. Leider wohl auf unerfreuliche Weise.

Ich wiederhole mich gern. Das wird Folgen haben. Spätestens ab heute werden in Ministerien und Think Tanks in Spanien, Italien, Portugal, aber eben auch in Frankreich, Szenarien durchgerechnet werden, wie man es erreichen kann, nicht so da zu stehen wie Griechenland heute. Es werden mögliche Allianzen geschmiedet werden, die alle darauf hinauslaufen werden, Deutschland innerhalb Europas zu isolieren. So würde ich es jedenfalls machen, wenn ich es zu sagen hätte. Vor allem in Großbritannien wird man seine Schlüsse ziehen aus den Ereignissen dieses Wochenendes.

Die Herren Böhmermann und Heufer-Umlauf haben es durchaus getroffen, wenn sie sagen, Deutschland habe die Chance gehabt, sich einmal nicht wie ein Arschloch zu benehmen. Und sie vertan, wie wir heute wissen. Vordergründig ging es um die Rettung Griechenlands. Das heißt, die Rettung der Ansprüche der Gläubiger. Und um Regime Change. Keinen Fußbreit für Syriza, kriech' zu Kreuze, Tsipras! Und es ging darum, ein Exempel zu statuieren, als Warnung. Alle übrigen Wackelkandidaten der Eurozone sollten sehen, was passiert, wenn sie es wagen, eine falsche, will heißen: linke Regierung zu wählen.

"By infantilising Greece, Germany resembles a child who closes its own eyes and thinks we can not see it. We can. The world is watching what is being done to Greece in the name of euro stability." (Suzanne Moore)

Apropos Arschloch: Wenn man ermessen möchte, wie die Merkel-Republik inzwischen in den Augen nicht weniger dasteht, ist es hilfreich, sich kurz an die eigene Schulzeit zu erinnern. Da gab es ja verschiedene Arten von Arschlöchern. So gab es in jeder Klasse einen Schlägertypen, der ein Gewaltregime führte, indem er Schwächeren auflauerte und sie verkloppte. Fieser aber war der Kredithai. Er wusste genau, du konntest nicht mit Geld umgehen. Er hatte Geld, immer. Er schleimte sich ein, wanzte sich ran, kaufte sich Zuneigung, machte auf hilfsbereit: Hey, wie wäre es mit was Süßem von der Bude? Kein Geld? Kein Problem, ich leih' dir was. Kommst du mit ins Kino? Keine Kohle? Gibst du mir einfach nächste Woche wieder, ist doch nichts dabei.

Was man nicht kapierte: Dieser Typ verlieh das Geld nicht, um zu helfen, sondern um zu herrschen, um Abhängigkeiten zu schaffen. Natürlich wusste er, wie viel Taschengeld man bekam. Daher erinnerte er einen nicht sofort ans Zurückzahlen, sondern wartete schön, bis die Schulden genug gewachsen waren. Dann präsentierte er irgendwann die Rechnung und hatte einen am Arsch.

Natürlich war er im Recht, das war ja das Perfide. Er war so im Recht, dass man kotzen mochte. Während der Schlägertyp sich noch vorsehen musste, weil das, was er tat, ja irgendwie nicht in Ordnung war, hatte der Gläubiger alles, wirklich alles auf seiner Seite: Recht und Gesetz, Sitte und Moral, Lehrer und Eltern. Alle hielten einem Gardinenpredigten und erzählten einem, wie moralisch verkommen man war, weil man seine Schulden nicht zurückzahlte. Dass Darlehensverträge mit Minderjährigen aus guten Gründen immer nichtig sind, kam nicht zu Sprache. Man sollte schließlich fürs Leben lernen. Es gab nur eines, mit dem man sich insgeheim trösten konnte: Niemand mochte den Typen wirklich.

Doch ich bin abgeschwiffen. Wie immer gilt es, auch das Positive zu sehen, denn dieses Wochenende kennt duchaus auch Gewinner. Es sind Marine Le Pen und alle anderen Rechtspopulisten, die mit einem euro- bzw. europakritischen Ticket auf Stimmenfang sind. Ihre Chancen, an die Macht zu kommen, waren nie besser. Wie es aussieht, kann man ihnen schon jetzt in Voraus zu den kommenden Wahlerfolgen gratulieren. Herzlichen Glückwunsch!



7 Kommentare :

  1. Ich raff's auch nicht und bin fassungslos - und mich kann in dieser Hölle ja eigentlich nix mehr schocken. Ich lebe ja auch mit dem zweifelhaften Ruf, alles immer nur negativ zu sehen... aber DIESE Wende jetzt...!? Alles auf Anfang!? Jede noch so geringe Hoffnung auf Griechenland und Syriza war komplett für die Katz!? Komplette Kapitulation, als sei nichts gewesen...!?

    Gut enden wird es nicht, in der Tat. Für die große Mehrheit, für die es noch nie gut endete...

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  2. Das wird garantiert Folgen haben. Mein Bauchgefühl täuscht mich selten und hier habe ich wie du absolut kein gutes. Keine Sorge. Das war kein Sieg dieses Landes, so sieht es nur aus. Sie sind zu weit gegangen. Das war zu krass. Wer auf die Tour gewinnt, bekommt bald Gegenwind, das ist immer so. Merken wir uns das Datum, irgendwas folgt daraus und ich fürchte, dass es nichts Gutes wird. Nein, das war zu derb, dem muss was nachfolgen. Wenn die Griechen am Mittwoch dem Erdrosselpaket aus nachvollziehbaren Gründen nicht zustimmen, wird es losgehen. Was auch immer...

    Das erste Mal in meinem Leben fühle ich die Ohnmacht eines Mitglieds einer Bevölkerung, deren Regenten für ihn vorhersehbar mit ihren Taten nichts Gutes hervorrufen.

    Ich neige wirklich nicht zur Hysterie, aber ich mache mir ernsthaft Sorgen...hoffentlich zu Unrecht.

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    1. Ja, ich hoffe wirklich, ich hätte unrecht, aber das ist eine Zäsur, habe ich im Urin. Vielleicht war das ja der Punkt an dem das eine Prozent es überreizt hat - man wirft nicht ungestraft alle Diplomatie und Politik zugunsten einer kruden Marktlogik über den Haufen. Die internationalen Reaktionen verheißen schon mal nix Gutes...
      @Dennis82: Ich glaube gar nicht, dass Syriza komplett für die Katz war. Ein kleines, unbedeutendes Land an der Peripherie Europas hat eine linke Regierung gewählt und per Referendum bestätigt und monatelang laufen Politik und Medien Amok. Da war echt Angst im Spiel (da wiederum hoffe ich, mich nicht zu täuschen).

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    2. Und was nützt es, wenn am Ende dabei ein Ergebnis rauskommt, welches es ohne den ganzen Zirkus auch so oder so gegeben hätte!? Das einzige Signal, welches davon ausgeht ist: TINA. Am Ende siegt immer der Kapitalfaschismus! Siehe auch die Freude eines Rajoy hinsichtlich Podemos. Es treibt nur noch mehr Menschen in die Resignation, in den Fatalismus... Naomi Klein beschreibt in ihrem Buch sehr gut, wie die Schock-Strategie funktioniert - Widerstand wird nebenbei völlig verunmöglicht!

      Ergänzend noch eine Kritik an deinem letzten Absatz - du bist offenbar trotz allem immer noch im klassischen Narrativ verhaftet, wonach es zwischen der schieren Kapitaldiktatur eines Schäuble, einer EU oder eines IWF irgend einen nennenswerten Unterschied machen würde, ob z. B. in Frankreich ein paar Sozialdemokraten vom Typ Schröder-Blair regieren oder eine LePen. Was braucht es eigentlich noch, um Risse in dieses Rechts-Mitte-Links-Narrativ zu treiben...? Die EU sorgt dafür, dass in den einzelnen Mitgliedsstaaten Menschen zu Tausenden an den Austeritätsmaßnahmen verrecken oder ins schiere Elend gestürzt werden. Die EU paktiert in Sachen Ukraine ganz offen mit brutalen Faschos. Wenn sich die neoliberale Politik offenbar gegen (EU-)"Inländer" richtet, ist es okay, kein Faschismus, nicht Rechts, irgendwie Mitte - auf jeden Fall "nicht ganz so schlimm". Kommen dann ein paar vom Schlage FN, kämen halt noch die "Ausländer" dazu. Dabei kann man den Leuten vom FN zumindest zugute halten, dass sie diese EU ablehnen (die ein Ergebnis wie das aktuelle in GRE erst ermöglicht). Der Faschismus ist längst in der Mitte angekommen - siehe auch nach Spanien mit seinen Demonstrationsverboten und verschärftem Strafrecht...!

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  3. Danke für die Worte, Stefan, mit denen ich mich komplett identifizieren kann.
    Es lässt einen fassungslos zurück, was gerade passiert.
    Die EU beginnt gerade zu sterben. Vorangegangenes Sichtum der Peripherie wurde bereits mit Aderlass begegnet.
    Aber dies ist die entgültige Aufkündigung von Solidarität, Humanismus und der Logik.
    Dies ist ein Wendepunkt - zum noch schlechteren.

    Ähnlich bestürzt auch Heiner Flassbeck in diesem hörenswerten Interview:
    https://www.youtube.com/watch?v=_opnmWVQxuQ

    Grüße, Dude

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  4. "Deutschland zu isolieren"

    Der eigentliche Verlierer heißt Deutschland , völlig richtig , aber die Deutschen hatten schon immer das Problem , zu kurzsichtig zu handeln , wegen aktueller , scheinbar großer Vorteile sieht man sich selber als für immer überlegen , die Situation der EU hat was von der der Wehrmacht im Sommer 42 , große Geländegewinne , sieht toll aus , dabei ist die Saat der Niederlage längst dabei , aufzugehen.


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  5. Europa stirbt nicht,es wird nur anders.Garantiert nicht besser.Eher Zombiemäßig.
    Jetzt hat man Deutschlands Goldgräber...äh Großkonzerne wieder ein opulentes Festmahl aufgetischt.Es geht doch nix über privatisierungen von Staatseigentum.
    Fein gemacht Hr.Schäuble.Gott,wie ich den alterstarrsinnigen Opa hasse.
    Herr Rose,sie haben ins Schwarze getroffen.
    Das nächste,was der Kerl uns auftischt ist noch schlimmer ...TTIP

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