Samstag, 15. Dezember 2018

Ist das ein Mensch oder kann das weg?


Das einzig Einfache an der Frage, wie mit Schwangerschaftsabbrüchen rechtlich umzugehen sei, ist, dass nichts daran wirklich einfach ist. Keine Frau mache sich diese Entscheidung leicht, heißt es allüberall. Das ist ein tröstlicher Gedanke, ich will das gern glauben und das mag für die Mehrheit sicher auch zutreffen. Aber eben nicht auf alle. Vielleicht bin ich auch bloß zu weichlich für diese pimmelharte Welt, aber die Eiseskälte und Rohheit, mit der ich einzelne Frauen über Abtreibungen habe reden hören, als handele es sich um eine Mandeloperation, und mit der nicht wenige der 'Mein Bauch gehört mir!'-Fraktion von jeher auftreten, hat mich schon immer abgeschreckt. Im Zusammenhang mit einem heranwachsenden Menschen von "Wegmachen lassen" zu sprechen, war da noch eine der harmloseren Äußerungen.

Ich bin kein sonderlich religiöser Mensch und meinethalben auch ein schlechter Linker, aber es wollte mir halt nie einleuchten, wieso Menschen, die sich ansonsten Humanität auf die Fahnen geschrieben haben, diese Welt zu einer besseren, menschlicheren machen wollen, die bei der kleinsten Ungleichbehandlung im Alltag, wie absurd auch immer, auf der Palme sind, die furchtlos Dritte-Welt-Kaffee schlürfen, weil ihnen das Elend kolumbianischer Kaffeebauern nahe geht, bei ungeborenem Leben so tun, als ginge es bloß um einen entzündeten Wurmfortsatz, der in die Tonne kann.

Das Dumme an der Sache ist doch: Wenn eine Frau, gewollt oder nicht, schwanger wird, ist irgendwann halt unwiderlegbar noch jemand im Spiel. Und dann wird der weibliche Körper, entgegen einem beliebten Slogan einiger Fanatikerinnen, irgendwie schon a democracy. Macht man sich bereits katholisch-(sexual)neurotischen Madonnenkitsches schuldig, wenn man darauf hinweist, dass das, was da in der schwangeren Frau heranwächst, ab einem gewissen, (noch) nicht näher bestimmbaren Punkt eben kein seelenloser Zellhaufen ist, sondern ein Mensch in der Mache mit fast allem, was so dazu gehört?

Abwegig? Moderne Medizin bekommt es inzwischen hin, einen Embryo nach 22 Schwangerschaftswochen auf die Welt zu holen und so weit zu behandeln, dass das Kind jetzt normal am Leben teilnimmt und problemlos eine Regelschule besucht. 22 Wochen. Das sind nur zehn mehr als jene zwölf Wochen, innerhalb derer nach geltendem Recht eine Schwangerschaft noch straffrei beendet werden darf. Ein Extrembeispiel? Momentan vielleicht noch, in ein paar Jahren wahrscheinlich Normalität.

Also, ab wann ist ein Zellverband ein Mensch und hat demnach Rechte? Wenn er sie artikulieren kann? Ab der Geburt? Wenn er Reflexe hat? Okay, aber wir wenden erhebliche Mittel auf, um Schwerstbehinderte und Wachkomapatienten, die auch nicht viel mehr haben als Reflexe, am Leben zu erhalten und irgendwie menschenwürdig zu pflegen. Hieße es, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, wenn man sagte, auch in solchen Fällen müsste man demnach ohne weiteres die Maschinen abdrehen?

Wenn eine studierte Medizinerin und approbierte Ärztin einen Ausspruch tätigt wie: "Ich würde einem Embryo nicht die gleiche Würde zusprechen wie einem bereits geborenen Menschen, weil er nicht die Empfindung und nicht das Gehirn dazu hat." (Originalquelle), dann gehört die Qualität der Ärzteausbildung vielleicht wirklich mal dringend auf den Prüfstand. Verständnisfrage, Frau Doktor: Ein ungeborenes Kind, das fröhlich im Leib seiner Mutter vor sich hin schwappt, wird doch bis zum Zeitpunkt seiner Geburt, also dem Verlassen des Mutterleibes, als Embryo bezeichnet, oder? Also, um es kurz zu machen: So lange es dunkel ist um das Kleine, ist umbringen erlaubt, sobald es hell wird, ist es verboten. Stimmt so, oder ist mir da was entgangen?

Noch origineller die Antwort der heilkundigen Frau auf die Nachfrage, ob sie demnach dafür sei, Abtreibungen bis kurz vor der Geburt zuzulassen: "Ich glaube nicht, dass eine Frau so spät zu mir kommen würde." Schon klar. Frauen sind qua Doppel-X-Chromosom Engel, die grundsätzlich niemals Böses tun würden. Und wenn doch einmal, dann nur, weil das Patriarchat ihnen keine andere Möglichkeit lässt. Man muss kein fanatischer Lebensschützer, sein, wenn man sich da an den Kopf greift. Ja, ich weiß, ich bin ein Mann, ein kinderloser zumal, daher habe ich qua Y-Chromosom per se kein Rederecht und sollte vielleicht einfach mal die Klappe halten (beliebte feministische Methode, lästige Diskussionen zu beenden), aber Denkfaulheit und Ignoranz triggern mich nun einmal.

Und wenn eine Ärztin bestraft wird, weil sie auf ihrer Internetseite erwähnt, sie führe Schwangerschaftsabbrüche durch, dann hat das nichts zu tun mit katholisch-talibanischem Muckertum, sondern mit geltendem Recht. Nach dem ist es illegal, Werbung für etwas Illegales zu machen. Ein Buchhändler zum Beispiel, der auf seiner Homepage erwähnte, dass er Bücher im Sortiment führt, deren Besitz und Verbreitung strafbar ist, etwa Bildbände mit nackten Knaben (der Besitz solchen Bildmaterials hat Sebastian Edathy einst vor den Kadi gebracht), bekäme ein Problem. Er könnte sich nicht damit herausreden, eine bloße Erwähnung sei schließlich noch keine Werbung.

Auch ein Schwangerschaftsabbruch ist laut § 218 eine Straftat, die aber unter bestimmten Voraussetzungen von der Strafverfolgung ausgenommen ist. (Meiner Kenntnis nach, wenn er in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft vorgenommen wird und die Schwangere bei einer Beratungsstelle vorgesprochen hat.) Deswegen ist es halt heikel, auf der Homepage einer Arztpraxis zu erwähnen, dass auch Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden.

Nota bene: Die Debatte um Abtreibung war und ist immer auch eine Klassenfrage, wie Tucholsky es schon punktgenau herausgearbeitet hat. Es war und ist hochgradig verlogen, wenn privilegierte Damen der Gesellschaft, die ihrerseits kein Problem haben und über alle Mittel verfügen, die Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft diskret als Sanatoriumsaufenthalt zu verbrämen, sich - mit voller Hose ist gut stinken - moralisch erheben über 'zuchtlose' ungewollt schwangere Proletarierinnen, denen eine inhumane Gesetzgebung nur die Wahl lässt zwischen dem potenziell für Mutter und Kind tödlichen Gang zur Engelmacherin und noch tieferem Abstieg in die Armut, weil ein weiteres Maul zu stopfen ist.

Erfahrungsgemäß löst man einen ideologisch aufgeladenen Konflikt an besten mit kühlem Pragmatismus. Das bedeutet einerseits anzuerkennen, dass es gute Gründe geben kann, eine Schwangerschaft vorzeitig zu beenden und dass ein grundsätzliches Verbot um jeden Preis und unter allen Umständen am Ende mehr Leben zerstört als es Leben rettet. Paradoxerweise kann es daher ein Akt der Menschlichkeit und ein Ausdruck von Zivilisiertheit sein, Abtreibungen unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen und sie, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, bestmöglich und ohne Gewese und Ansehen der Person durchzuführen. Andererseits kommt man schwer an der Feststellung vorbei, dass es sich bei werdendem menschlichem Leben eben auch irgendwie um menschliches Leben handelt. Daher das Beharren auf Schwangerschaftsabbruch als Straftat, auch wenn es unangenehm ist.

Einen guten Kompromiss zeichnet üblicherweise aus, dass Extremisten aller Art unzufrieden sind mit ihm. Das bei uns geltende Recht zum Schwangerschaftsabbruch finden sowohl religiöse Fanatiker als auch radikale Abtreibungsbefürworter/innen doof. Insofern tendiere ich ausnahmsweise zu der Ansicht, dass das bei uns geltende Recht vielleicht der momentan bestmögliche Kompromiss ist. Hält man weniger Abtreibungen für einen Erfolg, dann ist es auch noch erfolgreich: seit 1993 ist die Zahl kontinuierlich gesunken.

Eines aber begreife auch ich nicht: Wieso Schwangerschaftsabbrüche nicht Teil des Medizinstudiums bzw. der gynäkologischen Facharztausbildung sind. Lässt sich tatsächlich nur mit Ideologie erklären. Auf jemanden zu schießen, ist normalerweise auch verboten und allenfalls in Notwehrsituationen erlaubt bzw. straffrei. Trotzdem bringt man Polizisten das Schießen bei. Man hofft, dass sie‘s nie tun müssen, aber wenn, dann sollten sie das möglichst professionell erledigen können. Allein schon, um Schlimmeres zu verhindern. Wie gesagt: Manchmal hilft nur Pragmatismus.




3 Kommentare :

  1. Ich für mich habe festgelegt, dass ein von mir gezeugtes Kind unter keinen Umständen abgetrieben werden wird. Um dieses Leben zu retten, würde ich alles tun (natürlich im legalen Rahmen). Diese Aussage reichte übrigens, um als Extremist und Rechtsradikal abgestempelt zu werden.

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    1. Pff, ja, es gibt Leute, für die ist man schon ein Nazi, wenn man regelmäßig seinen Rasen mäht.

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  2. Ich habe bei diesem Thema, ebenso wie dem des folgendem Blogeintrags vom 19., beschlossen, dazu nichts mehr zu sagen, denken und fühlen.

    Es ist und bleibt, wie es so schön subtil auf Nordamerikanisch heisst, ein Clusterfuck und als Mensch mit dem Anspruch auf Aufgeklärtheit hat man sich mit genug Dialektik herumzuschlagen, dass es für 100 Leben reicht.

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