Dienstag, 12. März 2019

Gebt ihnen halt Globuli


Warum redet eigentlich alles immer nur über streikende Schüler? Warum reden wir nicht mal darüber, in welchem Maße der Staat, i.e. die Bundesländer Kindern und Jugendlichen ihr Recht auf Beschultwerden vorenthalten? (Zur Erinnerung: Aus der Schulpflicht resultiert umgekehrt ein Recht auf Schule.) Abertausende Stunden fallen aus, weil Lehrerstellen nicht besetzt werden können, nicht einmal mit Fachfremden und Quereinsteigern. Neuester Ausfallgrund: Impfgegner. Kein Witz. In Teilen Niedersachsens haben die Masernfälle derart zugenommen, dass eine Schule in Hildesheim alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die keine gültige Masernimpfung vorweisen können, zwei Wochen lang vom Schulbetrieb ausgeschlossen hat.

Was können lernwillige Kinder und Jugendliche eigentlich dafür, dass die Bundesländer aus verschiedenen Gründen ihrer Beschulungspflicht nicht nachkommen bzw. warum sollen die das ausbaden? Jede Wette, wenn auch nur halb so viel Bohei gemacht würde um den teilweise eklatanten Unterrichtsausfall wie um jene Minderheit Jugendlicher, die momentan darauf verzichtet, die Freitage in der Schule zu verdösen zugunsten sinnvoller Aktivitäten, es würde kaum noch eine Stunde ausfallen. Man könnte in diesem Zusammenhang daran erinnern, dass die Ganztagsbetreuung unter anderem eingeführt wurde, damit wütende Eltern nicht die Schulen stürmen, weil der Nachwuchs infolge ausgefallener Stunden mal wieder zwei Stunden eher auf der Matte steht.

Zurück zu den Impfweltmeistern. Gibt ja mittlerweile jede Menge dieser Dunning-Kruger-Opfer. Aus allen Schichten der Bevölkerung, nicht selten mit Abitur und sogar Studium, die sich sich für kompetenter halten als alle Experten und haben sich dergestalt ein eigenes Weltbild gezimmert, dass sie für professionelle Beratung quasi nicht mehr zu erreichen sind. Nicht nur Lehrer wissen von Eltern zu berichten, die sich zu großen Pädagogik- und Didaktikexperten aufspielen und jeden Elternabend zur Marathonsitzung werden lassen.

Auch Anwälte erzählen von Klienten, die sich absurde Schriftsätze aus dem Internet herunterladen, mit einem USB-Stick wedeln und meinen, das brauche jetzt bloß noch auf einen Briefbogen kopiert und mit Unterschrift versehen zu werden. Klar, wozu noch Jura studieren? Hat der Kollege, der eine kennt, die schon mal beim Bäcker in derselben Schlange stand wie ein weltberühmter, wenngleich namentlich nicht bekannter Rechtsexperte schließlich so gesagt, und der ist nun mal 100 Prozent vertrauenswürdig.

Es kann sogar passieren, dass man seine grundsätzlich ablehnende Haltung zur Homöopathie infrage zu stellen beginnt. Letztens fragte ich nämlich eine befreundete Apothekerin, wieso sie homöopathische Präparate verkaufe, wo sie doch selbst von deren völliger Wirkungslosigkeit überzeugt sei. Sie meinte, zum einem sei die Nachfrage nicht unerheblich, nähme sie den Kram aus dem Sortiment, brächte ihr das spürbare Umsatzeinbußen. Zum anderen sei es unter Umständen das kleinere Übel, Menschen bei Bagatellerkrankungen ein paar Globuli anzudrehen, bevor die sich auf eigene Faust irgendwas Heftiges einpfiffen. Das ginge ihr zwar auch gegen das Berufsethos, aber manchmal sei Pragmatimus halt besser.

Eine mir ebenfalls privat bekannte Ärztin meinte mal, es kämen immer wieder welche mit einer simplen Erkältung oder einer anderen Lappalie in die Praxis und verlangten, für sich oder ihr Kind dieses oder jenes Medikament verschrieben zu bekommen, am besten ein Antibiotikum. Einwänden von wegen, eine Erkältung ließe sich nicht medikamentös behandeln und Antibiotika seien gegen Viren wirkungslos, begegneten sie mit Anekdoten: Diese/r oder jene/r Bekannte bekäme immer dieses oder jenes Mittelchen und sobutz seien die Beschwerden weg. Außerdem hätten sie da was im Internet gelesen und überhaupt, ihr Vorgänger habe doch auch immer und wenn sie jetzt nicht, dann werde man eben den Arzt wechseln und sie würde vom Anwalt hören und so weiter.

Nun haben Ärzte normalerweise nicht nur kaum Zeit für endlose Diskussionen, sie stecken auch in einem Dilemma. Solchen Patienten Antibiotika zu verschreiben, wäre nicht nur sinnlos, sondern wegen immer weiter um sich greifender Resistenzen auch gefährlich. Darauf zu bestehen, nichts zu verschreiben, könnte dazu führen, dass solche Leute tatsächlich den Arzt wechselten und auch wen fänden, der das Gewünschte verschreibt. Oder sich von irgendwo irgendwas besorgen - das Internet macht‘s möglich.

Zumal man als Hausarzt heutzutage nicht mehr unbedingt Großverdiener ist und zusehen muss, seine Patienten möglichst zu halten. Skrupel? Nun ja, wer unbedingt verarscht werden will. Außerdem besser von einem Arzt, der dann auch sagen kann, stopp, hier kommen wir damit nicht weiter, als von einem Quacksalber. Es gibt Menschen, denen gibt man besser, was sie wollen. Und wenn man nur sagt: Wir könnten ja erst mal das hier versuchen. Es gibt Leute, denen hilft's.

Vielleicht würde ich als Arzt in solchen Fällen auch Nieswurz D 6, Hatschepsut D 4 und Rotzpopel D 12 oder was auch immer verordnen, derweil ich was von Feinstofflichkeit brummelte, von ganzheitlich oder von Selbstheilungskräften. Die Patienten wären zufrieden und erlebten vielleicht sagenhafte Heilungserfolge. Viele hören ja auch von irgendwelchen Bekannten wahre Wunderdinge über Homöopathie. Und wenn die Kügelchen mal nicht wirken, dann hätte ich immer tolle Ausreden zur Hand wie Erstverschlimmerung oder selbst schuld, weil versehentlich Koffein genascht oder eine Vorerkrankung verschwiegen.

"Wer erklärt, warum Homöopathie wirkungsloses Zuckerzeugs ist, will sich deswegen noch lange nicht bei jeder Erkältung »mit Antibiotika vollpumpen«. Wer die Vorteile von Kernkraftwerken beim Klimaschutz aufzählt, verdammt deswegen nicht unbedingt alle regenerativen Energiequellen. Und wer sich für Impfungen ausspricht, steht deswegen nicht auf »Chemie im Körper« oder ist ein Fan der Pharmaindustrie. […] Nur weil man sich für etwas ausspricht, muss man nicht automatisch das Gegenteil ablehnen und umgekehrt. Irgendwie scheint die Fähigkeit, besonnen und differenziert zu argumentieren, immer mehr verloren zu gehen." (Psiram)

Als grundsätzlich antiautoritär tickender Mensch begrüße ich es ja sehr, wenn Menschen Autoritäten und Experten gegenüber kritisch sind und nicht alles widerspruchslos hinnehmen. Es ist gut, dass es nicht mehr Argument gilt, wenn 'alle Experten sich einig sind' (weil 'alle Experten' sich schon über alles Mögliche einig waren). Ein Segen, dass die Zeiten vorbei sind, da etwa ein Chefarzt ein unanfechtbarer Halbgott war, der jeden Widerspruch als Majestätsbeleidigung einstufte (und von einem Heer ergebener Speichellecker dabei unterstützt wurde). Das ist aber etwas völlig anderes als alle Experten pauschal und a priori für unfähig/gekauft/unfähig/gefinkelt zu halten. Weil wissenschaftlicher Konsens normalerweise nicht völlig ohne Grund wissenschaftlicher Konsens ist.

Was mir hingegen nicht einleuchtet, ist, wieso man den nutzlosen Globuli-Hokuspokus bei den meisten Krankenkassen mit seinen Beiträgen mitbezahlen muss, während wirklich bewährte und wirksame Therapien wie eine Brille komplett selbst zu bezahlen sind. Liegt's vielleicht am Unterrichtsausfall?



7 Kommentare :

  1. An meinem alten Gymnasium in Ingelheim wird am Freitag auch wieder demonstriert. Die Schüler haben auch konkrete Forderungen an den Bürgermeister: mehr Bäume in der Stadt, Ausbau und Vergünstigung des ÖPNV usw. Finde ich großartig. Die Smombies sind besser als ihr Ruf.

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    1. Man begebe sich in einen beliebigen Konzertsaal der Republik und stelle fest: Die wahren Smombies gehören der Generation ü45 an.

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  2. Man begebe sich mal auf einen Kurztrip durch verschiedene Wartezimmer von niedergelassenen Ärzten. Die können ihr Illustrierten-Abo ruhig kündigen.

    Sollten noch Klimawandelleugner mitlesen, so empfehle ich, i die Region Aachen zu ziehen. Da schaut immer wieder mal ein Tornado vorbei, der dann gründlich den Feinstaub aus der Fontanelle saugt:

    http://www.spiegel.de/panorama/roetgen-mutmasslicher-tornado-fegt-durch-eifel-gemeinde-daecher-abgedeckt-a-1257730.html

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  3. Das eigentliche Antibiotika Problem sind allerdings nicht die Deppen, die bei Virus-Erkrankungen das Zeug einwerfen, sondern der massive Missbrauch in der industriellen Tiermast. Da schreckt man nicht einmal dafür zurück, die überaus wertvollen Antibiotika aus der eisernen Reserve einzusetzen, die eigentlich als letzte Verteidigungslinie bei Resistenzen dienen sollen.

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  4. Siewurdengelesen15. März 2019 um 13:33

    "Was mir hingegen nicht einleuchtet, ist, wieso man den nutzlosen Globuli-Hokuspokus bei den meisten Krankenkassen mit seinen Beiträgen mitbezahlen muss, während wirklich bewährte und wirksame Therapien wie eine Brille komplett selbst zu bezahlen sind."

    Diese Frage erschliesst sich leicht, wenn Du sie nach der in dieser Gesellschaft als Basis dienenden Frage nach dem Profit stellst. Wenn man mit scheinbar harmlosen Zuckerzeugs in der bei Homöopathie ohnehin witzlosen Dosierung zum Rattenfänger neuer Kunden wird, lohnt sich der Einsatz schon.

    Im umgekehrten Falle wie Zuzahlungen von Kassenleistungen bleibt bei den ebenfalls gesellschaftstypisch gewinn- aka profitorientierten Kassen dagegen nichts hängen und von irgendetwas müssen die wie Banken und Versicherungen schliesslich auch ihre ständig neuen Glaspaläste finanzieren. Da ist das Geld der "Kunden" doch zehnmal besser als das eigene, auch wenn das ja auch aus diesem Topf kommt...

    So ein paar Sichten dazu auf Bento, beim Tagesspiegel, Zeit und Spiegel.

    Beachte bitte dabei das frappierende Anhäufen neoliberaler Worthülsen wie Wettbewerb, innovativ und dergleichen mehr.

    Ein Zitat des Artikels in der Zeit trifft es gut:

    "Ob sich das ökonomisch auch für die Kassen rechnet – etwa, weil die Versicherten weniger andere Medikamente nehmen, kann ich nicht beurteilen", sagt Wasem, "dafür dürften bundesweit keine verlässlichen Daten vorliegen." Im Einzelfall der BKK BVU lohne es sich sehr wohl, sagt Ellen Zimmermann: Genau jene Homöopathiekunden verursachten auch sonst nur unterdurchschnittliche Kosten bei Arzneimitteln und Krankenhausaufenthalten, sagt sie. Sie seien also insgesamt die billigeren Versicherten. In etlichen Studien berichteten die Patienten zuhauf von einer Besserung ihres Zustands, erklärt der Verband der Homöopathieärzte: "Die Versorgungsforschung zeigt, dass die Homöopathie in der Praxis effektiv und kostengünstig ist."

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  5. "Was mir hingegen nicht einleuchtet, ist, wieso man den nutzlosen Globuli-Hokuspokus bei den meisten Krankenkassen mit seinen Beiträgen mitbezahlen muss, während wirklich bewährte und wirksame Therapien wie eine Brille komplett selbst zu bezahlen sind."

    Wo steckt der Fehler? Bei einer Brille handelt es sich um eine Sehhilfe und nicht um eine Therapie. Mit einer Brille wird die Sehfähigkeit nicht wieder hergestellt, sondern oft verschlechtert sie sich sogar. Das aber nur nebenbei!

    Eine andere Überlegung: Wenn die Globuli nicht von den Krankenkassen mitfinanziert würden, hier in Frankreich kosten die im Schnitt 1,83 Euro, würden dann hier weniger zahnlose Menschen rumlaufen. Ich vermute mal nicht!

    Für mich sind das Nebenschauplätze die davon ablenken sollen, dass der sog. Gesundheitsmarkt, inzwischen der Markt ist, der die besten Wachstumsprognosen für die Zukunft abwirft und das noch vor der verwöhnten Automobilindustrie.

    Hier ein Bericht aus der Schweiz:

    "Allein in der Schweiz erhalten jedes Jahr rund 40'000 Personen die Diagnose Krebs. Dafür müssen alle Prämienzahlenden tief in die Tasche greifen: Krebspräparate kosten in der Schweiz bis über das 80-fache ihrer Herstellungskosten. Das rechnete jedenfalls das öffentlich-rechtliche Westschweizer Radio RTS in seiner Sendung «Mise au Point» vor."
    https://www.infosperber.ch/Artikel/Gesundheit/Krebsmedikamente-Die-unglaublichen-Margen-der-Pharmaindustrie

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