Samstag, 6. Februar 2021

Banane unvollendet

 
Wenn es einen hiesigen Literaten gibt, auf den das abgegriffene Attribut 'verkannt' vollumfänglich zutrifft, dann ist es der 2016 verstorbene Wolfgang Welt. Er pflegte einen Briefwechsel mit Peter Handke und seine Bücher wurden bei Suhrkamp verlegt, doch konnte er vom Bücherschreiben nie leben. Von einer schweren psychischen Erkrankung aus der Bahn geworfen und aufgequollen von den Medikamenten, hielt er sich den Rest seines Lebens als Nachtwächter über Wasser, davon die letzten 25 Jahre im Bochumer Schauspielhaus. Diverse prominente Kollegen am Theater, darunter Leander Haußmann, wussten um sein Schreibtalent, konnten ihm aber auch nicht wirklich helfen. Ein Unvollendeter (noch so einer aus der Mottenkiste des Feuilletonschreibens).

"Der Wolfgang ist schon ganz schön banane." (Christoph Biermann)

Angefangen hatte Welt als Musikkritiker beim einstigen Stadtmagazin 'Marabo' und bald schrieb er auch für 'MusikExpress/Sounds'. Seine radikal subjektiven, doch mit viel Sachkenntnis fundierten Kritiken haben ihm einige noch lange übel genommen. Sein ausgeprägter Instinkt ließ ihn im seinerzeit debütierenden Heinz Rudolf Kunze den drögen Oberlehrer und in Peter Maffay den als Rocker verkappten Schlagerfuzzi erkennen. Lemmy, Eddie und Phil von Motörhead, die er Anfang der Achtziger ein paar Tage auf Tour begleitete, erlebte er als drei nette, bodenständige Jungs, die gern einen draufmachten, immer freundlich zu ihren Fans waren, keinen zum Mitsaufen nötigten und schreckliche Musik machten.

Legendär auch sein Auftritt bei der Pressekonferenz nach einem Konzert von Helen Schneider im eigens dafür entstuhlten Essener Saalbau. Er sah bzw. hörte durchaus, dass da eine eigentlich begabte Sängerin gegen ihre Möglichkeiten als wilde Rockröhre vermarktet wurde und eine weitgehend überforderte Begleitband an die Seite bekommen hatte. Aber Flop bleibt nun mal Flop. Und so meinte er, anstatt artig Fragen zu stellen: "Miss Schneider, you have just destroyed six of my favourite songs." Woraufhin man ihn des Saales verwies.

Einige traf Welts Bannstrahl mit Verzögerung. Wenn welche die Schwelle zur Peinlichkeit überschritten, wofür er ebenfalls einen untrüglichen Instinkt hatte, lief er zur Hochform auf. Hatte er dem Debütalbum des Mitbochumers Herbert Grönemeyer noch hoffnungsvolle Ansätze attestiert, hoffte er inständig, sein zweites Album möge bitte auch sein letztes sein. Es kam anders. Der Erfolg von BAP war ihm unbegreiflich, friedensbewegtes Haltungsgeschrammel a’la bots ein Graus. Endgültig keinen Spaß verstand er bei Marius Müller-Westernhagen. Den fand er auf seinen ersten Alben noch recht originell, durchschaute aber bald, dass sich hinter der Fassade des rotzigen Rock-Rebellen ein nach unten tretender Spießer verbarg und hielt sich nicht zurück:

"Wenn so ein musikalisch armseliges Würstchen große Teile der Jugend hinter sich bringen kann, wirft das ein deutlich erschreckendes Bild auf den Zustand der Rockmusik in der Bundesrepublik und ihrer Zuhörer."

Westernhagens 'Von drüben' bezeichnete er als den "gehässigsten Song, den die an Geschmacklosigkeiten wahrlich nicht arme Szene in den letzten 25 Jahren hervorgebracht hat.", und resümierte: "Dieses Stück Scheiße ist an Erbärmlichkeit nicht zu übertreffen und dürfte im Auftrag von Axel Cäsar Springer entstanden sein."

So heftig Welt hassen konnte, so aufrichtig konnte er verehren. Buddy Holly war für ihn der Allergrößte und Stevie Wonder eines der größten Genies der Musikgeschichte. Sogar für die deutschen Schlagermädchen der Sechziger wie Gitte oder Wencke Myhre fand er differenzierte, teils versöhnliche Worte.

Liest man seine Kritiken heute, nach zirka 40 Jahren wieder, dann fällt einiges auf. Große Polemik (man sieht sich förmlich als Jungmensch der neuen 'Marabo' entgegenfiebern, um zu sehen, was der Wolfgang dieses Mal wieder raushaut) wechselt sich ab mit Anfällen von Schülerzeitungsdeutsch. Aber das stört nicht weiter. 

Vor allem waren Welt musikalische Schubladen vollkommen egal. Natürlich nahm er wahr, dass etwas zum Genre New Wave, Soul, Heavy Metal Rock’n’Roll oder was auch immer gehörte oder auch nicht, aber das war nicht wichtig. Und damit war er, der seinen Bochumer Mikrokosmos Zeit seines Lebens nie wirklich verlassen hatte, weit weniger oberflächlich als zahlreiche seiner Epigonen. Etwa jene ehemaligen Punk-Fanzineschreiber, die wenig mehr konnten als reflexhaft alles in die Tonne treten, was mehr als drei Akkorde hatte.

Schön und verdienstvoll ist es daher, dass Wolfgang Welts gesammelte Musikkritiken nun unter dem Titel 'Kein Schlaf bis Hammersmith' in einem dicken, doch erschwinglichen, von Martin Willems herausgegebenen Band zusammengefasst sind. Ein großes Vergnügen, nicht nur für Musikaffine. Wie befand Frank Goosen, in Anlehnung an Kinky Friedman: "They ain’t making writers like Wolfgang anymore."



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Wolfgang Welt: Kein Schlaf bis Hammersmith und andere Musiktexte. Herausgegeben von Martin Willems. Meine, Verlag Andreas Reiffer 2020, 363 S., 20,00 €.






7 Kommentare :

  1. Die Welt ist klein. Neben dem Schauspielhaus liegt die Künstlerkneipe Jago, deren Pächter damals Leute aus meiner Verwandschaft waren. Mein Sohn ging ebenfalls auf das Lessing-Gymnasium in Bo.-Langendreer, wie W.W. Hab selber nie was von ihm gelesen. Seine Kritiken oben über Maffey, Kunze, BAP und Grönemeyer könnte ich heute noch unterschreiben.

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  2. Die Rezension klingt so witzig, ich dachte erst, den Welt gibt's gar nicht.

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    1. Es gab ihn. Meine Leseempfehlung hat übrigens einen gewissen Befehlscharakter.
      @altautonomer: Ja, vieles von ihm ist gut gealtert. Überhaupt, die Zeiten, da der Ruhrpott noch ein kultureller Hotspot war. Schönes Wortspiel nebenbei.

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  3. … yepp — hatte vor ein paar jahren was über den "komischen Typen" der als Nachtwächter arbeitete gelesen — und jetzt hier ... er hatte seine "berühmten paar Jahre" wirklich eine irrlichternde Persönlichkeit — danke für die Erinnerung! (als der liebe Gott das Wort "verkanntes grundehriches Genie" erfand, hatte er Wolfgangs Gesicht vor Augen.

    Gruß
    Jens

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  4. ... OK - habe mir "kein Schlaf bid Hammersmith" und Frank Goosens "Sweet Dreams" gestern in einer Solinger Buchhandlung gekauft - Danke nochmal.

    Gruß
    Jens

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