Montag, 6. Februar 2023

Schmähkritik des Tages (64)


Heute: Bernd Rheinberg über die Lebenslüge Russlands

"Russlands Selbstbewusstsein als Imperium, das auf dem Triumph über den Nationalsozialismus, dem Drachentöter-Nimbus gegen Hitler, dem Geschichtsbild der unbesiegbaren Nation gründet und gerade wieder bei den Stalingrad-Feierlichkeiten und auch jeden 9. Mai, dem »Tag des Sieges«, aufgerufen wird, ist eine Lebenslüge. Zwar hat die Sowjetunion unter immensen Opfern und Verlusten (rund 13 Mio. Soldatinnen und Soldaten) mit den anderen Alliierten tatsächlich das Dritte Reich niedergerungen. Aber der Roten Armee wäre das niemals gelungen ohne die Unterstützung der USA. Und diese Unterstützung war gewaltig. [...]

Die Sowjetunion erhielt bis zum Kriegsende aus den USA ca. 400.000 Jeeps und LKWs, 13.000 Lokomotiven und Güterwaggons, 90 Frachtschiffe, 4.000 Bomber, 14.795 Flugzeuge und über 7.000 Panzer. Und das war noch nicht alles. Hinzu kamen noch über 8.000 Flakgeschütze, 131.000 Maschinengewehre, 105 U-Boot-Jäger, 197 Torpedoboote, hunderttausende Feldtelefone und über 15 Mio. Paar Stiefel. Aber der größte Teil der Hilfslieferungen bestand nicht aus Waffen, sondern aus Rohstoffen, Stahl, Schienen, Lebensmitteln, Maschinen, Chemikalien und vor allem aus Treibstoffen. Ohne die Treibstoffe wären die meisten der sowjetischen Flugzeuge am Boden geblieben. Und auch das soll nicht unterschlagen werden: Aus Großbritannien und Kanada wurden zusätzlich noch weitere Zigtausend Panzer und Flugzeuge für die Rote Armee zur Verfügung gestellt." (salonkolumnisten, 4. Februar 2023)

Anmerkung: Der schiere Umfang des Leih- und Pachtgesetzes, das von 1941 bis 1945 in Kraft war, wird gern unterschätzt. Bevor jetzt jemand sagt, jaja, die feinen Westalliierten -- haben halt was Kriegsgerät und Treibstoff geliefert und ansonsten satt und feist zugeschaut, wie die sowjetische Bevölkerung und die Rote Armee von der deutschen Vernichtungskriegsmaschinerie dezimiert wurden, bevor man sich 1944 mal zu einem D-Day bequemte, sollte zwei Dinge bedenken: Wenn die Westalliierten schon 1941ff. die Marginalisierung, wenn nicht Vernichtung der Sowjetunion betrieben, wieso dann die riesigen Hilfslieferungen? Und zweitens sollte man bedenken, dass der Kram ja irgendwie dorthin kommen musste.

Zu etwa einem Viertel geschah das auf dem Seeweg mit Geleitzügen über die Nordroute von Island durch die Barentssee. Die lag aber in Reichweite in Nordnorwegen stationierter deutscher Kampfflieger, Kriegsschiffe und U-Boote. So gingen zwischen Juni und September 1942 bei den Geleitzügen PQ 17, PQ 18 und QP 14 43 Schiffe verloren. Insgesamt wurden bei den Nordmeergeleitzügen 13 Kriegs- und 89 Handelsschiffe versenkt. Daraufhin nutzten die Alliierten verstärkt sicherere Routen über den Südatlantik und den Persischen Korridor. Der musste aber erst freigekämpft und gesichert werden. Unter anderem von den Briten. Opfer, über die kaum geredet wird.

Von der anderen Lebenslüge, Russland gleichzusetzen mit der Sowjetunion nämlich, war noch nicht einmal die Rede.






8 Kommentare :

  1. Mein Schwiegervater war zweiter Steuermann, für seine Mutter war er Kapitän, für mich auch. Eine Lebenslüge auf die seine Mutter Stolz war. 1941 war die Sowjetunion so gut wie vernichtet. Sie stellte für die USA überhaupt keine Gefahr dar. Die Hauptfeinde waren Deutschland, Italien und Japan, welche es zu vernichten galt. Das änderte sich nach 1945 aber schnell. Ich frage mich was der Beitrag sagen will. Der verlinkte Wikipedia Beitrag zum Leih- und Pachtgesetz sagt doch alles, schon der erste Satz. In der Politik dienen Erinnern und Vergessen zur Bildung von Werten und wenn man einen Krieg legitimieren will, muss man die Prämissen entsprechend wählen.


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    1. Vllt. mal damit wir uns besser verstehen:
      1. D-Land hat 1939ff. und vor allem 1941ff. mit den Vernichtungskampagnen angefangen.
      2. D-Land hat 1941 den USA den Krieg erklärt.
      3. Die "Vernichtung" durch die USA schien nicht so nachhaltig gewesen zu sein, zumindest in D-Land West, denn ca. 10 Jahre nach Kriegsende war man wieder eine der stärksten Volxwirtschaften der Welt (klar, man wurde als Frontstaat im Kalten Krieg gebraucht).

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  2. Ich stimme Henry zu und sehe Parallelen zum momentanen Ukraine-Krieg. Wieder lassen die USA einen Stellvertreterkrieg führen, verstecken sich hintere dem Nato-Verbot der personellen Einmischung (Soldaten) und pumpen die Urkaine voll mit Waffen und anderem Gedöns.

    Die massive materielle Unterstützung der Sowjetunion nach 1941 durch die Amis war mir bisher unbekannt. Das Zögeren der USA, sich unmittelbar in das Kriegsgeschehen einzumischen, ist aber dann doch erst 1944 beendet worden, als sich die Gefahr abzeichnete, dass "der Russe" bis zum Rhein vordringen könnte.

    Mir drängt sich dabei die Frage auf, über die seit Jahren diskutiert wird: Warum wurde Auschwitz oder die dahin führenden Bahnlinien nicht frühzeitig von den USA bombardiert?

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    1. Die Sowjetunion hat aucb Stellvertreterkriege geführt. Jede nicht-diktatorische Großmacht (die es sich mit der Bevölkerung weniger verscherzen darf), die ihre überseeischen Interessen durchsetzen wil und technisch wie materiell in der Lage ist, wird sich nach Möglichkeit nicht selbst die Hände schmutzig machen. Kann man verwerflich finden, ist aber wohl eine weltpolitische Konstante.
      Zur Frage nach dem Nicht-Bombardieren von Auschwitz vgl. hier.

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  3. Vielleicht helfen ein paar Fakten:

    1. Deutschland erklärte den USA am 11.12.1941 den Krieg, vorher gab es für die Amerikaner keinen Grund, in Europa einzugreifen. Der Angriffskrieg der Wehrmacht gegen die UdSSR begann aber schon am 22.6.1941. Daher zunächst nur die materielle Unterstützung.

    2. Nach dem Überfall Japans auf die US-Pazifikflotte am 7.12.1941 ging es den Vereinigten Staaten vorrangig darum, den Krieg gegen Japan zu führen, da ihre Westküste bedroht war.

    3. Mit der alliierten Invasion Siziliens 1943 begann der amerikanische Einsatz in Europa, nicht 1944. 1943 war die Rote Armee noch tausende Kilometer vom Rhein entfernt.

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  4. P.S.: In Nordafrika kämpfen US-Truppen ab November 1942 gegen die Deutschen.

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