Mittwoch, 29. November 2023

Der Scheinsieger

 
Glaubt man diversen hiesigen Medien, dann hat Friedrich Merz mit seiner gestrigen Rede im Bundestag, in der er unter anderem Olaf Scholz Regierungsfähigkeit absprach, der 'Ampel', deren Beliebtheitswerte sich inzwischen denen von Enkeltrickbetrügern und Hämorrhoiden annähern, einen echten Wirkungstreffer versetzt. Und der Tenor so: Das war’s jetzt endlich mit der Ampel! Das hat gesessen! Bald ist die Chaostruppe weg, davon erholen die sich endgültig nicht mehr! Merz hats ihnen so richtig gegeben, yes!!! Entschuldigung, geht es vielleicht noch ein wenig oberflächlicher? Inzwischen erscheint mir weit realistischer, es in größeren Teilen der Medien nicht mit Gesinnungs-, sondern eher mit reinem Stimmungsjournalismus zu tun zu haben.

Ich denke eher, wir haben miterlebt, wie das One Trick Pony Friedrich Merz die endgültige Bankrotterklärung der CDU als ernstzunehmende bürgerliche Partei unterschrieben hat. Pardon, streng genommen ist Merz ein Two Trick Pony. Erstens beherrscht er es wie kein zweiter, den kinnmuskelspannenden, eisenharten Macher zu geben, sodass autoritären Zwangscharakteren vor Wonne die Hose aufgeht. Zweitens ist der Mann offenbar komplett unfähig zu strategischem Denken und besitzt auch keinerlei Impulskontrolle. Mit seinem Rumpelstilzchen-Auftritt im Bundestag hat er sich allenfalls zum Scheinsieger aufgeblasen.

Sicher, wenn man höflich ist, könnte man sagen, Merz habe die Ära Merkel mit ihrer Sozial- und Klimaspinnerei sowie den Haushaltstricks des Finanzministers (von denen natürlich weder die CDU-Minister noch die Kanzlerin irgendetwas gewusst haben) endgültig begraben. Dass ihm als einzige konkrete Vorschläge für die 'Ampel' einfielen, beim Bürgergeld und der Kindergrundsicherung zu kürzen, offenbart bloß einmal mehr, wie der Mann tickt (als ob das noch jemanden überraschte). Und dass er weitere Verfassungsklagen gegen den Bundeshaushalt angekündigt hat, lässt Zweifel aufkommen, ob er sich im Klaren ist, dass er sich damit bei seiner angestrebten künftigen Kanzlerschaft selbst finanzielle Spielräume beschneidet.

Lässt man sich von der Polter-Rhetorik nicht blenden, kann man zu der Erkenntnis gelangen, dass Merz die CDU keine zwei Jahre vor der nächsten Bundestagswahl in eine Sackgasse historischen Ausmaßes geführt hat. Weil er unnötig Brücken eingerissen hat, die er wahrscheinlich noch dringend brauchen wird, steht er fürs Erste ziemlich blank da. Denn wenn es nicht zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, 2025 die Karten nicht komplett neu gemischt werden, die Mehrheitsverhältnisse also ungefähr so bleiben sollten wie sie jetzt sind und man davon ausgeht, dass die CDU vor der AfD stärkste Partei wird, was wären dann die konkreten Optionen für eine CDU-geführte Regierung?

Eine Wiederauflage der großen Koalition? Dazu müsste es gemeinsam mit der momentan bei so was um die 15 Prozent dümpelnden SPD erst einmal reichen. Wird es aber wohl nicht, auch wenn es gelönge, die Spezialdemokraten noch einmal in 'staatspolitische Verantwortung' hineinzuquatschen. Solange aber eine minimale rechnerische Chance auf eine CDU-geführte GroKo besteht, sollte man zumindest das eine oder andere dezente Signal in Richtung Kooperation senden. Was Merz konsequent unterließ und lieber polterte.

Selbst wenn die SPD sich breitschlagen ließe, bräuchte es höchstwahrscheinlich einen dritten Koalitionspartner. Und wer wäre das? Die FDP? Auch wenn Lindner noch einmal einen Lambsdorff-Move hinbekommen sollte, im Moment fallen die Schleimgelben als Mehrheitsbeschaffer quasi aus, da sie knapp über der Fünfprozenthürde rumkrebsen.

Die Grünen? Die von Merz als "Hauptgegner" markiert wurden, denen er alle erdenklichen Türen zugeschlagen hat und die er nicht müde wird, als Haufen ökosozialistischer Versager hinzustellen, die die Planwirtschaft einführen und den Menschen die hart erarbeiteten Gasheizungen aus dem Keller klauen wollen, damit doofe Wutbürger einen Sündenbock haben? Netter Versuch. Das dürfte sogar die beträchtlichen Fähigkeiten der Grünen, Kröten zu schlucken, überfordern. Natürlich hat Merz Gründe, die Grünen am härtesten anzugehen, denn die stellen in den Städten mehr und mehr jene 'bürgerliche Mitte', die der CDU dort abhanden kommt. Ob das aber klug ist, das ist wieder eine andere Frage.

Zumal es eh fraglich ist, ob die im "Generalverschiss" befindlichen Grünen ausreichend Stimmen zusammen bekommen. Vor allem, wenn man bedenkt, dass deren Basis inzwischen immer unruhiger wird.

Gehen wir weiterhin davon aus, dass die Linke bei einer künftigen Regierungsfindung keine Rolle spielen wird, bliebe eigentlich nur:

Die AfD.

Nur ist die zwar in vieler Hinsicht kritisierens- bis zutiefst ablehnenswert, aber ich wette, die sind schlau genug, 2025 noch nicht auf Bundesebene in eine Koalition mit der CDU einzutreten. Erstens denke ich, die CDU ist (noch) nicht so weit, eine CDU-/AfD-Koalition im Bundestag könnte die Partei an den Rand der Spaltung bringen. Um das zu verhindern, müsste Merz über diplomatisches Geschick und eine konziliantere Art verfügen. Beides ist nicht der Fall.

Wie gesagt, bei der AfD sind sie nicht dumm. Die wissen ganz genau, dass sie in den 'sozialen' Medien den Diskurs bestimmen, aber keine Antworten haben. Nicht auf Fragen wie die, wo denn die ganzen Arbeitskräfte herkommen sollen, wenn man "Grenzen dicht!" und "Ausländer raus!" krakeelt. Wo das Geld für dringend nötige Investitionen in Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung etc. herkommen soll. Und natürlich wissen sie, dass Klimaschutz auf internationalen Verträgen beruht, die sich nicht ohne weiteres brechen lassen. Solange Trump nicht US-Präsident wird, was die EU ins Chaos stürzen könnte, und noch ein paar weitere EU-Länder rechts regiert werden, wäre es wohl noch zu heikel, sich in einer Regierungsbeteiligung unnötig zu verschleißen.

Zumal man bei der AfD ebenfalls wissen dürfte, dass man keine Option hat wie in Italien, wo zwei rechte Parteien regieren und Georgia Meloni (FdI) die rhetorische Drecksarbeit ihrem Vize Matteo Salvini (Lega) überlassen, sich selbst dagegen als patente, pragmatische, mehrheitsfähige Landesmutter inszenieren kann. Ferner dürfte man sich bei der AfD bewusst sein, das man noch nicht so weit ist wie Marine Le Pen, die etliche Jahre Vorsprung hat dabei, die RN in die gesellschaftliche Mitte zu bugsieren.

Dann wäre noch die Frage, ob der Bundespräsident, der auch 2025 noch Frank-Walter Steinmeier hieße, bereit wäre, eine Regierung zu ernennen, die zum Teil aus einer Partei besteht, an deren Verfassungstreue es berechtigte Zweifel gibt. Weil gegen sie ein Verbotsverfahren diskutiert wird und von der inzwischen zwei Landesverbände vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Steinmeier könnte die Regierungsbildung zu einer langen Hängepartie machen, während der die 'Ampel' kommissarisch weiterregierte.

Bliebe eine von AfD tolerierte Minderheitsregierung aus CDU und eventuell FDP. Das brächte die AfD in die Pole Position: Die Mühen der politischen Ebene blieben ihr erspart, sie könnte weiterhin maximalen Schaden anrichten und ihr bewährtes Narrativ stricken von den aufrechten Widerständlern, die den 'Altparteien' bzw. dem 'Establishment' einheizen. Und könnte in Kommunen und Bundesländern geräuschlos Parteigänger in Regierungs-, Richter- und Verwaltungsposten hieven. Auf Bundesebene wäre Merz der Hampelmann, den die Blaubraunen bei jeder Gelegenheit am langen Arm verhungern lassen könnten. Wahrlich, so sehen Sieger aus!

Wie gesagt, das muss nicht so kommen. Vielleicht werden Rechte wie in Polen ja wieder abgewählt, vielleicht bleibt Joe Biden im Weißen Haus und hält noch vier Jahre durch, vielleicht gibt es wieder einmal eine Katastrophe oder einen weiteren Krieg. Eine große Unbekannte gibt es auch noch: Was Sahra Wagenknecht und ihre noch zu gründende (und zu benennende)  Partei ausrichten kann. Darauf ernsthaft zu setzen, traue ich aber noch nicht einmal dem Sandkastenrocker von Brilon zu.








6 Kommentare :

  1. Der Merz hat jetzt schon Gegenwind von den Regierenden aus seiner Christenclique (zb den Wegener aus dem roten Haus).
    Vielleicht reichts ihm aber auch mit 70 Jahren.

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  2. Merz sammelt als polternder Hausvater Gratisgummipunkte in der Boulevardpresse. Dann gibt es zwei Optionen: Entweder ist bei den Koalitionsverhandlungen nach der Wahl 2025 alles vergessen (Motto: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich) oder die Union schickt einen konzilianteren Kandidaten wie Wüst ins Rennen.

    Söders Ambitionen? Kennt noch keiner. Aber die Union ist in den Umfragen 2021 im Frühling im Streit um die Kandidatur abgeschmiert, lange vor dem Ahrtal-Lachen. Da muss 2025 Klarheit herrschen. Januar 2021 war die Union bei 37 Prozent ...

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    1. Ganz vergessen: Das war ich, Bonetti, Kaiser und Gott :o)))

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  3. "deren Beliebtheitswerte sich inzwischen denen von Enkeltrickbetrügern und Hämorrhoiden" ...
    Klasse Wortwahl!
    (Merz wird es nicht. Der sammelt Unsympathenpunkte schneller als sich Corona ausbreitet) Wüst wird es — darauf wette ich eine Fiege-Herrenhandtasche.

    Gruß
    Jens

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  4. Das sind in meinen Augen alles aus einer gewissen Logik abgeleitete Stammtisch-Spekulationen, weil das Verhalten der Wählerinnen und Wähler bekanntlich irrational ist. Letztendlich geht es allein um Futtertröge und die Privilegien. Den Rest übernimmt die Lobbykratie. (Sie dachten, sie hätten die Macht. Dabei durften sie nur regieren. K. Tucholsky) Meine auf Erfahrungen in der Vergangenheit gestütze Meinung ist, dass sich die AfD noch sehr geschmeidig macht und die CDU am Ende noch opportunistischer ist, als die SPD 2017. Vermutlich geht es dann mal wieder ums "große Ganze" und um die "Nation". Da ist alles erlaubt. Umfrageergebnisse a la "Befürworten Sie eine Kolation der CDU mit der AfD?" sind dann der scheindemokratische Zuckerguss obendrauf.

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  5. Wie der Fritze wohl mit dem Urteil des Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg umgehen würde? Ignorieren und vorsorglich alle Sozialleistungen streichen?

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