Mittwoch, 7. August 2024

Wahre Worte (76)


Heute: Heike Holdinghausen über Dressurreiten bei den Olympischen Spielen

"Wenn ZDF-Kommentator Hermann Valkyser den häufig propellerartig drehenden, häufig schief gehaltenen Schweif der Stute Gold-Stute Dalera bei der Qualifikation am Freitag nicht für ein problematisches Zeichen für Stress und Verspannung hielt, oder ihr zum Teil offenes Maul, mit dem sie sich gegen Paraden (also der Einwirkung der Reiterin mit Zügeln, Schenkeln und Gesäß) wehrte -- dann hätte er wenigstens erklären müssen, warum nicht. [...]

Doch auch die ewig schleimige WDR-Reitsportexpertin Sabine Hartelt fragte nach dem Ritt nicht danach, im Gegenteil: Sie fragte: »Wenn die Königin zum Tanz gebeten wird, kann sie wirklich strahlen, das war ja ohne Wünsche, die offen geblieben sind«. Es scheint, als hätten weder Richter:innen noch Kommentator:innen von dem Druck, unter dem der Dressursport durch die wiederkehrenden Skandale geraten ist, irgendetwas mitbekommen. Mehr Affirmation an den Status Quo geht nicht. Affirmation aber ist das, was der Reitsport derzeit am wenigsten braucht, wenn er sich nicht nur als olympische Disziplin, sondern überhaupt als akzeptierter Sport retten will. [...]

[ARD-Kommentator Carsten] Sostmeier verdient sein Geld nicht nur als Sportkommentator; auf seiner Website können ihn Veranstalter von Reitturnieren als Sprecher buchen, oder als Produzenten von Imagefilmen für Stall- oder Pferdebesitzer. Die Reiter:innen, die er in Paris kommentiert: alles potenzielle Kund:innen. (taz, 4. August 2024)


Anmerkung: Alle vier Jahre bei den Olympischen Sommerspielen rückt das reitende Personal in den Fokus der Öffentlichkeit. Weil meine reiterlichen Erfahrungen sich auf zehn schmerzhafte, wenig erfolgreiche Reitstunden während eines Bauernhofurlaubs zu Kindertagen beschränken, geht es mir da wie vielen: Ich kann nicht beurteilen, ob eine "Gold-Stute" wie Dalera sich nun gerade wohlfühlt oder nicht. Ob ihre Körpersprache Aufmerksamkeit oder Unwillen und Stress signalisiert. Was ich weiß: Pferde sind supersensible Fluchttiere, die auf allerkleinste Reize maximal reagieren. Und es sind hochgradig soziale Tiere, die zu komplexer Kommunikation fähig sind. So ist es möglich, dass eine eher zierliche Person wie Dressur-Goldmedaillengewinnerin Jessica von Bredow-Werndl einen mehrere hundert Kilo schweren Trumm wie Dalera, der sie problemlos zerquetschen könnte, scheinbar spielerisch kontrollieren kann.

Wie gesagt, ich weiß das nicht. Es hat sich ja angeblich alles zum Besseren gewendet für die Pferde, seit sie nicht mehr mit Gewalt 'gebrochen' werden, sondern, analog zu ihrem Bedeutungsverlust als Transportmittel und Kriegsgerät mit Aufkommen des Automobils, zu Partnern der sie reitenden Menschen geworden sind. Nur mehr Pferdeflüsterer allüberall. Wenn da nicht diese strahlende Fassade der Reiterszene wäre und die mitunter verdächtige Vehemenz, mit der Gewalttaten wie die einer Charlotte Dujardin zu bedauernswerten Ausnahmen und Einzelfällen heruntergespielt werden.

In Zeiten kontinuierlich sinkender Medaillenausbeute deutscher Olympioniken bei Sommerspielen, sind die Reiter, nicht nur die Dressur-, sondern auch Spring- und Vielseitigkeitsreiter, inzwischen so ziemlich die einzigen, die noch einigermaßen zuverlässig liefern. Das stimmt Medien mitunter milde. So nicht eh überschneidende Interessen im Spiel sind wie im Falle von Piaffen-Poet Sostmeyer. Beste Voraussetzungen für Schweigekartelle.

Von wirklich wenigen Ausnahmen abgesehen wird sicher niemand, der/die reitet, egal ob in der Freizeit oder professionell, Pferden wirklich etwas Böses wollen oder ihnen gar gern Schmerzen zufügen. Nur ist Reitsport auf höchstem Niveau eben kein Ponyhof, sondern ein zig Millionen schweres Geschäft. Und wo Geschäft ist, da ist immer auch Ausbeutung nicht weit, wird das Lebewesen Pferd zum Sportgerät, mag das auch noch so sehr mit süßlichem 'Bibi und Tina'-Kitsch überkleistert werden. Überhaupt ist der Gender-Aspekt im überwiegend weiblich dominierten Reitsport interessant: Frauen würden doch nie...

Top-Reiterinnen wie Isabell Werth und die erwähnte von Bredow-Werndl gehören ihre Gold-Pferde nicht, sondern sie bekommen sie von solventen Besitzern zur Verfügung gestellt. Und die wollen natürlich Return of investment sehen, da beißt die Maus keinen Faden ab.

Fun fact: Das Pferd, auf dem Isabell Werth zu Mannschaftsgold und Einzelsilber ritt, hört auf den Namen 'Wendy'. Kicher.









1 Kommentar :

  1. "Von wirklich wenigen Ausnahmen abgesehen wird sicher niemand, der/die reitet, egal ob in der Freizeit oder professionell, Pferden wirklich etwas Böses wollen oder ihnen gar gern Schmerzen zufügen."
    Das bezweifel ich. Sobald Geld im Spiel ist, wird auch zu miesen Methoden gegriffen. Ich sag nur Barr-Skandal - Schockemöhle ist immer noch im Geschäft. Helgstrand, Dujardin, Parra, Beerbaum, Schleu... - die Reihe der Schande ist ENDLOS. Dazu wird ein Reitstil mit Preisen bedacht, wo man vom Zusehen Schmerzen kriegt - Pferde, die hinter der Senkrechten laufen (nett Rollkur genannt) und somit nicht mal sehen, wohin sie laufen, Pferde, die nicht etwa aus Freude vor dem Sprung ausschlagen, sondern weil sie Rückenschmerzen haben. Viele Sportpferde haben Magengeschwüre. Und ich rede noch nicht mal von Vielseitigkeitsprüfungen und Rennen. Und diese miese Art zu reiten schlägt sich bis ins letzte doofe Dorfturnier in Hintertupfingen durch. Ich reite seit über 30 Jahren und finde den Sport nur noch zum Kotzen. Und wenn ich die Gesichter der großen Pferdestars sehe, tun sie mir leid, weil man ihnen ihre Nöte oft ansieht.
    Besagte Wendy ist übrigens ein Pferd aus dem Skandalstall Helgstrand...

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