Montag, 18. November 2024

Delicatessen


Bei so genannten Delikatessen geht es oft gar nicht so sehr um Geschmack o.ä., sondern um Verfügbarkeit. Von Bismarck ist das Bonmot überliefert, wären eingelegte Heringe selten wie Kaviar, dann wären sie eine ebenso teure und gesuchte Spezialität. Austern waren vor der Erfindung moderner Kühltechnik gleichzeitig Luxusgut und Arme-Leute-Essen: An der Küste, wo die Mollusken massenhaft frisch verfügbar waren, war ihr Verzehr alltäglich. Im Binnenland waren sie ein rares Luxusessen, weil die empfindliche Ware während des Transports aufwändig mit Stangeneis gekühlt werden musste und ein erheblicher Teil unterwegs verdarb.

Lachs war zu meiner Jugend und Kindheit etwas, das man nur im teuersten Delikatessengeschäft am Platze für Mondpreise bekam. Räucherlachs im Discount? Guter Witz! Bei uns gab es an hohen Feiertagen mal ein Döschen dieses penetrant salzigen Lachsersatzes. Wer seinen Gästen echten Lachs vorsetzte, demonstrierte damit auch, es geschafft zu haben. Mit dem Aufkommen der Aquakulturen wurde das eine jederzeit leistbare Sache für viele. Bevor die Verschmutzung der Flüsse ausartete, war der Lachs in vielen hiesigen Flüssen verbreitet. Was aber nicht bedeutet, dass er spottbillig gewesen wäre. Für die Geschichten von Bediensteten, die sich darüber beschwert haben sollen, andauernd Lachs vorgesetzt zu bekommen, gibt es keinerlei valide Belege.

Momentan kann man das auch studieren an dem albernen Hype um diese so genannte 'Dubai-Schokolade', der allein der Knappheit des Gutes geschuldet ist. Es handelt sich dabei um simple Vollmilchschokolade, die mit Kadaifi und gehackten Pistazien bzw. Pistaziencreme gefüllt ist. Das Zeug wird von Großherstellern produziert und scheint absolut nichts zu enthalten, das den Abenteuerpreis von 12 Euro pro 100-Gramm-Tafel rechtfertigt.

Natürlich kann es auch ein moralisches oder politisches Statement sein, bestimmte Dinge zu essen bzw. nicht zu essen. Oder ein Akt sozialer Distinktion. Veganismus und demonstrativer Fleischverzehr sind da bloß zwei Seiten derselben Medaille. Im Zuge des Irak-Kriegs 2003 wurden in den USA French fries in Freedom fries umbenannt, um ein Zeichen gegen die feigen Franzosen zu setzen, die nicht recht mittun wollten bei der Koalition der Willigen. Auch das Gesummse, das Italiener:innen mitunter um (angeblich) authentisches italienisches Essen veranstalten, hat meist mehr mit Identität zu tun als mit Kulinarik.

Im Britischen Empire wurde in entsprechenden Kreisen gern Kolonialismus am Esstisch zelebriert, in Form dessen, was heute 'kulturelle Aneignung' genannt würde. Die aus dem Sketch 'Dinner For One' bekannte Mulligatawny Soup oder das mit indischen Gewürzen und heimischem Räucherfisch zubereitete Reisgericht Kedgeree wurden von der britischen Oberschicht adaptiert und auf nobel aufgerüscht. So verhielt es sich auch mit dem berühmten Englischen Frühstück, das ursprünglich auf den so deftigen wie haltbaren Bordproviant der Royal Navy zurückgehen soll und dann um diverse weitere Bestandteile ergänzt wurde.

Apropos Navy: Ein Paradebeispiel für eine politisch überwölbte kulinarische Verirrung ist Schildkrötensuppe. Es heißt, die leicht zu fangenden Meeresschildkröten seien einst von in der Karibik schippernden Matrosen als Lebendvorrat an Bord gehalten worden. Die genügsamen Tiere überstanden problemlos eine gewisse Zeit ohne Futter, machten keinen Krach, hauten nicht ab und dienten als wertvolle Proteinquelle. Geschmacklich muss das allerdings eine eher fade Angelegenheit gewesen sein. Ihr Fleisch soll eher schwammig und weitgehend geschmacksfrei sein.

Zur Delikatesse wurde das erst, als der britische Hochadel das für sich entdeckte und zu Suppe verarbeitete. In die Schildkrötensuppe a'la Lady Curzon kommen neben 'Schildkrötenkräutern' noch exotisches Currypulver, ein Schuss Sherry und das ganze wurde, damit das feine Aroma sich nicht verflüchtige, wie es hieß, unter einer Sahnehaube serviert. Ob Sherry und Sahne nur deswegen zur Suppe kamen, weil die namensgebende Lady Mary, Baroness Curzon of Kedleston, angeblich ein Alkoholproblem hatte, das man auf diese Weise elegant kaschieren wollte, ist nicht zweifelsfrei belegbar.

Der Frankfurter Koch Eugen Lacroix (1886-1964) machte seinen französischen Nachnamen und die Tatsache, dass er als einziger Deutscher Mitglied der Academie Culinaire de France war, im Wirtschaftswunderland zu Geld, indem er mit seinem Namen versehene Luxusprodukte in Dosen vertrieb. Darunter Gänseleberpastete, und Schildkrötensuppe. Zu Beginn auch Haifischflossensuppe. Und so stapelten sich alle paar Monate gefrorene Suppenschildkröten auf dem Firmengelände in Frankfurt-Niederrad, auf dass sie im Suppenkessel landeten. Lacroix hatte mit Spezialitäten, die auch 'kleine Leute' sich hin und wieder leisten konnten (Werbeslogan: "Ein Hauch von Luxus"), offenbar einen Nerv getroffen. Weil er begriffen hatte, dass es den Westdeutschen, nachdem die Hungerjahre überwunden waren, nach Feinerem und auch nach Repräsentation dürstete.

In nicht wenigen Familien soll eine Dose Lacroix-Schildkrötensuppe im Vorrat gelagert haben, die zu ganz besonderen Anlässen feierlich geöffnet und in Miniportionen verspeist wurde. Ich meine mich zu erinnern, dass nach dem Tod meiner Großtante so eine Büchse aus den späten 1960ern in den Tiefen eines Schrankes gefunden wurde. Profis hatten sogar spezielle Tassen dafür. Ein Studienfreund vom mir ist in einer Familie aufgewachsen, in der das einmal im Jahr zelebriert wurde. Auf meine Frage, wie das Süppchen denn so geschmeckt habe, meinte er, eigentlich habe das nicht besonders geschmeckt. Zumindest nach nichts, was ihm irgendwie in Erinnerung geblieben sei. Was ich durchaus für glaubwürdig halte, denn wenn man eine ohnehin mit Kalbsfuß angesetzte Suppe noch mit Curry, Sahne, Sherry und Kräutern aufdonnern muss, kann es damit nicht so weit her sein.

Seit 1988 stehen Suppenschildkröten durch das Washingtoner Artenschutzabkommen unter Schutz. 1979 wurde die Firma Eugen Lacroix von der durch Andy Warhol berühmt gewordenen Campbell Soup Company übernommen, die die Marke seither weiterführt, die Herstellung von Schildkrötensuppe aber schon 1984 eingestellt hat. Es lebe die Mockturtle! Schnappschildkröten sind allerdings nicht geschützt und werden nach wie vor zu Suppe verarbeitet.

Und was bitte ist mit der Firma Schildkröt, die noch heute Puppen und Tischtennisbälle herstellt? No animals were harmed. Schildkröt brachte vor dem ersten Weltkrieg die ersten lebensechten Spielzeugpuppen für Kinder auf den Markt, die nicht aus dem zerbrechlichen Porzellan, sondern dem robusten Zelluloid hergestellt waren. Der Name sollte darauf anspielen, dass die Puppen hart wie ein Schildkrötenpanzer waren.








 

7 Kommentare :

  1. War nie eine Delikatesse, ist aber trotzdem längst ausgestorben: die "römische Schildkröte" (testudo).

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  2. "kommen neben 'Schildkrötenkräutern' noch exotisches Currypulver, ein Schuss Sherry und das ganze wurde, damit das feine Aroma sich nicht verflüchtige, wie es hieß, unter einer Sahnehaube serviert".
    ... auweia ...
    Gruß Jens

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  3. Ich habe als junger Mensch ein paar Mal Schildkrötensuppe gegessen bzw. essen müssen, die gab's damals öfters im "feinen Restaurant" als Vorsuppe, wenn etwas zu feiern war. Schmeckte entweder nach nix oder war hoffnungslos überwürzt, grauenhaft. Die Mockturtle war und ist jederzeit vorzuziehen.

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    1. Absolut! Wenn ich auf Besuch im Norden bin, decke ich mich immer mit Mockturtle ein und mache mir ein Vergnügen daraus, Metzger zu finden, die die selbst herstellen.

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  4. "Mockturtle" ... aha, mal wieder allein unter Feinschmeckern. Irgendwie wirds hier elitär — ist aber nur son Gefühl. (wahrscheinlich kommt Bonetti später noch mit Mockturtle inkl. Blattgoldflakes um die Ecke, weil, der kann so was noch durch 3 Meter Beton olfaktorisch wahrnehmen...)
    Gruß Jens

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    1. Ich kann versichern, das Elitärste an Mockturtle ist die einigermaßen aufwändige Zubereitung. Ansonsten ist das eine ziemlich gehaltvolle Angelegenheit. Ist halt sone norddeutsche Sache, da wird Grünkohl auch durch alle Schichten und Klassen verspeist.

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    2. Mälzer ist ziemlich krachend daran gescheitert, wenn ich mich recht entsinne.

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