Montag, 11. November 2024

Vermischtes und Zeugs (XCVI)


Ein Teil des Erfolges von Faschisten erklärt sich dadurch, dass sie Heilung von tatsächlichen oder imaginierten Schmerzen, Rache für tatsächliche oder imaginierte Demütigungen und Kränkungen in Aussicht stellen, Schuldige liefern. Hitler vermittelte den Menschen einst: Euch ist im Krieg unsägliches Leid angetan worden, und dann behaupten diese von Juden manipulierten Siegermächte auch noch, wir Deutsche seien schuld daran. Und pressen uns in ewige Zinsknechtschaft. Vertraut euren Gefühlen, sie sind nicht falsch. Ihr habt allen Grund gekränkt zu sein. Ich verstehe euch. Spüre eure Schmerzen. Ich habe im Krieg auch im Dreck gelegen. Wählt mich, und es wird aufgeräumt werden. Inhalte sind da nicht wichtig.

Bei den modernen, teils faschistischen Rechten ist das im Prinzip nicht anders. Sie sagen: Da sitzen linksgrüne Eliten und wollen dir mit ihrer Klimaangstmacherei dein Leben kaputt machen. Dir deinen Holzkohlegrill und deinen Verbrenner verbieten, deine Kinder mit ihrer Globohomo-multikulti-Ideologie indoktrinieren, dir ihre lachhafte Gendersprache und Politische Korrektheit aufdrücken, dich entmannen, die Bevölkerung austauschen, sie verhöhnen unsere stolze Geschichte, die faulen Bürgergeldschmarotzer lachen dich aus, weil du jeden Morgen zir Arbeit gehst. Vertraut euren Gefühlen, sie sind nicht falsch. Ihr habt allen Grund, wütend zu sein. Ich verstehe euch. Spüre eure Schmerzen. Ich weiß, wie das ist, verfolgt zu sein, auf einem Müllwagen zu sitzen und bei Mäckes Fritten in die Tüte zu schaufeln. Wählt mich und es wird aufgeräumt werden.

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Natürlich kann man die immer öfter zu lesenden Warnungen auch vor geringen Mengen Alkohol ("Ein Weizenbier pro Abend ist zu viel.") nicht nur unter Gesundheits- und Selbstoptimierungsaspekten, sondern auch vor dem Hintergrund kapitalistischer Verwertungslogik lesen. In Zeiten, in denen private und öffentliche Sphären zunehmend ineinander schwimmen, alles instagrammable sein muss, hat auch der Arbeitnehmer seinem Geber gefälligst jederzeit frisch, durchoptimiert und topfit zur Verfügung zu stehen. Am Montagmorgen noch eine Matschbirne vom durchsumpften statt durchsporteltem Wochenende? Die einen den Vormittag über weniger leistungsfähig macht? Eine leichte Fahne vom fröhlichen Umtrunk vom Vorabend gar? Geht gar nicht. Einzige genehmigte Ausnahmen: Oktoberfest, Karneval/Fasching, Après Ski, Malle. Man gönnt sich ja sonst nichts.

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Wer immer die nächste Regierung stellen und im Kanzleramt Platz nehmen wird, steht vor dem Problem, irgendwie Geld auftreiben zu müssen. Nur woher? Eigentlich stehen da längst drei rosa Elefanten im Raum:

Vermögenssteuer.
Einnahmenbasis der Sozialversicherungen verbreitern.*
Schuldenbremse wieder streichen bzw. lockern.

(* Das hieße, möglichst alle irgendwie Erwerbstätigen in die gesetzliche Rentenversicherung eingliedern. Beamte kann man auch weiterhin durch Rentenzulagen o.ä. privilegieren, wenn gewünscht. Bei der Krankenversicherung eine Bürgerversicherung für alle einführen, meinethalben unter Beibehalten der bestehenden Krankenkassen. Wer Premium-Behandlung will, kann sich das weiterhin gern über private Zusatzpakete verschaffen.)

Es gäbe noch weitere durchaus gangbare Möglichkeiten. Eine negative Einkommenssteuer auf kleine Einkommen, drastische Erhöhung des Grundfreibetrags und/oder ein höherer Mindestlohn, um die Binnennachfrage anzukurbeln.

Alle diese Maßnahmen haben gemeinsam, dass sie umsetzbar und realistisch wären, aber keineswegs den sofortigen Weltuntergang herbeiführen würden, wie Beispiele in zahlreichen anderen Ländern zeigen. Ich könnte mir vorstellen, dass es hinter verschlossenen Türen sogar einen stillschweigenden überparteilichen Konsens darüber gibt. Mit Ausnahme der FDP, der AfD und Teilen von CDU/CSU, versteht sich.

Nur wird nichts von dem passieren, denn alle diese Maßnahmen haben noch etwas gemeinsam: Das Kapital und andere, an Umverteilung nach oben interessierte Kreise wünschen das nicht. Also wird es vornehmste Aufgabe der Politik sein, dem Volke zu vermitteln, die drängendsten Probleme seien das viel zu luxuriöse Bürgergeld und die üppige Versorgung von Asylsuchenden und dass es nicht nur dringend erforderlich, sondern auch besser für alle sei, wenn man da endlich mal kräftig kürze. Und wer da aus der Reihe tanzt, dem werden entsprechende Lobbyorganisationen und Pressure groups, u.a. das Haus Springer ("Please, stärke die FDP!"), schon zeigen, wo der Frosch die Locken hat.

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Abt.: Sätze, die seit der Schulzeit nicht weg gehen...


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Man stelle sich vor, der FC Heidenheim und der VfL Bochum reisten in die USA, um dort in einer der größeren Städte gegeneinander zu spielen und die ganze Stadt stünde darob förmlich kopf. Geht nicht? Die NFL war jetzt mal wieder in Deutschland zu Gast. Die Carolina Panthers und die New York Giants sind in der Münchner Schlauchbootarena gegeneinander angetreten und die Stadt wollte schier ausflippen vor Begeisterung. Beide Teams rangieren eher so im unteren Bereich ihrer jeweiligen Divison, was in den USA schon zu hämischen Kommentaren geführt hat ("Die NFL hasst Deutschland!").










4 Kommentare :

  1. "Wählt mich und es wird aufgeräumt werden"
    ... schön indifferente Message an die Minderbemittelten und deren niederen Instinkte "ich bin dabei, weil ich ja auch nicht gemeint bin ..."
    (warts ab du Trottel)
    Gruß
    Jens

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  2. Zum Absatz über den Alkoholkonsum: Es war ja ausgerechnet die Alkoholindustrie, die den Mythos von den protektiven kardiovaslkulären 2 Gläsern Wein am Abend verbreitet hat und diesen mit zweifelhafte, monokausalen Studien (das heißt, ohne andere gesundheitsschädliche Effekte) untermauerte. Die für den positiven Effekt verantwortlichen Phenole und Flavonoide sind auch im Traubensaft enthalten. Die Studienlage ist heute eindeutig und hat mit Bevormundung und Selbstoptimierung aber auch gar nichts zu tun. Eher mit Aufklärung und individuelle Risikoabschätzung.

    Es hat ja auch lange gedauert, bis in den USA die von der Tabakindustrie gesponserten Studien über die gesundheitliche Unbedenklichkeit des Rauchens widerlegt wurden.

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  3. Ich war vor zig Jahren mal im Olympia-Stadion bei so einem NFL-Match. Ich war heilfroh, dass ich einen amerikanischen Freund dabei hatte, der mir jeweils erklärt hat, was gerade eben passiert war. Wenn man nur einmal im Jahr den Superbowl guckt, also von dem Spiel letztlich keine Ahnung hat, von der Taktik nichts weiß und die Spielzüge nicht erahnen kann, ist das eine stinklangweilige Geschichte, unabhängig von der Spielstärke der Mannschaften.

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  4. @ Chris Kurbjuhn:
    American Football als Rugby-Evolution ist halt näher an dem guten alten, einfachen Prinzip "der Stärkere gewinnt" dran. So filigrane, streng regelbasierte Wettbewerbe wie Fussball sind ja qua Regelwerk "verweichlicht". Da fließt ja auch viel zu selten Blut oder brechen Knochen — Sissy Contest halt. Nix für echte Kerle.
    Gruß
    H. Hogan

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