Donnerstag, 17. April 2025

Palim, palim! - 2025 Edition


"[Der] Begriff [Satire] ist längst zum Notausgang für alle jene Dieter Nuhrs und Jan Böhmermanns geworden, die erst anecken und aufregen wollen und dann »Satire« schreien, wenn mit der großen Aufregung große Ablehnung einhergeht." (Joachim Huber)

Während der Zeit, zu der ich diesen Planeten inzwischen besiedle, sind mehrere Wörter aus dem Sprachgebrauch recht unspektakulär verschwunden. Einmal, weil Sprache einen permanenten Wandel unterliegt und das ein völlig normaler Prozess ist. Heutige Jugendliche etwa haben ihre Jugendwörter (schreckliches Wort!) so wie wir damals unsere hatten und auch damals schüttelten Mitglieder voriger Generationen teils heftig die Köpfe über den allgemeinen Verfall von Sprache, Sitten und Kultur, der sich da vor ihnen auftat, wie das auch heute welche tun. Viel ändert sich da im Kern nicht.

Im Umgang mit Jugendsprache kann man als jemand, der selbst kein Jugendlicher ist, eigentlich nur zwei Fehler machen: Sie verbieten oder, ganz gefährlich, sie in anbiedernder Absicht kopieren wollen. Jugendliche haben normalerweise feine Antennen für Authentizität und bemerken jede doofe Verstellung sofort. Mehr noch: Sie sind durchaus in der Lage, auch normale Sprache zu verstehen.

Dann gibt es Wörter, die aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden sind, weil sie von den so Bezeichneten als beleidigend oder abwertend empfunden wurden. Weil Betroffene und Aktivist:innen sich durch diese Wörter herabgesetzt fühlten und deren Gebrauch bekämpften. Erst auf sehr verlorenem Posten, dann gesellten sich Medien und Institutionen als Verbündete hinzu. Irgendwann gewannen sie. Man nennt das: gesellschaftlicher Wandel.

So sind die ursprünglich keineswegs abwertenden Bezeichnungen 'Weib' und 'Fräulein' weitgehend aus dem Sprachalltag verschwunden und es ist mir nicht bekannt, dass das jenseits arg schräger Communitys irgendwie als Verlust empfunden bzw. um deren neuerliches Etablieren gerungen würde. Meiner Kenntnis nach fühlt sich auch niemand in puncto Meinungs- und Redefreiheit eingeschränkt deswegen.

Wer schon mal in alten Schulbüchern aus den Siebzigern geblättert hat, vor allem welchen für den Religions- und Politikunterricht, wird sich wundern, wenn nicht befremdet sein, mit welcher Selbstverständlichkeit dort N- und Z-Wörter verwendet wurden. Ja, das waren damals gängige Bezeichnungen. Irgendwann begannen Angehörige dieser Gruppen aber darauf hinzuweisen, dass diese Wörter Teile von Sklavenhalter- bzw. Nazisprache waren und verbaten sich das. Wo soll, jenseits akademischer Debatten darüber, ob und inwieweit Wörter nun die Realität formen oder nicht, und unbenommen der Frage, ob man das nun nachvollziehen kann oder nicht, das Problem sein, dieses Ansinnen einfach zu respektieren?

Dann kam er. Dieter Hallervorden. Alias Didi Meisenkaiser. Der hatte in den Siebzigern große Erfolge gefeiert und wärmte bei der ARD-Jubliäumsshow einen Sketch aus diesen Zeiten wieder auf. Den mit den beiden Knastinsassen, die Kaufladen spielen. Warum er denn einsitze, fragt der Zellengenosse, woraufhin Didi antwortet, er habe nicht gewusst, dass es verboten sei, für eine Süßware das N- und für ein Schnitzel das Z-Wort zu benutzen. Haha! Und von irgendwo grüßt ein Murmeltier. Palim, palim, die Siebziger sind an der Tür und hätten gern ihren Humor zurück.

"Im Begleitmaterial zur Sendung findet sich ein Interview mit ihm [Hallervorden]. Dort kritisiert er, durch die vom Privatfernsehen vorangetriebene Dynamik drohten am Ende »Menschenwürde, Moral und Empathie auf der Strecke« zu bleiben." (Anne Rabe)

Auf Kritik und Empörung folgte die übliche abgestandene Reaktion: Es sei doch schließlich Satire gewesen und die dürfe das nun mal. Nehmt dies, humorloses Pack! Äh, nein, es war keine Satire. Im Gegenteil. Tucholsky rotiert vermutlich im Grabe.

Damit, dass Satire alles dürfe bzw. alles dürfen müsse, wird selbiger oft verkürzend und sinnentstellend zitiert. Für Tucholsky ist Satire die Waffe der Schwachen, die nur das Wort haben und ihren Grips, gegen die Mächtigen, die über Kapital, Gewehrläufe und Produktionsmittel verfügen. Hinter der Satire steht ferner meist das Ansinnen, diese Welt letztlich zu einer besseren, freieren und freundlicheren zu machen, indem man die Machenschaften der Mächtigen zuspitzt und so demaskiert. Satire im engeren Sinne hat also immer auch einen aufklärerischen, emanzipatorischen Drive. Was sie sie von bloßer Komik unterscheidet. (Die selbstverständlich ihre Berechtigung hat.)

Hallervordens N- und Z-Wörter würden demnach nur dann als Satire funktionieren, wenn er als (männlicher) Angehöriger der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft tatsächlich zu einer unterdrückten Minderheit gehörte und man sich das (rechte) Narrativ zu eigen machte, diese überwiegend weiße, deutsche Mehrheitsgesellschaft ächze unter einer 'woken' Gesinnungs- und Sprachdiktatur. Kann man tun. Man könnte aber auch die Frage stellen, warum ausgerechnet im 'Regierungsmedium' ARD der (aufgezeichnete) Sketch einfach so gesendet wurde, ohne geschnitten zu werden.

"Was Satire nicht darf, ist, kein Ideal haben. [...] Nihilismus statt Idealismus - das ist lässig, macht die Welt aber nicht besser, doch genau das ist ja das Anliegen der Satire." (Jesko Friedrich)

Und ob die Welt eine bessere, freiere und freundliche wird, wenn eine Mehrheit sich das Recht nimmt, ungehindert Minderheiten zu beleidigen und den Beleidigten dann noch das Recht darauf abspricht, überhaupt beleidigt zu sein, mag ein:e jede:r bitteschön für sich beantworten.

Ja, aberaber, Hallervorden hat doch offenbar unbequeme Dinge gesagt! Und damit wohl irgendwie einen wunden Punkt getroffen, wie man an den heftigen Reaktionen sehen kann, oder? Blödsinn.

Unbequeme Dinge zu sagen oder irgendwelche wunden Punkte zu treffen, heißt erstmal gar nichts. Heftige Reaktionen lassen sich mit allem möglichen auslösen, auch mit Dingen, bei denen man gehörig falsch liegt. Wenn ich meinem Nachbarn in den Vorgarten scheiße und der sich deswegen aufregt, ist das kein Zeichen dafür, dass ich da wohl einen wunden Punkt getroffen habe, sondern dafür, dass ich unzivilisiert bin. Einer Person, die einem nichts getan hat, eine runterzuhauen und dann zu sagen: "Aha, das haben Sie wohl nicht so gern, wie? Denken Sie mal drüber nach!", macht einen nicht zum Helden der Aufklärung. Wie man auch nicht automatisch recht hat, wenn man gegen irgendeinen 'Mainstream' ist.

Was bleibt also? Miefelnder Klamauk, der sich bei einer mehr oder minder rassistischen Zielgruppe ein paar spottbillige Gratislacher ab holt und sich selbst zum heroischen Widerstand gegen einen imaginierten Popanz adelt, derweil er die wahrhaft Mächtigen ungeschoren lässt. Wenn Didis Knastnummer irgendwas entlarvt, dann meinetwegen halt das windelweiche Geeier der öffentlich-rechtlichen Sender in solchen Dingen.

Und ja, man kann den teilweise arg überhitzten, bisweilen ins Autoritäre und Hysterische kippenden identitätspolitischen Diskurs gern parodieren und satirisch verarbeiten. Kein Problem. Bietet sich geradezu an. Ob man das aber auf dem Rücken und auf Kosten von Minderheiten tun muss, möge ebenfalls ein:e jede:r für sich beantworten. Ich denke, es gibt lohnendere Zielscheiben.







11 Kommentare :

  1. Schwieriges Thema. Wenn z. B. der Herr Nuhr zum einhundertelfzigsten Mal "Lastenfahrrad" sagt und sein zahlendes Publikum sich dazu zum ebensovielten Mal auf die feisten Schenkel klopft, als wärs der bislang unerreichte Gipfel allerfeinster Subversiv-Satire, dann schüttelt's mich, und zwar nicht vor Lachen. Obwohl ich den Teil der großstädtischen Mittelschicht, der wahrscheinlich die Mehrzahl der großstädtischen Lastenfahrradfahrenden (m/w/d/sie/ihr/er/ihm/them/whatever/wer*nichtfragtbleibtdummköpf:in) hervorbringt, nicht sonderlich gut leiden kann. Zumal solche, die mit ihren Gefährten schrittgeschwind und überhaupt nicht achtsam den Radweg blockieren, während ich ganz dringend zu meinem nächsten Kneipentermin muss. SUV-Lenkende, die da meinen, dass beim Überholvorgang das Beinahe-Touchieren von Radlern ihr gutes Recht sei, regen mich allerdings wesentlich mehr auf.
    Und als der Herr Böhmermann den Herrn Erdogan ankrähte resp. ihn einen Ziegenficker schimpfte, da wußte er wohl, dass er das vom heimischen Misthaufen aus relativ gefahrlos tun konnte, als Gast einer türkischen Talkshow aber nur einmal getan und in den Folgejahren - bestenfalls - in einer türkischen Knastküche vor sich hingebrutzelt hätte. Der Herr Erdogan hätte ihn, mit Verlaub, sowas von gefickt - was dann der Sache übrigens recht nahe gekommen wäre, denn Herrn Böhmermanns Gefrieß ist dem einer Ziege nicht ganz unähnlich, wie ich finde. Zum Herrn Hallervorden fällt mir nichts weiter ein, es sei denn: de mortuis nil nisi bene. Auch wenn er vielleicht nur in Teilen als gesichert hirntot gelten kann, ähnlich wie ein Publikum, dass seine rassistisch angehauchten Uraltherrenwitzeleien brüllend komisch findet.

    PS.
    Ich selbst bin aber auch sehr leicht zu amüsieren, das gab ich zu: Ich muss ja schon lachen, wenn ich sowas wie "identitätspoltischer Diskurs" lese. Und finde auch, dass es lohnendere Zielscheiben für satirische Angriffe gibt als die meist mindestens mittelschwer verbitterten Betreiber:*innen solcher Diskurse, ob sie nun einen Penis haben oder keinen oder irgendwas dazwischen.
    Das große Problem für Satiriker, die sich lieber an der heimischen Politik und deren (wahrhaft mächtigen?) Protagonisten abarbeiten wollen: Was derzeit an Politik stattfindet, ist ja bereits real existierende Satire - nicht ganz leicht, da noch einen draufzusetzen. Friedrich Küppersbusch schafft das gelegentlich trotzdem, weswegen ich seinen gleichnamigen YouTube-Kanal hier wärmstens empfehlen möchte.

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  2. "abwertende Bezeichnungen 'Weib' und 'Fräulein"
    ... eine Kollegin fand es abwertend, wenn jemand "meine Frau ..." sagte, anstatt den Vornamen Derjenigen zu benutzen.
    In Bezug au Menschen mag die Kritik ja angemessen sein, in Bezug Auf Nahrungsmittel etc. halte ich es für überzogen und gerade im Scnitzelbereich wirklich lustig ... ich bin Jäger und fühle mich durch die Champignon-Rahmsoße beleidigt.
    "Sagt man heute nicht mehr" ist ja meinetwegen okay. Aber ich werde meine Wilhelm Busch Gesamtausgabe weiterhin mit genauso viel Genuss lesen wie Andere ihren Jim Knopf und Pippi Langstrumpf — jeweils im Originaltext.
    Gruß, Jens

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    1. Nahrungsmiittel, Schnitzel, Champignon-Rahmsauce - ich empfehle, sich einmal mit Semantik auseinanderzusetzen.

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  3. Hallervorden verteidigt seinen Auftritt als Satire wie folgt:
    "Woke Menschen von heute versuchen ängstlich, nicht aus der Reihe zu tanzen, befolgen akribisch alle Social-Media-Gebote, um keine Likes aufs Spiel zu setzen und verstehen keine Satire mehr, weil Satire aus Angst vor Missverständnissen nicht mehr vorkommt." Woke ist inzwischen als Schimpfwort und Ersatz für political Correctness bei etabliert. Woke Menschen sind nicht ängstlich, sondern respektieren die Tatsache, dass Schwarze, Sinti und Roma so nicht bezeichnet werden möchten.

    Satire ohne rassistische Sprachregelungen habe ich z. B. bei Pispers, Schmickler, Georg Schramm, Urban Priol und Hagen Rether noch nie gehört. Verwunderlich ist, dass unter einigen der YT-Videos zum Thema über 1.400 (Hallervorden und der ARD) zustimmende Kommentare gibt. Tenor: Der Arier und Herrenmensch läßt sich auch heute nicht vorschreiben, wie er die Nachfolger der früheren Sklaven zu bezeichnen hat. Typen wie Hallervorden kokettieren mit dem Tabubruch und finden sich selber besonders mutig.

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  4. @anonym
    Nö.
    Gruß, Jens

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  5. Karfreitag Friedensdemo in Dresden: Gäste/Teilnehmende: Dieter Dehm, Uwe Steimle, Jürgen Fliege, Arnulf Rating, Ulrike Guerot. In bester Gesellschaft per Video auf der Großleinwand zugeschaltet; Didi Hallervorden.

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    1. Alerta, alerta! Aber Höcke, Weidel und Wagenknecht waren diesmal nicht dabei? Laaangweilig!

      PS.
      Wenn Leute zusammen mit andern Leuten, welche ich in Teilen für gesichert steindumm halte, aus welchen Gründen auch immer für Frieden sind, dann halte ich Krieg natürlich für die bessere Lösung. Helm ab zum Ostergebet!

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    2. Steimle & Co. feiern heute in Dresden Führers Geburtstag, das hat nichts mit den Ostermärschen zu tun.

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  6. ....ist der Hallervorden nicht inzwischen dement bzw. senil?

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  7. dndp: Wenn Leute, die aus welchen Gründen auch immer, zusammenkommen um gemeinsam gegen den Kapitalismus zu demonstrieren, dann ist es egal, ob die einen den Sozialismus und die anderen den Faschismus wollen. Merkste was?

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  8. Wieder einer, der in Staatsbürgerkunde nicht aufgepasst hat. Oder, Gott behüte, bloß Religionsunterricht hatte.

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