Samstag, 21. Oktober 2017

Alte Tugenden im Sündenbabel


Dank eines lieben Menschen mit Sky-Abo und HDD-Recorder war ich als Nurgebührenberapper nunmehr in der Lage, die ersten Folgen der mit 40 Mille Kosten teuersten deutschen und vom nationalen Föjetong bejubelten Serie 'Babylon Berlin' anzuschauen. Und? Habe ich das Licht gesehen? Hat deutsches Fernsehen nunmehr endlich Weltniveau? Sind wir endlich wieder wer? Nun ja. Nennen wir es einen Rückfall in alte Tugenden.

Es geht um den Kölner Kommissar Gereon Rath (Volker Bruch), der 1929 für Ermittlungen nach Berlin entsandt wird. Weil er durchaus Eindruck hinterlässt und er vom quirligen Leben der Roaring Twenties fasziniert ist, verschlägt es ihn, obwohl familiär im Rheinischen gebunden, bald ganz nach Berlin. Parallel dazu wird die Geschichte von Charlotte 'Lotte' Ritter (Liv Lisa Fries) erzählt. Die hat einen Schlafplatz im Hinterhaus einer heruntergekommenen Mietskaserne und verdingt sich tagsüber als Tagelöhnerin im Polizeipräsidium, wofür sie sich immer wieder einer unwürdigen Prozedur unterziehen muss. Jeden Morgen prügeln sie und ihre Konkurrentinnen sich förmlich um einem der raren Arbeitsaufträge wie Hungernde um Brotkrumen, die ihnen hingeworfen werden. Als sie einen Auftrag für mehrere Wochen am Stück ergattert, wird sie allgemein beneidet. Nachts tanzt sie sich im 'Moka Efti', das als eine Art Berghain Anno Tobak inszeniert wird, die Seele aus dem Leib und prostituiert sich im Hinterzimmer. Eine von geschätzt knapp 50.000 'Halbseidenen' im damaligen Berlin. Meist schläft sie überhaupt nicht - ein Pensum, das auch für eine junge Frau eigentlich nur durch das seinerzeit reichlich verfügbare Kokain erklärbar ist. Aber auch verständlich ist, denn so wie sie sollte niemand schlafen müssen.

Es wird deutlich, dass das Wilde an den 'Wilden Zwanzigern' nur wenig mit Lebenslust zu tun hatte, sondern vor allem mit Schmerz, bzw. damit, mit ihm klarzukommen. Das Berlin der Zwanziger erscheint hier als eine zutiefst verwundete Gesellschaft. Der erste Weltkrieg, obwohl seit mehr als zehn Jahren vorbei, ist allgegenwärtig und alles andere als vorbei. Die Männer, die ihn überlebt haben, sind körperlich und seelisch verletzt. Auch Kommissar Rath ist einer der vielen 'Kriegszitterer', die sein Kollege 'Flattermänner' nennt, und wirft Morphium ein. Das Ruppig-Autoritäre, die Brutalität waren auch Kompensationsstrategien, das exzessive Partymachen, der Drogenkonsum Möglichkeiten, sich zu betäuben. Man ahnt, einer wie Hitler wurde unter anderem möglich, weil er den Menschen Erlösung versprach von diesen Ängsten und Schmerzen. Wer mag, kann daraus eine nette Pointe ableiten: Es gibt nicht wirklich eine Alternative dazu, sich seiner Vergangenheit zu stellen und seinen Traumata, wie schmerzlich und schmachvoll das auch immer sein mag. Versucht man statt dessen bloß, zu vergessen und sich zu betäuben oder meint man, Schlussstriche ziehen zu müssen, wird es richtig übel werden. Durchaus ein Statement in diesen Zeiten. Es gibt Schlechteres.

Zumal am Beispiel Lottes auch vorgeführt wird, wie Kapitalismus funktioniert: Kaum dass sie sich es eben leisten kann, wird sie selbst zur Ausbeuterin, wenn auch nur im Kleinen und auf nette Art, aber unübersehbar. Das mag nicht sonderlich originell sein, erfreut aber ebenfalls in diesen Zeiten.

Was ist noch positiv? Das Schauspielerische ist untadelig (kann eine Produktion, in der Unkorrumpierbare wie Matthias Brandt und Karl Markovics mittun, wirklich völlig schlecht sein?). Man sieht, dass mit Tom Tykwer, Achim von Borries und Hendrik Handloegten, die die Gereon-Rath-Krimis von Volker Kutscher als Drehbücher adaptiert und Regie geführt haben, echte Könner am Werk waren, die Kompromisse ablehnen. Nichts wirkt hier billig runtergekurbelt, man bekommt Kinoqualiät zu sehen. Es gibt wohlkomponierte Bilder, rasante Kamerafahrten und Tykwers signature move, das Standbild. Erkennbar haben die Produzenten peinlich aufs Detail geachtet. Etwa, wenn Lotte und ihre Freundin Erbsensuppe bei Aschinger aus Originalporzellan löffeln. Dann wiederum unterlaufen grobe Schnitzer wie der, dass eine mehrfach prominent ins Bild gesetzte Dampflokomotive eine Baureihe 52 ist, die es 1929 noch lange nicht gab, und die auch nicht, wie gezeigt, ohne weiteres in der Sowjetunion auf russischer Breitspur hätte fahren können. Mag das bloß eine Kleinigkeit sein, die nur Eisenbahn-Aficionados auffällt, sticht anderes weit unangenehmer ins Auge.

Man hat, wie gesagt, sichtlich große Mühe darauf verwandt, das Elend und den Dreck im Berlin der so genannten Goldenen Zwanziger möglichst ungeschönt zu zeigen und nostalgische Verklärung gar nicht erst aufkommen zu lassen. Die verranzten Klos, die hygienischen Verhältnisse bzw. Nicht-Verhältnisse, in denen etwa Lotte leben muss. Die Elendsprostitution verlebter Vielfachmütter. Dass in Schlachthöfen Kinder arbeiteten, die die Maden aus dem Fleisch pulten. Wenn man sich überhaupt diese Mühe machte. Wer etwa Tucholsky gelesen hat, kann das alles wissen, aber selten wurde das so gnadenlos ins Bild gesetzt. Kaum jedoch wird aus solchen Nahaufnahmen in die Totale geschwenkt, etwa über den CGI-generierten Alexanderplatz von damals, ist plötzlich alles geleckt und pittoresk, als sei soeben feucht durchgewischt worden. Es gibt Modelleisenbahnen, die ein ehrlicheres Bild zeigen. Eine Millionenstadt, in deren Häusern Tag für Tag Millionen Holz- und Kohleöfen qualmten und Industrieabgase ungefiltert in die Luft geblasen wurden, sah definitiv anders aus.

(Dass allzu brutal gefilmtes Elend immer auch unter Propagandaverdacht steht, so nach dem Motto: Was geht’s uns heute doch vergleichsweise gold mit Hartz IV und all dem anderen üppigen Sozialgepamper, steht noch einmal auf einem anderen Blatt. War sicher nicht Absicht der Autoren. Aber erwähnen sollte man's schon.)

Irgendwann während dieser ersten Folgen 'Babylon Berlin' wähnte ich mich wie auf einer Zeitreise in die Siebziger und Achtziger. Da wurden - Stichwort: alte Tugenden - im öffentlich-rechtlichen Fernsehen immer wieder historische Mehrteiler von beachtlicher Qualität ausgestrahlt. Die hatten vielleicht nicht so superaufwändige Kulissen und zeitbedingt natürlich auch noch keine tolle Computergrafik. Im Hinblick auf Detailverliebtheit aber, auf schauspielerische Leistungen und darauf, ein Zeitkolorit möglichst getreu einzufangen, standen diese Produktionen dem aufwändigeren 'Babylon Berlin' nur in wenig nach. Nur musste man damals kein Bezahlfernseh-Abonnent sein. Denn das ist die eigentliche Impertinenz an der Sache: Dass die 40 Millionen größtenteils von der ARD degeto und damit von Gebührenzahlern aufgebracht wurden. Die durften zwar berappen, bekommen das Produkt aber erst in mehr als einem Jahr zu sehen.

Babylon Berlin. D 2017. Seit 13. Oktober immer freitags um 20:25 Uhr auf Sky one, irgendwann auch mal im Ersten.




5 Kommentare :

  1. >>Denn das ist die eigentliche Impertinenz an der Sache: Dass die 40 Millionen größtenteils von der ARD degeto und damit von Gebührenzahlern aufgebracht wurden. Die durften zwar berappen, bekommen das Produkt aber erst in mehr als einem Jahr zu sehen<<

    Hallo Hr. Rose, ditte is neoliberal geprägter Kapitalismus, wa! Die Doofen zahlen zuerst und gucken zuletzt, fast wie im richtigen Leben.

    Die DEGETO, seit sie von Schäubles Tochter geleitet wird, hat sich nur noch dem >>Sparkurs<< der Geschäftsführerin verpflichtet. Familiengene!

    Die ersten Jahre der Ägide Christine Strobl (geb. Schäuble) waren durch stark eingeschränkte Produktionsarbeit gekennzeichnet, die nicht wenige Schauspieler arbeitslos machte und nicht wenige Filmproduktionen in den Bankrott trieben. Zudem wurden und werden immer mehr DeGeTo-Produktionen mit Hilfe von Zweitverwertern wie Netfick gestemmt, sodass sich die ARD-Mediathek zu einer deutschen Intranet-Mediathek entwickelt hat, da fast jeder interessant erscheinende, gut besetzte Film mit Geoblocking versehen wird. Das war auch der ursprünglice Sinn des INTERnets, Geoblocking.

    Das ZDF folgt diesem Trend seit 2016 vermehrt. IM Ausland lebende Deutsche wissen was ich meine, aber das sind wir Deppen ja selbst schuld. Wären wir halt im Reich geblieben.....

    Jedenfalls, danke für die Besprechung, sie ist gut zu lesen und dabei informativ.

    OT: Ich habe nie verstanden, warum sich Leute über das private Bezahlfernsehen aufregten.

    Ich sehe keinen Unterschied zu Rundfunkgebühren, seit einigen Jahren Zwangsgebühren und privaten Anbietern.

    Auf die Programmgestaltung hatte man als Zahler nie Einfluß, weder im ÖR-Betrieb, noch bei Premiere, Sky und wie sie noch alle heißen werden.

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    1. Gut, so gesehen ist streng genommen alles Pay-TV. Auch die sogenannten Privatsender wurden seinerzeit mit erheblichen Fördermaßnahmen, a.k.a. Steuergeldern, aufs Gleis gesetzt. Eigentlich sind Angebote wie Sky, Netficks etc. noch die ehrlichsten von allen. Man zahlt für ein Produkt, und wenn man nicht mehr zufrieden ist, dann kündigt man halt und zahlt auch nicht mehr. Bei den Öffis keine Option...

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  2. Bei "Babylon Berlin" fehlt ;wie haben die Damen(Prostituierte)verhütet.Mir ist bekannt, in den Schlafzimmer der Hochfinanz wurden Kondome(Julius Fromms Act)verwendet.Daher ist auch nur wenig Nachwuchs produziert worden(das Vermögen wurde nicht verschleudert unter zuviel Nachwuchs).Auch das gehört ins Berlin 1900;eine der Hochburgen Europas in Sachen Mädchenhandel,Prostitutien übrigens auch im Strichergewerbe.(Info /www.Verhütungsmuseum Wien)

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  3. Seit dem unseligen Mauerfall sind die meisten Kulturschaffenden quasi nur noch auf diese Möchtegern-Metropole fixiert. Wie zu Zeiten der Weimarer Republik soll alles was BERLIN auskotzt, ausstinkt, ausschwitzt für knorke befunden werden. Leider lässt es der verflixte Länderfinanzausgleich im dummen föderalen Staat Deutschland nicht zu, dass die Stadt einen ähnlich makaberen Weg wie Detroit gehen muss. https://www.stern.de/politik/ausland/detroit-was-bedeutet-es--wenn-eine-stadt-pleite-ist--3371464.html

    Es wäre bald Schluß mit so hummelbrunzdummen Serien wie "Berlin, Berlin", oder doofen Liedern von Kaiserbase.

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