Sonntag, 15. Dezember 2019

Schmähkritik des Tages (34)


Heute: Rainer 'Don Alphonso' Meyer und Hannes Soltau über die Blockflöte

"Die Blockflöte ist die Kalaschnikow unter den Musikinstrumenten: Enorme Durchdringkraft, unverkennbares Geräusch, unverwüstlich, billig in jedem Kaff Bayerisch Afghanistans zu beziehen, und richtet auch in Kinderhänden schon maximalen Schaden an." (FAZ.NET, 4.7.2009)

"Was die Freunde des Instruments dabei aber meist unterschlagen: Die Blockflöte ist ein musikevolutionärer Zombie, der eigentlich längst seine ewige Ruhe neben Drehleier und Schalmei auf dem Instrumentenfriedhof der Geschichte verdient hätte. Als im 18. Jahrhundert der Kampf der Aufklärung gegen die Folter erfolgreich war, verschwand mit der Streckbank und den Daumenschrauben nämlich auch die Blockflöte als Geisel der Menschheit.


Es waren dann ewiggestrige Deutsche, die sie im 20. Jahrhundert der wohlverdienten Vergessenheit entrissen und ihre Kanonisierung in der bürgerlichen Musikpädagogik vorantrieben. […] Die Blockflöte wurde einzig dafür geschaffen, den kindlichen Geist zu brechen. Ein Instrument, sie zu knechten, sie alle zu schinden, ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden. Durch die komplexe Atemtechnik und Koordination wird jede menschliche Regung konsequent unterdrückt. Junge Delinquenten können seit Jahrhunderten ein Lied davon flöten." (Tagesspiegel, 15.12.2019)


Anmerkung: Adventszeit ist Blockflötenzeit. Dies Aerophon gilt als unkompliziertes, leicht zu erlernendes und somit für Kinder besonders geeignetes Instrument. Was aber Quatsch ist. Was könnte bitte einfacher sein als eine Klaviertaste zu betätigen? Draufdrücken und - pling, instant success! Weil ich als Kind zuweilen eine gewisse Tapsigkeit an den Tag legte, wurde ich eine Zeitlang zu einer Ergotherapeutin geschickt. Die versuchte unter anderem, mittels einer Blockflöte meine Feinmotorik zu schulen. Was aber misslang. Meine Eltern waren von meinen Versuchen zum Glück so wenig angetan, dass sie freundlicherweise von weiteren derartigen Maßnahmen absahen.

Ich habe auch nicht prinzipiell was gegen die Blockflöte. Ein sehr elegantes Instrument. Nur eben nicht in Kinderhänden. Erst recht nicht zwangsweise.

 
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Klar, einer Blockflöte ein paar Töne und einfache Melodien zu entlocken, ist für Kinder schon irgendwie machbar. Ein solches Moped so zu bedienen, dass das Resultat nicht zur Ohrenfolter gerät, ist hingegen durchaus anspruchsvoll, dem Geigenspiel hierin nicht unähnlich, und erfordert viele Jahre ausdauernden Lernens. Ich vermute eher, es liegt am Preis. So ein Rohr ist, da leicht industriell herzustellen und ohne sensible Mechanik auskommend, das mit Abstand am preiswertesten zu beschaffende 'richtige' Musikinstrument. Dazu ist es robust und unempfindlich. Vor allem das dürfte es zum angeblich idealen Einstiegsinstrument für die lieben Kleinen hat werden lassen.

Im bürgerlichen Familien galt lange die Überzeugung, jedes Kind habe gefälligst ein Instrument zu beherrschen. Dagegen ist grundsätzlich wenig einzuwenden, solange das nicht mit Nötigung verbunden ist. Die Idee, Kinder flächendeckend zum Erlernen der Blockflöte zu drängen, muss hingegen als deutscher Sonderweg musikalischer Früherziehung gelten. Ob das grosso modo die hiesige Musikkultur weiterbringt, wage ich zu bezweifeln. Ich wette, in anderen Ländern lernen vergleichbar viele oder wenige Kinder und Jugendliche diverse Instrumente, ohne zuvor gezwungenermaßen auf der Blockflöte dilettiert zu haben. (Vielleicht hätten ehemalige Wunderkinder wie Anne-Sophie Mutter oder Frank Peter Zimmermann sogar jegliche Lust am Musizieren verloren, wenn es geheißen hätte: Nix Geige, erst Blockflöte!)

Und so werden hierzulande nunmehr seit Generationen wehrlose Bewohner von Seniorenheimen, dazu Eltern, Großeltern, Verwandte sowie andere Besucher vorweihnachtlicher Festivitäten mit obertonreichem Getüte und Gefiepe traktiert. Und haben das gefälligst süß zu finden und frenetisch zu applaudieren. (Nicht nur zur Weihnachtszeit übrigens, die diesbezügliche Höchststrafe ist der alljährliche Auftritt des Blockflötenchors beim Konzert der Musikschule.) Sind es die eigenen Kinder, kann man sich noch damit trösten, dass blockflötender Nachwuchs jenseits des zehnten Lebensjahres mit jedem weiteren Jahr seltener anzutreffen ist. Für die bedauernswerten Senioren hingegen gilt: Schwerhörigkeit kann auch eine Gnade sein.

In memoriam Anto Karaula (1974-2018)





9 Kommentare :

  1. *rofl* Ich lieg noch unterm Tisch... *Lachtränen wegwisch* Wenn ich Blockflöte übte, nahm meine Mutter unseren (leidenden) Hund und ging spazieren - und zwar lange. Irgendwann haben wir's dann gelassen, dem Hund zuliebe. Der hörte das Gepfeife ja noch lauter...

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    1. Vermutlich sind auch noch diverse elektrische Garagentore aufgegangen...

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  2. Ich hatte hier eigentlich das ultimative Thinkpiece zum Sitzplatzgate erwartet. Stattdessen geht es um Lärmschutz. Und beim Thema Blockflöten noch nicht mal eine Anspielung auf das DDR-Parteiensystem. Was geht, Recklinghausen?

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  3. Der Mann hat aber Eltern, Geschwister, Haustiere und Nachbarn sicher lange quälen müssen, bis er sein Quiekholz so souverän im Griff hatte.

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    1. Darüber möchte ich lieber nicht nachdenken. Aber es war es definitiv wert.

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    2. Ja, das ist klasse, was die da abliefern.

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  4. Am einfachsten zu spielen ist die Sopranflöte, dann die Tenorflöte und zum Schluß die Altflöte. Das Geheimnis am Blockflötenspielen ist, nicht zu dolle auszuatmen. Die Sopranflöte verträgt mehr Atemluft als die Tenorflöte und diese mehr als die Altflöte. Das zu lernen braucht vielleicht ein paar Monate. Und dann muß man die Griffe lernen. Das war auch schon die ganze Kunst. Wer das beherrscht, kann Blockflöte spielen. Am Ende steht also das ultimative Erfolgserlebnis. Beim Klavierspielen hingegen. Richtig Klavierspielen kann man ja erst, wenn man zumindest Chopin spielen kann. Um Liszt, Prokofjew, Ravel spielen zu können, braucht muß man schon mehrere Jahre lang jeden Tag mehrere Stunden üben. Viel Zeit für wenig Erfolgserlebnis also. Welches Kind will das schon?

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  5. Um vorweg Deine frage zu beantworten, was einfacher sein könne als eine taste am klavier zu betätigen: eine taste an einem nicht anschlagsdynamischen keyboard drücken, das hört sich für die meisten menschen allerdings eher »unnatürlich« an. Wenn man die tasten am klavier sehr zaghaft und vorsichtig drückt, kommt gar kein oder ein leiser ton. Greift man beherzter in die tasten, wird es lauter. Das ist eine der schwierigkeiten beim klavierspiel, daß man die tasten mit dem richtigen druck anschlagen muß. Wenn man beispielsweise im homeoffice arbeitet und das blag aus dem erdgeschoß zum achzigsten mal am nachmittag »Für Elise« aus den tasten quält, fängt man an, den alten Beethoven zu beneiden. Aber nicht, weil der so gut komponiert hat.

    Mutmaßlich haben die herren Meyer und Soltau noch nie richtige flötenmusik gehört. Beim wort »blockflöte« denken die meisten automatisch an hausbackenes rumgepiepe auf der sopranblockflöte. An einem der besten konzertabende, die ich bisher erlebte, gab es ein blockflötenquartett - ein bekannter von mir hatte eine karte dafür gewonnen und wollte da auf keinen fall hin. Weil avantgardistische musik gespielt werden sollte und die musikerinnen alle die hochschule besucht hatten (tatsächlich: blockflöte kann man studieren), bin ich hingegangen und habe es keineswegs bereut. Es ist eher bedauerlich, daß es so viele blöde vorurteile gibt und deshalb derartige musik selten oder nie aufgeführt wird. Am besten haben mir die stücke gefallen, die auf Paetzold-großbassblockflöten gespielt wurden.

    Eine davon kann man hier

    https://youtu.be/1bfvx5my5qo

    sehen und hören (ebenfalls Wildes Holz, die ich bisher leider noch nicht kannte)

    Selbst so etwas banales wie das Star-Wars-Theme klingt auf dem ding interessant. Das ist noch nicht die tiefste tonlage, die es gibt. Aber billig sind derartige instrumente schon - für den preis bekommt man nicht einmal einen SUV, sondern höchstens einen läppischen kleinwagen.

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