Samstag, 9. Januar 2021

Pussy Grabber Riot


Der 22jährige Basketballer Nathan Davis ist momentan nicht zu beneiden. Der gebürtige US-Amerikaner lebt gerade in meiner bescheidenen Heimatstadt, wo er bei einem örtlichen Basketballverein unter Vertrag ist. Und weil wir hier in der Provinz sind, steht andauernd ein Bratwurstschreiber von der hiesigen Lokalpresse bei ihm auf der Matte und der arme Kerl muss dann immer erzählen, als Kronzeuge quasi, wie schlimm er Donald Trump finde und das, was da am Mittwoch vor den Augen der Welt geschehen ist.

Zeugen eines Putsches bzw. eines Putschversuches seien wir alle geworden, als ein entfesselter Mob am 6. Januar 2020 das Kapitol in Washington D.C. stürmte -- so ventilierten’s die Tage Medien, Politiker und Meinungshaber aus aller Welt. Könnte daran liegen, dass das Wort 'Putsch' einfach so niedlich-witzig klingt. Eine andere Erklärung fällt mir spontan nicht ein. Mit solider politischer Analyse hat dergleichen jedenfalls nur am Rande zu tun.

Man sollte das eine oder andere nicht aus dem Auge verlieren. Anlässlich der Debatte um die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes am 18. November 2020 stürmten von AfD-Abgeordneten eingeladene Aktivisten das Reichstagsgebäude. Anders als am Dreikönigstag in Washington, gab es keine Randale, vor allem kamen keine Menschen zu Schaden. Aber das zugrundeliegende Muster ist das gleiche: Eine politische Kraft, die mit Rechtsextremen kooperiert, wenn nicht selbst ist, öffnete ihren Sympathisanten die Türen zum Parlamentsgebäude. War das ein Putsch? Nein, natürlich nicht. Das war eine symbolische Aktion, ein Einschüchterungsversuch, der klar machen sollte: Fühlt euch nicht zu sicher hier in eurem Reichstag, wir kriegen euch! 

Was in Washington passiert ist, kam nicht überraschend. Und wer das doch behauptet, sollte sich fragen lassen, aus welchem speziellen Grund. Die Sache war seit November in sozialen Medien diskutiert und angekündigt worden, sogar von Trump selbst. Man kann daher mit Recht fragen, wieso die Nationalgarde, die bei den Black Lives Matter-Demos noch große Entschlossenheit gezeigt hatte, auf einmal einen eher schluffigen Eindruck machte (kleiner Tipp: Die District of Columbia National Guard untersteht allein dem Präsidenten). Aber ein Putsch war auch das nicht. Hefte raus, Klassenarbeit! Was ist das eigentlich, ein Putsch?

"Ein Putsch oder Staatsstreich [...] ist eine meist gewaltsame und überraschende Aktion von Angehörigen des Militärs oder paramilitärischer Organisationen und/oder einer Gruppe von Politikern mit dem Ziel, die Regierung zu stürzen und die Macht im Staat zu übernehmen."

So sagt's jedenfalls Tante Wikipedia. Klar, man kann jetzt spitzfindig sein und sagen: Haha, es ging überhaupt nicht darum, eine Regierung zu stürzen, sondern einen amtierenden Präsidenten im Amt zu halten. Aber das ist unerheblich. Vor allem ist so ein Coup d’etat kein spontaner, lokal begrenzter Ausbruch wie am Donnerstag, sondern ein koordiniertes Vorgehen, das, wenn es Erfolg haben soll, sorgfältig im Voraus geplant werden muss. (Auch der Sturm auf die Bastille 1789, der hier vielleicht als Analogie herhalten kann, war vor allem ein symbolisches Ereignis, der wahre Umsturz wurde schon seit Monaten verborgen in Versailles und Pariser Kaffeehäusern eingefädelt.)

"Ein Putsch setzt schließlich die Möglichkeit voraus, sich des staatlichen Gewaltmonopols zu bemächtigen. Auch in den Vereinigten Staaten wäre so etwas im Prinzip denkbar, aber nicht unter den heutigen Bedingungen. Nein, die Attacke auf den Kongress war eine durch und durch symbolische Aktion und auch als solche geplant. Sie sollte einen anderen, ebenfalls symbolischen Vorgang unterbrechen, die Zertifizierung des Wahlsiegs Joe Bidens. Das ist gelungen." (Gero von Randow)

Da Trump ein ungebildeter, launischer Charakter ohne erkennbare Grundsätze ist, der vier Jahre lang quasi aus dem Bauch heraus regiert hat, ist er auch zu sorgfältiger, systematischer Planung nicht in der Lage und hat im Zweifel noch jeden gefeuert, der es ist. Zumal ein Putsch auch voraussetzt, über die Mittel zu verfügen, die Straße zu übernehmen, die öffentliche Ordnung zu kapern. Auch daran fehlte es Trump. Zwar konnte er bei der Wahl im November so viele Wähler mobilisieren wie noch kein unterlegener Kandidat vor ihm, doch waren die, die da in Washington Kasalla gemacht haben, weit davon entfernt, eine straff durchorganisierte Miliz zu sein, die fähig wäre zu koordiniertem Vorgehen.

Überhaupt sind politische Ziele bei Donald Trump nicht zu erkennen, weil es sie nicht gibt. Aller dröhnenden 'MAGA'-Rhetorik zum Trotze, geht es ihm nicht um Amerika oder irgendetwas anderes. Sein politisches Programm ist er selbst, mehr hatte er nie und hat er nicht zu bieten. Allenfalls könnte man sagen, Trump schwebte vor, die USA umzuwandeln in ein autoritäres Gebilde, in dem er als Präsident auf Lebenszeit und Begründer einer Dynastie mit seinen Kindern als natürlichen Nachfolgern nach Gutdünken durchregiert wie der CEO einer Firma und Behörden, Justiz und Verfassungsorgane wie der Kongress ihm gefälligst zu Diensten zu sein haben.

Um die Ereignisse vom Mittwoch einzuordnen, ist es hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und das größere Bild zu betrachten: Die US-amerikanischen Republikaner stehen seit Jahrzehnten vor dem Problem, immer wieder neue Wählerschichten erschließen zu müssen, da ihre eigentlichen Stammwählermilieus - vornehmlich Wertkonservative und Wirtschaftsliberale mit traditionellen Werten - aus demographischen Gründen im Schwinden begriffen sind.

Ronald Reagan gelang es einst, die traditionell politikfernen Evangelikalen des Mittleren Westens als Wähler zu gewinnen. Seither ist Religion in den USA keine reine Privatsache mehr. Niemand, der dort ein politisches Amt anstrebt, kommt noch aus ohne öffentliche religiöse Bekenntnisse, die in Europa eher Befremden auslösen. (Der pathetische Patriotismus, den Reagan und seien Strategen über das Land auskübelten, half zudem dabei, die sozialen Verwerfungen zuzukleistern, die der neoliberale Umbau der Gesellschaft zwangsläufig mit sich bringen würde.)

Trump und vor allem seinem früheren Strategen Steve Bannon ist es gelungen, Milieus wie die 'QAnon'-Bewegung, White Supremacists und Nazis in für ihre Zwecke zu mobilisieren. Die so skrupel- wie prinzipienlose Republikanische Partei legte ihre Vorbehalte gegen den Emporkömmling bald ab, scharte sich mehrheitlich hinter dem "selbsterklärten Sexualstraftäter" und ließ ihn gewähren, sobald klar wurde, dass er eine echte Chance hatte, ins weiße Haus einzuziehen. Nur darum ging es.

Der viel beschworene 'Sturm aufs Kapitol' war kein Putsch, sondern das letzte Häufchenmachen eines Abgewählten. Trump wird in ein paar Tagen gehen und Geschichte sein, aber sein Vermächtnis wird bleiben: Er hat Rechtsextremen den Zugang zur Politik geöffnet und sie werden in Zukunft ein Wörtchen mitreden. Nicht alle halten das für eine schlechte Nachricht in diesen Zeiten.





7 Kommentare :

  1. Schätze, Trump macht in nächster Zeit seine eigene Partei auf, die einfach nur TRUMP heisst, folgerichtig. Plus einem begleitenden TV-Sender namens TRUMP und einem Twitter-Ableger, den könnte er evtl. TRUMP nennen.

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  2. Dem ist nichts hinzuzufügen. Sehr gute Analyse, die ich teile.

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  3. Die Sperrung seine Accounts von Twitter, Facebook und Youtube mag Trum schmerzen, aber er wird sicherlich in Kürze Alternativen dazu finden. Wirklich treffen würde es ihn sicherlich, wenn er bei McDonalds, Burger King und KFC Hausverbot bekäme.

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