Samstag, 2. April 2022

Dänen lügen doch

 
Freunde anspruchsvollen Fernsehgenusses, die der Firma Netflix gestatten, ihnen einen monatlichen Obolus von der Mastercard zu hobeln, sollten sich Donnerstag, den 14. April, dunkelrot im Kalender anstreichen. Denn da läuft die vierte Staffel der brillanten dänischen Serie 'Borgen' an ('Borgen' heißt zu deutsch 'Burg‘, womit Christiansborg in Kopenhagen gemeint ist, Sitz des dänischen Parlaments, der Regierung und des Obersten Gerichts). Die Staffeln 1-3 sind dankenswerterweise für Otto Normalgebührenzahler in der Arte-Mediathek verfügbar. An diejenigen, die es noch nicht gesehen haben und interessiert sind, wie Politik funktioniert, ergeht hiermit eine dringende Empfehlung mit dezentem Befehlscharakter.

Die erste Staffel wurde schon 2010 ausgestrahlt. Ich habe das als notorischer Spätzünder - Sie wissen schon: Brontosaurus, der noch kurz vor dem Asteroideneinschlag noch genüsslich auf einer halben Tonne Blätter rumkaut (was mir übrigens im Angesicht eines eh sicheren Weltuntergangs nicht als allerunklügstes Verhalten erscheint) - erst mit erheblicher Verzøgerung von etlichen Jahren entdeckt. Ich lernte: Dänen können nicht nur Lego, hyggelig, quietschrote Wiener, Hot Dogs, Smørrebrød und mindestens so langweilige Biere wie Deutsche und Niederländer, sondern jenseits depressiver Krimis auch exzellentes Fernsehen.

Worum geht es? Eigentlich nur darum, dass die ehrgeizige Politikerin Birgitte Nyborg Christensen (Sidse Babett Knudsen) von der fiktiven linksliberalen 'Moderaten Partei' am Beginn der ersten Staffel überraschend Dänemarks erste Premierministerin wird. Mehr nicht. Und doch sehr viel.

Die Serie kreist um drei Zentren: Um Christensens Amtsführung als Premierministerin, um ihr Familienleben mit Ehemann (Mikael Birkkjær) und zwei Kindern und um ihre Antipoden in den Medien, die ambitionierte junge Journalistin Katrine Fønsmark (Birgitte Hjort Sørensen),  Torben Friis (Søren Malling), den Nachrichtenchef des Fernsehsenders TV1 und um Michael Laugesen (Peter Mygind), den ehemaligen Chef der 'Arbeiterpartei', der von Christensen zum Rücktritt getrieben wird und dann Chefredakteur des Boulevardblattes 'Ekspres' wird. Dazwischen bewegt sich Birgittes Spin Doctor Kasper Juul (Pilou Asbæk), ein Borderline-Charakter, Zyniker und Frauenheld.

Das, was wir in den Medien von Politik zu sehen bekommen, ist meist bloß das Ergebnis von Prozessen, die wir nie oder nur selten zu sehen bekommen. In 'Borgen' sehen wir, wie Politik hinter den Kulissen funktioniert. Wie um Ämter, Mehrheiten und Entscheidungen gefeilscht wird, wie politische Werte ein ums andere mal Kompromissen weichen (müssen), wie Ideale ins Wanken geraten und wie haarscharf das, was gemeinhin politische Kommunikation genannt wird, am Rande der Lüge entlangschrammt. Obwohl Politik und Medien nicht gut wegkommen, steht das alles meilenweit über dümmlicher Denunze der Marke 'Politiker sind alle korrupt und geldgierig'. Dazu sind die Figuren zu komplex. Täter und Opfer, Gut und Böse gibt es nicht. Auch nicht dumpfes Glorifizieren von Frauen als ewige Opfer und Verdammen von Männern als böse Täter, obwohl 'Borgen' einen stark feministischen Blickwinkel einnimmt. Geht doch.

Wir verfolgen, wie das politische Geschäft, in dem es kein Privatleben gibt, sich in die Familien und Freunde all derer hineinfrisst, die sich darin bewegen, und sie letztlich fast alle zerstört. Selbst ein politisches Urgestein wie Bent Sejrø (Lars Knutzon), Birgittes engster Freund und Mentor, kommt nicht ohne Beschädigung davon. Mehr als einmal klingt an, dass Politik nur etwas für Menschen ist, die dafür gemacht sind, will heißen: süchtig nach der Droge Macht sind; andere halten das nicht durch. Nur ein wirklicher Zyniker wie der Rechtspopulist Svend Åge Saltum (Ole Thestrup) fühlt sich in diesem brutalen Mileu pudelwohl.

Was wir nicht bekommen: Fundamentale, dezidiert linke Kritik am herrschenden System. Der Kapitalismus steht nirgends zur Debatte. Die im weitesten Sinne linken Parteien, die sozialdemokratische 'Arbeiterpartei' und die grüne 'Milieupartei', sind genau so Teile des Systems wie alle anderen auch, Idealisten wie Amir Diwan (Dar Salim) von der Milieupartei schmeißen irgendwann das Handtuch. Nur in der dritten Staffel, als der linke Wirtschaftsprofessor Søren Ravn (Lars Mikkelsen) sich Birgittes Team anschließt, klingt das eine oder andere an, was mich der vierten Staffel mit Vorfreude entgegensehen lässt.

Die in Deutschland weitgehend unbekannten Schauspieler sind glänzend, die Spannung hoch, obwohl es selten Action gibt. Wie gekonnt Dramaturgie und Dialoge sind, lässt sich daran erkennen, wie gut die Serie gealtert ist. Obwohl in den ersten Staffeln asoziale Netzwerke noch unbekannt und Smartphones in den Kinderschuhen sind, fällt das kaum je auf. Überhaupt, die Dialoge! Sind voller Schlüsselsätze. Einer wie "Man muss manchmal auch Dinge tun, die einem nicht gefallen", fällt mehr als einmal und steht wie ein Leitmotiv über allem. Und wenn Birgitte einmal sagt: "Jetzt bin ich noch keine 100 Tage im Amt und habe das dänische Volk bereits angelogen.", ist es endlich raus: Dänen lügen doch.






Keine Kommentare :

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.