Samstag, 29. Juli 2023

Sommerloch: Steinerne Schlussstriche


"Watt fott ess, ess fott." (Rheinisches Grundgesetz, § 4)

Ich bekenne, durchaus etwas über und ein Faible zu haben für alte Gemäuer und so genannte 'geschichtsträchtige' Orte. Stehe ich im Oktogon des Aachener Doms, vor dem Speyerer Dom, in der Hagia Sophia, der Kathedrale von Saint-Denis, am Londoner Tower, auf dem Forum Romanum, der Nürnberger Kaiserburg oder an ähnlichen Orten - you name it - und lasse die Gedanken schweifen, dann geht mir das Herz auf. Als Kind und Heranwachsender fand ich den alten Kram erst totenöde, da komplett uninteressant, dann war er mir egal. Als ich begann, mich für Geschichte zu interessieren, wurde das anders. Wer mit mir in den Kölner Dom geht, muss sich auf einen längeren Aufenthalt gefasst machen, denn ich finde immer was Spannendes zu entdecken.

Wenn von den massiven Veränderungen deutscher Innenstädte seit dem Krieg die Rede ist, verengt sich die Debatte schnell auf die Folgen alliierter Bombenangriffe (über die Gründe wird noch zu reden sein). Dabei gerät leicht aus dem Blick, dass vieles auch dem Wiederaufbau nach dem Krieg geschuldet ist. Noch bis in die Achtziger wurden in Westdeutschland ganze historische Quartiere bewusst verfallen gelassen, um sie mit Grund abreißen und mit einförmiger Investoren-Architektur zupflastern zu können. Der Hausbesetzerszene der Siebziger, die einige dieser Aktionen erfolgreich vereitelte, werden im Nachhinein große Verdienste etwa um die Erhaltung des historischen Frankfurter Westends zugeschrieben. Dabei trieb die Hausbesetzer ursprünglich nicht Nostalgie um, sondern Pragmatismus: In den großzügig geschnittenen Altbauwohnungen war Platz genug für alternative Lebensformen, die modernen, auf die Bedürfnisse von Kernfamilien zugeschnittenen Wohnungen wären schlicht zu eng gewesen.

Meine werte Heimatstadt hat, für das Ruhrgebiet eher ungewöhnlich, im Krieg kaum etwas abbekommen. Bis in die Fünfziger stand am Marktplatz ein barockes Bauensemble, in dem unter anderem bis 1906 das alte Rathaus untergebracht war. In den Fünfzigern wurde das weggeräumt und gegen einen sechsstöckigen Flachdachbau ersetzt. Die Reaktion der Bevölkerung und der Presse? Allgemeiner Beifall. Tenor: Juhu! Endlich wird auch unsere Stadt modern und bekommt ihr erstes Hochhaus. Schwer nachvollziehbar heute, war aber so.

Als die Entscheidung fiel, die Dresdner Frauenkirche wiederaufzubauen, war ich zunächst angetan. Ein zivilgesellschaftlicher Akt des Bürgersinns, an dem ich trotz Steuerzuschüssen und des kleinkarierten 'Orgelstreits' nichts Schlechtes finden konnte. Zumal es auch in westdeutschen Städten Vergleichbares gab. So war die Innenstadt des niedersächischen Hildesheim noch im März 1945 zu 90 Prozent zerstört worden, bloß einige wenige Straßenzüge und Reste erhalten geblieben. Dom, Godehards-Basilika und die einzigartige Michaeliskirche wurden wiederhergestellt, ansonsten zog man funktionale zweigeschossige Sparkassenarchitektur hoch. Auch hier sorgte bürgerschaftliches Engagement dafür, dass das Knochenhaueramtshaus komplett und von den umliegenden Häusern immerhin die Fassaden wiederhergestellt wurden. Nachdem die überwiegend einförmige Nachkriegsarchitektur wieder abgeräumt war.

(Das ist sicher nett anzusehen, aber komme mir bitte niemand mit der Nummer, Fachwerkhäuser gäben einer Stadt ein unverwechselbares Gesicht, wie es halbgebildete Möchtegern-Architekturexperten nicht müde werden zum Besten zu geben. Als weitgehender Laie in solchen Dingen finde ich die meisten Fachwerkhäuser, von Ausnahmen abgesehen, völlig verwechselbar. Man kann mir x Bilder solcher Kästen zeigen, ich würde kein einziges erkennen. Fachwerk ist zunächst ein Bauprinzip. Bald begannen Reiche, das sichtbare Fachwerk mit Schnitzereien und Malereien zu behübschen, um ihren Reichtum zu demonstrieren. Später galt Fachwerk als alter Kram und viel davon verschwand unter Putz und anderen Verkleidungen. So auch in der Frankfurter Altstadt. Das nackte Gebälk romantisch zu finden, war ein Phänomen des 19. Jahrhunderts.)

Auch anderswo wird seitdem komplett Verschwundenes rekonstruiert wie nicht gescheit. Das Potemkinsche Gruselbauten wie das Braunschweiger Einkaufszentrum mit Schlossverkleidung oder das Berliner Betonskelett mit Schlossverkleidung sind gerade fertig, da machen sie sich an die Potsdamer Garnisonkirche, bekannt durch ihr Evergreen 'Üb' immer Treu' und Redlichkeit'. Aber eben nicht nur dafür. In Potsdam liegt das auch an der Bevölkerungsstruktur. Die ehemalige Residenzstadt beherbergt viele wohlhabende Berlin-Pendler und Prominente, die ihr kleines Bisschen Preußen wiederhaben wollen und über ausreichend Geld und Einfluss verfügen. Mit der Garnisonkirche ein barockes. Dummerweise auch ein militärisches und eines, in dem den Nazis endgültig den Weg geebnet wurde. Aber das ist wahrscheinlich nur geschichtsvergessenes, unpatriotisches, linksgrünes Gemecker

Geht auch anders.

Ein weiteres Problem an diesen ganzen Projekten ist, dass es, obwohl es um öffentlichen Raum geht, meist Investorenprojekte sind, für die die öffentliche Hand Geld zuschießen darf, die Öffentlichkeit weitgehend ausgeschlossen wird von Entscheidungprozessen. Das führt uns nun zur vor einiger Zeit fertig gestellten Frankfurter Altstadt. Bzw. jenes Areals, in dem 15 Fachwerkhäuser getreulich rekonstruiert wurden, drumherum der Rest als an den historischen Proportionen orientierte Neuinterpretationen.

Nun gehört der so genannte Krönungsweg zwischen Dom und Römer als Schauplatz zahlreicher Kaiserkrönungen des Heiligen Römischen Reiches zweifellos zu den historisch bedeutenden Landmarken Europas, vergleichbar dem erwähnten Aachener Dom und anderen Krönungskathedralen, der Wiener Hofburg oder auch dem Friedenssaal im Münsteraner Rathaus. Gegen eine historisch-kritische Rekonstruktion spricht also per se erst einmal wenig. Es geht aber um den Kontext, und der ist aus mehreren Gründen nicht unproblematisch.

Man könnte sagen: Hey, lass die Reichen sich doch ihre Manufactum-Altstadt bauen, wenn sie die Kohle übrig haben. Haben sie aber nicht. Oder wohl nicht genug. 15.000 Euro soll der Bau der antiken und antikisierenden Hütten im Schnitt pro Quadratmeter gekostet haben. Weil so was kaum zu kalkulieren ist, hat die Stadt Frankfurt jeden Quadratmeter mit durchschnittlich 9.000 Euro subventioniert. Dass es im Gegenzug für diese großzügige Hilfe auf Kosten der Allgemeinheit auch ein paar Sozialwohnungen dort geben wird, ist ausgeschlossen. Dass in Frankfurt schon 2016 23.000 (bezahlbare) Wohnungen fehlten? Scheint nicht so wichtig. Ist auch gar nicht gewollt. Cornelia Bensinger, Vorsitzende des Vereins 'Pro Altstadt', ist nach eigenem Bekunden für "homogene Besiedlung". "Heißt im Klartext: Alle an ihren Platz." (Adrian Schulz) Es sind verräterische Sätze wie der Bensingers, die offenbaren, warum die grassierende Wiederaufbaueritis vielleicht etwas zu gut in diese Zeit passt.

Natürlich, wird dem entgegnet, profitierten am Ende doch alle von den Touristenmassen, die Frankfurts neue alte Gute Stube anziehen wird. Hach, die gute alte Trickle down-Theorie! Pumpste oben nur genügend rein, fallen unten schon irgendwann ein paar Brosamen für die Armen ab. Hat noch nie irgendwo funktioniert, wird aber immer noch gern genommen. Beruhigt zudem zuverlässig jede eventuell aufkeimende Gewissenswallung. Jede Wette, die Anzahl derer, die gerade keine Wohnung finden in FfM und in nächster Zeit zählbar und nachweislich von dem Budenzauber profitieren, wird so überschaubar sein, dass ich problemlos für jeden eine Kiste Binding ausloben kann.

In Dresden ist es nicht bei der Frauenkirche geblieben. Ganze Stadtviertel stehen inzwischen so pastellig-barock wieder da wie niemals zuvor und jeder modern daherkommende Bau dazwischen wird ausgebuht. Dresden ist inzwischen wohl die wiederaufgebauteste der im Krieg zerstörten Städte überhaupt. Und, hat das irgendwie dazu beigetragen, Frieden zu stiften, Wunden zu heilen? Wirken die Dresdner jetzt zufriedener, entspannter, so insgesamt? Kann ich nicht wirklich beurteilen, so als Externer.

Möglichst getreue Rekonstruktionen können durchaus sinnvoll bis sinnstiftend sein. Die Wiederherstellung der weitgehend zerstörten Warschauer Innenstadt nach dem Krieg etwa war vor allem ein Akt des Widerstandes, ein Zeichen, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Nur ist es ein Missverständnis, dass allen 'historische' Städte lebenswert seien. Auch hässlich wiederaufgebaute (Köln, Rotterdam, Stuttgart, Bochum) oder komplett unfertige Städte (Berlin) können hohe Lebensqualiät bieten, wachen Bürgersinn, Kreativität und pulsierendes Leben beherbergen. Mithin alles, was denen, die nach Restauration homogendeutschen Biedersinns sich sehnen, ein Dorn im Auge ist.

"Die Rekonstruktionsarchitektur entwickelt sich in Deutschland derzeit zu einem Schlüsselmedium der autoritären, völkischen, geschichtsrevisionistischen Rechten. Denn hinter gleich zwei glänzenden Architekturoberflächen neu errichteter oder noch neu zu errichtender Geschichtsbilder verbergen sich mitunter Machenschaften von Rechtsradikalen und selbst Rechtsextremisten, die mit Hilfe eines scheinbar nur-ästhetischen Diskurses zunehmend politische Terraingewinne im lokalstolzen, kulturell interessierten, aber teils eben auch politisch naiven Kulturbürgertum verbuchen können." (Stephan Trüby)

Vollends gaga wird es daher, wenn dahergeschwallt wird, als hätten die letzten 70 Jahre gar nicht stattgefunden. Im Kampf gegen den angeblichen 'Dogmatismus der Nachkriegsarchitektur', "worunter für sie alles fällt, was nicht nach Grimms Märchen oder Kaiser Wilhelm aussieht" (Schulz, ebd.), haben Neurechte eine neue Kampfzone gefunden. So ist es also wohl kein bloßer Zufall, dass die Rekonstruktion der Frankfurter Altstadt auf die Initiative eines prominenten Rechtsradikalen zurückgeht.

Wie gesagt, eigentlich mag ich historische Städte und alte Gemäuer. Wenn's da nicht mufft.



Dieser Beitrag ist hier zuerst am 13. September 2018 erschienen und wurde an einigen Stellen gekürzt und erweitert.





3 Kommentare :

  1. Siewurdengelesen29. Juli 2023 um 20:16

    Der (K)Protzbau des Berliner Schlosses ist dabei auch nur ein extremes beispiel, wie uniform in den Städten derzeit gebaut wird. Imho sieht gefühlt in jeder zweiten Stadt inzwischen ein Hotel, Einkaufszentrum oder ein anderer Monumentalbau so fahlgelb mit Schlitzfenstern aus und ist nur Fassade und ansonsten in erster Linie hübsch häßlich. Aber irgendwie musste ja der Abriß von Honis Lampenladen gerechtfertigt werden. Schinkel und Co. hören vermutlich gar nicht mehr auf zu rotieren.

    Aber so bekommt halt jeder, was er verdient und womit er sich identifiziert.

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  2. Guten Tag,
    im Grunde ist es doch recht einfach: in den Innenstädten wird für die Reichen gebaut. Hauptsache "mittendrin" — Hauptsache die Rendite stimmt. Der Pöbel soll gefäligst da wohnen, wo es preiswerten Billig-Wohnraum gibt, also weit draußen, oder man soll gefälligst in den sozialen Brennpunkten unter sich bleiben.
    Willkommen im Kapitalismus.

    Gruß
    Jens

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    1. Tja, so isses eben, erst hatten die Solventen ihre Villen draußen liegen, dann wurde urbanes Residieren in und die Stadtquartiere wurden durchgentrifiziert und jetzt bekommen die weniger Solventen zu hören, wenn sie sich die Mieten in den Städten nicht leisten könnten, dann sollten sie doch aufs Land ziehen...
      @Siewurdengelesen: Ich habe mal gelesen, diese Schießschartenfenster seien bei Gewerbeimmobilien so angesagt, weil so jeder Angestellte auch bei modularen Büros die gleiche Fensterfläche hat. Sieht halt nur schexxe aus.

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