Donnerstag, 25. Januar 2024

Best of both Worlds


Dass Eisenbahnen früher staatlich und Eisenbahner Beamte waren, hatte seinen Grund. Ursprünglich waren Bahnen privatwirtschaftliche Kinder des Frühkapitalismus. Einzelne Unternehmen, die auf eigene Rechnung fuhren. Die erste deutsche Eisenbahn, die zunächst zwischen Nürnberg und Fürth verkehrende Königlich privilegierte Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft, war eine Aktiengesellschaft. Staatlich wurden Bahnen erst später.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entdeckte das Militär den Nutzen der Eisenbahnen für die immer größeren, weiträumigeren und schnelleren Truppenbewegungen. Es ist bis heute Konsens der historischen Forschung, dass die unter Federführung Preußens erzielten Siege 1866 und 1871 ohne die Nutzung der Eisenbahn nicht möglich gewesen wären. Auch die Logistik der beiden Weltkriege (und der Shoah) wäre ohne Bahn undenkbar gewesen. Nach dem ersten Weltkrieg fungierte die Bahn zudem als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für demobilisierte Soldaten, die sonst auf der Straße gestanden hätten.

Apropos: 1919 wurde auch die Technische Nothilfe gegründet, die bald um die 50.000 Mitglieder hatte, überwiegend ehemalige Soldaten und arbeitslose Ingenieure und Techniker. Deren Aufgabe war "die Verrichtung von Notstandsarbeiten in bestreikten, als lebenswichtig eingestuften Betrieben (Gaswerke, Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Reichsbahn, Reichspost, Landwirtschaft, Nahrungsmittelerzeugung etc.), sofern diese nicht von deren eigenen Belegschaften selbst durchgeführt wurden." (Wikipedia)

Auch im Kalten Krieg war die Eisenbahn noch dringend nötig. Die riesigen Panzerarmeen, die die Militärdoktrinen in Ost und West vorsahen, waren nur auf der Schiene zu transportieren. (Das Gerücht, Hitler habe den Bau der Autobahnen vorangetrieben, um der Wehrmacht schnellere Transportwege zu verschaffen, hält sich bis heute hartnäckig, bleibt aber ein Gerücht. Die aus billigen Betonteilen schnell zusammengemörtelten Leichtbau-Pisten wären unter den schweren Lkw-Kolonnen bald zu Schotter zerbröselt. Der Autobahnbau war als Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise vor allem ein Beschäftigungsprogramm und ein Propagandaprojekt.)

Und so ist es kein Zufall, dass die Bahnreform bzw. Bahnprivatisierung erst nach 1990/91 in Angriff genommen wurden. Dachte man doch in der ersten Euphorie, mit dem Kollaps der bipolaren Welt seien auch große Armeen obsolet geworden. Die Argumente der Prediger der freien Wirtschaft, die jedem verfilzten, trägen Staatsgewurstel überlegen sei, fielen nach dem imaginierten 'Ende der Geschichte' auf fruchtbaren Boden. Und so privatisierte man. Und übersah da einen kleinen Nachteil: Angestellte von privaten Unternehmen dürfen streiken. Vermutlich meinte man im neoliberalen Rausch der Neunziger, alle würden so vom durch die Decke gehenden Wohlstand profitieren - Trickle down, anybody? -, dass Streiks eh bald überflüssig wären.

Tja, und jetzt ist wieder Notstand. Angefeuert von skrupellosen Schienen-Stalin Weselsky (nicht dafür, Springerpresse, helfe immer gern) legen die verantwortungslosen Bahner das ohnehin schon rezessionsgeplagte Land lahm. Menschen kommen nicht zur Arbeit, Reisende sitzen fest, Stillstand allerorten. Abgesehen davon, dass das Gejammer völlig überzogen ist, weil deutsche Unternehmen ob der absurd niedrigen Streikquote in Deutschland eh im Paradies leben, sollte man vielleicht noch an folgendes erinnern: Es ist nicht Aufgabe von Gewerkschaften, Verantwortung für Wohl und Gedeih der Gesamtwirtschaft zu übernehmen. Gewerkschaften sind Interessenverbände, deren Ziel es ist, für ihre Mitglieder das unter den herrschenden Umständen beste herauszuholen. Das ist so wenig unmoralisch wie die Tatsache, dass Unternehmen zuvörderst Gewinne erwirtschaften.

Überdies ist es nicht ohne Pikanterie, wenn Gewerkschafter sich ausgerechnet von einem Unternehmen, dessen Vorstände sich trotz verfehlter Ziele noch millionenfette Boni auszahlen lassen, Raffgier vorwerfen lassen müssen. Dann wäre da noch das lächerliche Gebrammel von der 'kritischen Infrastruktur'.

Normalerweise ist es verdächtig und es herrscht Schwurbelalarm, wenn alles ganz einfach ist, aber hier ist wohl eine Ausnahme zu machen. Wenn man die Bahn zur 'kritischen Infrastruktur' zählt, also zu jenen Teilen der Volkswirtschaft, die unter keinen Umständen ausfallen dürfen, dann gibt es genau zwei Möglichkeiten, Streiks zu verhindern: Die Mitarbeiter:innen wieder verbeamten, dann dürfen sie auch nicht streiken. Oder sie so bezahlen und auch sonst vertraglich so ausstatten, dass ein Streik so unwahrscheinlich ist wie möglich. Ganz einfach.

Es ist wie so oft: Man predigt Marktwirtschaft und Unternehmertum, aber bitte nur, so lange man profitiert davon. Großunternehmen, die sonst vehement wettern gegen jegliche Einmischung des Staates, haben keine Probleme, im Notfall Staatshilfen aus Steuergeldern abzugreifen. Um drei Tage später wieder über die brutale steuerliche Belastung zu jammern. Wenn aber die Mitarbeiter:innen der Bahn, denen man seit nunmehr drei Jahrzehnten erzählt, sie seien Privatwirtschaft (und sie so behandelt), sich erdreisten, sich auch so zu benehmen, wozu dann eben auch das Wahrnehmen des Streikrechts zählt, dann mögen sie bitte arbeiten wie Beamte, die Diensteide geschworen haben.

Bei allem Verständnis für Bahnfahrer und Pendler, die gerade Unannehmlichkeiten aushalten müssen und mit denen ich wirklich nicht tauschen mag: Ich glaube, es hackt!







14 Kommentare :

  1. Interessanter Artikel.
    Dass Gewerkschaften das Beste herausholen müssten, ist mir allerdings neu. Ich las bisher nur, dass Gewerkschaften für gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne kämpfen. Weselsky, den Diether Dehm als "mutigsten Gewerkschafter der Republik" bezeichnet, sieht das womöglich anders, ihm geht es anscheinend nicht um faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen, sondern wirklich nur darum, das Maximum herauszuholen. Egal zu welchem Preis.
    Der Tiefschlag gegen die "Springerpresse" wäre nicht nötig gewesen. Weselsky selbst ist auch nicht zimperlich im Austeilen, wenn er von "Nieten mit Nadelstreifen" spricht. Klar, dass das Sozialistenherz bei solchen Äusserungen gleich höher schlägt.
    Seit ihrer Gründung im Jahr 1994 ist die Deutsche Bahn (DB AG) eine Aktiengesellschaft. Was aber oft vergessen geht: Sie befindet sich zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes. Also nichts da von gierigen privaten Konzernen, die im Notfall Staatshilfen aus Steuergeldern abgreifen.
    Ich war übrigens immer dagegen- auch in der Schweiz- , dass die Bahn eine AG wurde.

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    1. Ich korrigiere: "Nieten in Nadelstreifen"

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  2. ... guten Tag,
    den beratungsresistenten Deppen im damaligen Verkehrsministerium hätte ein Blick nach England reichen sollen, um das mit der Privatisierung und Aufteilung in Infrastruktur und Bahnbetrieb ganz schnell sein zu lassen.
    Aber wie gesagt, man war zu doof und zu verbohrt und wollte zumindest einen Teil des Schwachsinns umsetzen.

    Frage in die Runde: wer war eigentlich der letzte, anerkannt fähige Verkehrsminister der BRD? (und jetzt kommt mir nicht mit Seebohm oder Leber ...)

    Gruß
    Jens

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  3. Siewurdengelesen26. Januar 2024 um 10:34

    Danke für´s Geräusch!

    Im Nebenzimmer bei Claudia Klinger habe ich bereits etwas aus unserer Berufsalltag und den Hintergründen ob der Heftigkeit der Tarifkonflikte zwischen GDL und DB AG geschrieben, falls es interessiert. Alles schreibe ich hier nicht noch einmal;-)

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  4. Zuzeiten wurden Streiks, gerade auch der GdL, von der Linken begrüßt. Vorbei.

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    1. Siewurdengelesen27. Januar 2024 um 12:26

      "Zuzeiten wurden Streiks, gerade auch der GdL, von der Linken begrüßt. Vorbei."

      Paralleluniversum, Glaskugel kaputt oder Fehlgriff bei der Quellenauswahl?

      Meine Suchmaschine und das Konsultieren "linker" Quellen ergibt bei mir ein anderes Bild. Willkommen in der Realität ausserhalb von Trollhöhlen.

      Nicht dafür und EOD

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    2. Gehe im Zeltstrahl zurück. Vor etwa 2009. (Jungspund.)

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  5. OT-Zitat: "Schmarotzer sind Menschen, die vom Geld anderer leben." (Philipp Türmer, Bundesvorsitzender der Jusos, 26. Januar 2024 auf Twitter)
    Was wohl los wäre, wenn Friedrich Merz das gesagt hätte?

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    1. Mit recht. Wenn Merz von "Schmarotzern" redete, wären damit Schwächere wie Arme, Arbeitslose u.a. gemeint. Wenn Türmer davon redet, meint er Leute, die "ihr Geld für sich arbeiten lassen". Rechts tritt nach unten, links nach oben. Sollte einem bewusst sein, der Unterscheid

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    2. "Menschen als "Schmarotzer" zu bezeichnen, ist Nazisprache." (Andreas Kemper)

      Fazit: Nazisprache von Rechten ist schlecht - Nazisprache von Linken ist gut.

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    3. Und Zitate aus dem Zusammenhang zu reißen ist Hetzerhandwerk, Hüssy.

      In diesem Land werden Arbeitslose und Arme seit Jahrzehnten stigmatisiert. Aber wehe, einer gibt mal mit gleicher Münze zurück, dann geht sofort das rechte Mimimi los. Widerlich.

      Übrigens: Wenn Menschen als Schmarotzer zu bezeichnen "Nazisprache" ist, was ist es dann wenn man Menschen als "Tiere" bezeichnet?

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    4. Oh, Herr Rose liest meinen Blog. Interessant.

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    5. @Hüssy gääääähn

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