"Verrat, Sire, ist nur eine Frage des Datums." (Talleyrand)
Einige mögen insgeheim gehofft haben, Jürgen Klopp wechsele nach seiner Auszeit zu einem hoffnungslos abgeranzten Unterligaclub in der Provinz. Mit Aschenplatz und Stehplatzbutze, deren Kabinen noch in dem Zustand sind, wie sie einst vom Reichssportbund gebaut wurden. Die nach Schweißmauken und Vorhaut müffeln und wo nur kaltes Wasser aus den Duschen kommt. Wenn überhaupt. Kein Geld aber viel Herz. Den Laden würde das nappagesichtige Motivations- und Mentalitätsmonster mit den 42 Zähnen dann binnen weniger Jahre erst in die zweite, dann in die erste Bundesliga und dann mindestens ins Europa League-Finale führen.
Auf dem Weg dorthin würde er noch ein paar Todkranke per Handauflegen heilen, den dauerbesoffenen Platzwart von seinem Alkoholproblem kurieren, der Stadt ein Fünfsternestadion mit 45.000 Plätzen bauen, Wasser in Wein verwandeln und jeden Morgen über den See zur Arbeit laufen. Am Ende dann, wenn der Abschied nahte, versönke alles in einem Meer aus Tränen und Dankbarkeit und er verkündete, seine Einkünfte sozialen Einrichtungen zu spenden.
Tut er aber nicht. Was macht er stattdessen? Geht in die Zentrale von Red Bull. Als Head of Global Soccer. Was immer das genau sein mag. In den Augen nicht weniger Fans hätte er genauso gut sagen können, er habe soeben das Auenland mit einer Wasserstoffbombe eingeäschert, danach ein paar süße Kätzchen ertränkt, ein halbes gegrilltes Einhorn gefrühstückt und jetzt heuere er als Darth Vaders Privatsekretär auf dem Todesstern an. Der Jürgen doch nicht! Der ist doch einer von uns!
Der Frust über Klopps Entscheidung hat viel mit Sehnsüchten zu tun. Derjenigen nach Resten einer heilen Fußballwelt nämlich, in der Geld doch noch nicht alles, zumindest aber nicht immer nur das Allesentscheidende sein soll. Die Hoffnung, wenigstens im Fußball möge es doch bitte, bitte nicht so zugehen wie überall sonst. Man möge dort noch das finden, was zum Beispiel Ehen nicht mehr bieten. Für immer und in guten und in schlechten Tagen und so. Dass Loyalität belohnt wird und Untreue bestraft.
Klopps herausragende Stärke mag tatsächlich seine gnadenlose Zugewandtheit sein, sein unbedingtes Interesse an Menschen, seine Fähigkeit, allen, vom Stürmerstar bis zur Toilettenfrau, das Gefühl zu geben, unverzichtbarer Teil von etwas ganz Besonderem zu sein. Dafür spricht, dass er meist nach einigen Jahren ausgebrannt ist und eine Pause braucht. Introvertierte wissen, wie viel Energie so was kostet.
Wer jetzt herumschäumt und von "Verrat!" schwadroniert oder von "Ideale verkauft!", übersieht aber zweierlei. Erstens: Klopp muss inzwischen längst nicht mehr für Geld arbeiten, davon hat er mehr als genug. Zweitens: Auch menschliche Qualitäten, Ideale und Werte sind in diesen spätkapitalistischen Zeiten längst in Euro und Cent umgerechnet. Die Loyalität der Fans zu ihrem Verein ("Echte Liebe"), die Kreativität der Ultras und die Stimmung, die sie im Stadion machen, sind letztlich genauso quantifizierbare Assets wie die Eintrittspreise, die Performance der Mannschaft oder die Qualität des Caterings.
Dann wäre da noch das mit der Tradition. Denn Red Bulls diverse Sportfranchises gelten nicht wenigen als traditionslose, 'künstliche' Retortenprodukte (wer da übrigens latenten Antisemitismus findet, kann ihn behalten). Es hat durchaus Tradition im Fußball, Spieler, die es wagen, 'ihren' Verein zu verlassen, als ehrlose Koofmichs zu schmähen. "Ausgerechnet Schnellinger!"*, entfuhr es Ernst Huberty 1970 während des 'Jahrhundertspiels', als ebenjener Karlheinz Schnellinger, der als einer der ersten nach Italien gewechselt hatte, wo er für ein fürstliches Gehalt bei AC Mailand sich verdingte, noch den Ausgleich zum 1:1 schoss. Als vorbildhaft galten damals noch nibelungentreue Urgesteine wie Uwe Seeler und Berti Vogts, die sich eher ohne Betäubung einen Fuß hätten amputieren lassen, als ihren Heimatvereinen den Rücken zu kehren.
Fans des traditionsreichen BVB, wo man Klopp noch immer hinterhertrauert, pfeifen regelmäßig Gegner wie Hoffenheim oder RB Leipzig aus wegen Kommerz und seelenlos und keine Tradition und so. Alt zu sein allein ist aber noch kein Verdienst. Oder ist es irgendwie edler und seelenvoller, Angestellten einer Kapitalgesellschaft zuzujubeln, die sich von einem Rüstungskonzern sponsorn lässt? Der Berufskraftfahrer Sebastian Vettel wurde beim Dosenrennstall Red Bull mehrfach Formel 1-Weltmeister, kackte dann aber, allem fahrerischen Können zum Trotze, bei Ferrari, dem traditionsreichsten Team der Formel 1, gnadenlos ab.
Tradition ist also auch nicht alles bzw. nützt nichts, wenn das Umfeld ein unprofessioneller, unfokussierter Haufen ist. Fragen Sie Anhänger des FC Schalke 04.
Und wie das so ist mit lebenslangen Bindungen, hadert der Verfasser dieser Zeilen seit dem Einstieg von Rheinmetall doch recht heftig mit seiner nunmehr seit 1989 bestehenden, bislang unverbrüchlichen Anhängerschaft zu Borussia Dortmund.
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* Gern wird hier was weggelassen. Huberty sagte vollständig: "Ausgerechnet Schnellinger, werden die Italiener sagen!"
Danke! Habe viel gelacht und genickt. Fun Fact zu RB Leipzig. Der Verein hat nur 21 handverlesene Mitglieder. Der DFB hat schon mehrfach angemahnt (selbstverständlich kenne ich einen Mitarbeiter persönlich), den Fans eine Mitgliedschaft zu ermöglichen. Red Bull hat keinen Bock auf eine Mitgliederversammlung mit Rederecht für jedermann (ein Bekannter von mir hat mal seine Rede bei den Kluberern wochenlang vor dem Spiegel geprobt, der FCB hat 300.000 zahlende Mitglieder). Aber Red Bull ist für Kloppo nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum Bundestrainer. Read it from my hips.
AntwortenLöschenHinterher wird das Idol sagen, er hätte davon nichts gewußt.
AntwortenLöschenSchon 2019 hat das staatliche Bundesinstitut für Risikobewertung vorgerechnet: Wenn ein rund 50 Kilogramm schwerer Junge zwei 250-Milliliter-Dosen eines typischen Energy-Drinks konsumiert, hat er bereits die für sein Gewicht als sicher angesehene Koffeinration von 150 Milligramm überschritten. Zwei Dosen des Marktführers Red Bull enthalten insgesamt 160 Milligramm der Substanz. 10 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland nehmen laut Befragungen etwa bei Computerspiel-Partys aber vier oder mehr Energy-Drinks zu sich.
„Bei einigen, die in den bewerteten Studien einen Liter getrunken hatten, zeigten sich moderate bis schwerwiegendere Wirkungen: Herzklopfen, Kurzatmigkeit, Muskelzittern, Übelkeit, Angstzustände, Nervosität sowie auch Veränderungen im Elektrokardiogramm (Herzstromkurve)“, warnt das Bundesinstitut. Es gibt etliche Berichte über Todesfälle im Zusammenhang mit dem Konsum von Energy-Drinks, auch wenn eine Kausalität bislang nicht bewiesen wurde.
Gibt es eigentlich auch schon Statistiken über Todesfälle im Zusammenhang mit dem übermäßigen Konsum von Rheinmetall-Produkten? Auf der Webseite des Unternehmens konnte ich keine finden. Produkte schon, aber keine Statisiken, meine ich.
AntwortenLöschenDie Konsumentenzielgruppe von Rheinmetall-Produkten sind also auch Kinder und Jugendliche. Jetzt bin ich klüger.
LöschenDarf ich den Kalauer "It´s the economy - stupid!" bringen?
AntwortenLöschenKlopp hat sich halt auch da einkaufen lassen, wo es wahrscheinlich am lukrativsten für ihn ist. Red Bull dürfte es recht egal sein, wer für sie das Konterfei hinhält, solange es nur verkaufsträchtig genug ist. Da gibt es zig andere Promis auch, die für eher zweifelhafte Produkte und eine Handvoll Kleingedrucktes den Deppen machen, obwohl sie ganz sicher wissen, dass das Zeug bei Essen und Trinken nichts Gesundes ist oder bei Finanzprodukten o.ä. nur die Konten der Werbenden füllt. Bei vielen hätte ich da mehr Anstand erwartet im Umgang mit solchen "Produktinformationen" - ist aber eben leider so. Nötig haben es finanziell vermutlich die wenigsten, für solchen Schrott den Drücker zu spielen.
Fußballvereine generell, deren fragwürdige Werbepartner und die Hintergründe? Siehe oben - solane es ein geschäft ist, welches nur den Sport als Aufhänger mißbraucht, kommt halt so etwas heraus dabei. Ethik und Moral sind da für die Tonne und wer bezahlt, bestellt halt auch die Musike dazu. Wes´ Brot ich ess, des Lied ich sing´...
...sad but true und deshalb werde ich in diesem Laden ganz sicher kein Fan der von Elias Schwerdtfeger so liebevoll bezeichneten Brüllballveranstaltungen, egal ob Proletenklub oder Schickeria-Verein.
... "Im Zeitraum 2008 bis 2017 kam im Schnitt pro Jahr ein Extremsportler ums Leben, dessen Unfall direkt mit Werbung für Red Bull in Zusammenhang gebracht wurde."
AntwortenLöschenMehr muß man eigentlich über diese Firma nicht wissen.
Irgendwie so eine Kombination aus Stefan Raab und Mario Barth im Softdrinkbereich — das Blödeste und Mieseste aus allen relevanten Bereichen des Business.
Gruß Jens