Friedrich Merz wurde nicht im ersten Anlauf zum Kanzler gewählt, und schon kocht die Bude über. Was das denn nun zu bedeuten habe, würde gemunkelt, als habe soeben das Orakel von Delphi orakelt. "Ogottotottogott, was soll nun bloß werden?", so wrangen große Teile der Journaille die Hände. Und tappten damit wieder einmal in die Falle, jede Abweichung vom Ewiggleichen als weiteres Zeichen des nahenden Weltuntergangs zu deuten. Akopalüze nau! Waren vermutlich dieselben Auguren, die an Wahlabenden immer mit diesen schlauen Interpretationen angeraunt kommen von wegen, was das denn nun genau über diesen mysteriösen 'Volkswillen' aussage.
Blödsinn auch zu unken, Merz sei damit von Anfang an geschwächt, es läge nunmehr ein [Horrorsoundtrack] SCHATTÖN! auf seiner Kanzlerschaft. Der Start einer Regierung sagt absolut nichts aus über deren weitere Performance. Siehe die 'Ampel'. Die begann superharmonisch mit Duzen, Selfies und Weißweinrunden, das Ende ist bekannt. Und es gibt vermeintlich schwache Regierungen wie die thüringische Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow, der kein halbes Jahr prophezeit wurde, die aber vier Jahre lang weitgehend geräuschlos regiert hat.
Ach so, es stärkt natürlich auch wieder die AfD! Ja natürlich. Und? So what? Das Problem ist, dass die AfD inzwischen so ziemlich alles stärker macht. Wenn ein Willi Wutbürger irgendwo in Posemuckel in einen Hundehaufen latscht, stärkt das die AfD. Weil der Laden inzwischen über eine beindruckende Routine darin verfügt, die Schuld an allem, was irgendwie nicht so läuft, der linksgrünwoken Weltverschwörung oder Migranten in die Schuhe zu schieben und jeden Kommafehler in einem 'Altmedium' zum untrüglichen Zeichen dafür aufzublasen, wie recht man schon immer hatte. Wer daran ernsthaft seine Politik ausrichtet, hat schon verloren.
Das heißt natürlich nicht, dass das, was gestern Vormittag passiert ist, so rein gar nichts bedeutet. Dass Merz im ersten Wahlgang nicht genügend Stimmen erhalten hat zum Beispiel, bedeutet: Er hat nicht genügend Stimmen bekommen. Warum, das wissen wir nicht. Weil die Abstimmung geheim war. Es sei denn, eine:r der Abweichler:innen outet sich. Aber auch dann wäre das halt eine Einzelstimme mit entsprechender Aussagekraft.
Was es ferner bedeutet: Die Zeit stabiler Mehrheiten, in vielen Länderparlamenten schon jetzt längst passée, ist nunmehr auch im Bundestag vorbei und die demokratischen Kräfte werden Wege finden müssen, damit umzugehen. That's democracy. Es bedeutet, Mehrheiten zu organisieren, notfalls von Fall zu Fall. Das mag im stabilitäts- und durchregierungsverliebten Deutschland wie eine Katastrophe sich anfühlen, ist aber im internationalen Vergleich ziemlich normal. Wir haben es also nicht zwingend mit einem Symptom eines Niedergangs zu tun, sondern vielmehr mit einem sich ändernder Zeiten, an die man sich wird gewöhnen müssen. Die Welt dreht sich weiter. Das setzt Zentrifugalkräfte frei, die auch an einer so in Geschlossenheit vernarrten Partei wie der CDU nicht spurlos vorbeigehen.
Vielleicht hülfe es auch, das Kurzzeitgedächtnis ein wenig aufzufrischen und sich zu erinnern, dass Friedrich Merz auch und gerade innerhalb seiner Partei immer wieder angeeckt ist. Für seine Wahl zum Parteivorsitzenden brauchte er mehrere Anläufe. Am Ende bleibt die triviale Erkenntnis, dass der bekanntermaßen zum Irrlichtern neigende Merz auch innerhalb der Regierungskoalition nicht unumstritten ist. Dafür gibt es Gründe.
Um diese Koalition zu zimmern, hat er die Neoliberalen in seiner Partei verprellt, indem er entgegen allen Ankündigungen direkt nach der Wahl die Schuldenbremse gelockert hat, er hat die Rechten in seiner Partei brüskiert, indem er deren Meinung nach bei den Koalitionsverhandlungen der SPD viel zu weit entgegengekommen ist, er hat die ostdeutschen Landesverbände an den Gang gestellt, die sich nicht genug repräsentiert sehen, und er hat auch den Koalitionspartner verprellt, indem er die SPD als Teil der 'Ampel' quasi am Vorabend der Bundestagswahl noch als 'grüne und linke Spinner' abqualifiziert hatte.
So wie nebenbei auch jene linken und grünen Spinner, deren Stimmen er für die Zweidrittelmehrheit zur Änderung des Grundgesetzes brauchte und die ihm gestern noch die Mehrheit für den Eilantrag verschafften, den zweiten Wahlgang noch am selben Nachmittag vorzunehmen.
Kann es da wirklich so über alle Maßen Wunder nehmen, dass da einige wenige sich gesagt haben werden "Na warte, Freundchen!"? Zumal das dank geheimer Abstimmung weitgehend folgenlos ist? Eine Frage allerdings stellt sich dringlich: Wollten da ein paar dem Chef einfach mal signalisieren, dass aus mal eben easy durchregieren nichts wird? Oder hat da am Ende gar ein Kreis um Jens 'Die AfD ist eine normale Partei!' Spahn schon mal eine erste Duftmarke gesetzt? Das wäre eine ungequeme Sache, aber auch da wissen wir eben nichts.
Bis es weitere Informationen gibt, ist also nichts weiter passiert als das, was Friedrch Merz schon öfter passiert ist und weswegen er immer mal eine Ehrenrunde drehen musste: Ihm ist nicht zum ersten Mal entfallen, dass die Neunziger vorbei sind. Alles andere ist Spökenkiekerei. Und wenn man sagt, so etwas wie gestern habe es noch nie gegeben im Bundestag seit 1949, was ja stimmt, dann gehört es zur Wahrheit dazu, dass es auch noch nie eine Regierungsbildung wie diese gegeben hat.
Hübsch analysiert. Dass es den Großteil der hiesigen Premium-Journaille so furchtbar irritierte, dass bei einer freien und geheimen Kanzlerwahl was anderes rauskommen konnte als vom designierten Kanzler und den Seinen gewünscht, zeugt von einem, freundlich ausgedrückt, recht eigenartigen Verständnis dessen, was eine freie und geheime Wahl ausmacht. Vielleicht sollten die Damen und Herren Pressevertretenden über einen Wechsel ihres Arbeitsumfelds nachdenken. Ich empfehle z.B. Nordkorea. Dort soll dem Vernehmen nach das Ergebnis einer Wahl immer schon davor feststehen. Oder gibts da gar keine Wahlen? Das wäre natürlich noch beruhigender.
AntwortenLöschenich bin garantiert kein Fan von Merz. Und das ihm einige wenigstens auf diese Weise sagten. Du bist nicht unser Wunschkandidat, aber wir haben keine Alternative, war klar. Ich wünsche ihm aber jetzt die Kraft, ein guter Kanzler zu werden. Und ich hoffe, das diejenigen, die mit der AFD liebäugeln, dann ganz schnell in die Belanglosigkeit verschwinden
AntwortenLöschenIch fürchte, das werden diese Leute nicht. Und ihre Lieblingspartei wird, sollte sie nicht wg. Verbot in den nazionalsozialistischen Untergrund gehen müssen - was ich für unwahrscheinlich halte -, eher noch weiter an Zustimmung gewinnen. Dass der Herr Merz in der Lage ist, die AfD zu verdoppeln, hat er schon bewiesen, als er noch nicht regierte. Ich wette, als Kanzler wird er dieses Kunststück noch einmal schaffen. Falls ich recht haben sollte, wünsche ich uns allen viel Kraft.
Löschen"Er hat nicht genügend Stimmen bekommen. Warum, das wissen wir nicht."
AntwortenLöschen... vielleicht weil er zu oft als aggresiver Unsympath rüberkommt?
Gruß Jens
Unter Weltuntergang machen es die Medien halt nicht mehr, solange es sich gut klickt.
AntwortenLöschenWer würde auch schon Artikel lesen, in denen mehrere Wahlgänge etcpp. als ganz normaler Vorgang im parlamentarischen Betrieb vorgesehen sind für solche Fälle?
Gääääääääääääähn...
Gefühligkeiten, Hofberichterstatten und Laberrhabarber verkaufen sich halt besser als Fakten.
Ach so: Bleibt eher zu hoffen, dass Dobrindts erste Luftnummer des Zurückweisen an den Grenzen und das damit geforderte Mehrpersonal einmal gleich an der Realität der fehlenden Beamten bei der Bundespolizei und zweitens vor dem Verfassungsgericht endet wegen der ziemlich sicher fehlenden rechtlichen Grundlage. Die brauchen halt ein paar Klatschen.
AntwortenLöschenIm Hause Trump scheint man nach diversen Kollisionen mit Realitäten und Fakten auch bereits zurückzurudern.
LöschenWie passend dazu - chrchrchr...
AntwortenLöschenWarum sollte ich als politischer Gegner von Merz nicht mit Häme und Sarkasmus reagieren, wenn dieser Volltrottel vor aller Welt aufs Maul bekommt - von den eigenen Leuten? Wer an dieser Stelle gleich zur Tagesordnung übergehen will, betreibt das Geschäft der Union. Selbst im staatstragenden Handelsblatt ist man über den Amateurkanzler hergefallen. Mehr davon!
AntwortenLöschenUnd was bleibt davon ausser der kleingeistigen Häme und Schadenfreude bzw. welchen Einfluss hat das auf die Regierungsarbeit eines Kabinetts Merz?
LöschenAber s.o. - über was sollten Medien auch sonst berichten.
PS. Das Konklave hat auch das zweite Mal zu keinem Ergebnis geführt. Zum Glück kennt da niemand die potentiellen Kandidaten, sonst würden sich ja ebenfalls alle ihre maximal künstlich intelligenten Mäuler darüber zerreissen. Hoffentlich geht morgen nicht die katholische Welt unter darob...
Die Kanzlerwahl ist die wichtigste Entscheidung des Bundestags in jeder Legislatur. Wer schon an diesem Punkt seine Koalitionsfraktionen nicht im Griff hat, wer Grüne und Linke zur Änderung der Tagesordnung braucht, um eine völlige Blamage (z.B. die Absage der Staatsbesuche in Paris und Warschau wg. eigener Unfähigkeit) zu vermeiden, wird wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren Schwierigkeiten bei der Mehrheitsfindung im Parlament haben. Nicht alle, die über Fritze Merz gelacht haben, sind Kleingeister, nicht alle, die diese Niederlage möglichst schnell unter den Teppich kehren wollen, sind große Denker.
Löschen"wird wahrscheinlich auch in den nächsten Jahren Schwierigkeiten bei der Mehrheitsfindung im Parlament haben."
LöschenUnd was ist dann in der jetzt kommenden Legislaturperiode anders als vorher, als speziell die FDP permanent Beschlüsse zerlegt hat und als Regierungspartei mehr Opposition war? Das Merz jetzt nicht gerade der Kanzler der Herzen ist, war ihm sicher auch vorher klar und im unangenehmesten Fall hätte eben im dritten Wahlgang auch die einfache Mehrheit gereicht, also so what? Hat ja lange genug darauf warten müssen, der "Big Boss" zu werden, da ficht den so eine vermurkste Kanzlerwahl dann auch nicht mehr ewig an.
Ob dann weitere 4 Jahre ähnlich ergebnisloses Bespaßen der Medien durch die Bundesregierung bei ihren Beschlüssen jetzt so dolle sind, nur damit jemandes niedere Instinkte bestätigt werden, mag jeder für sich entscheiden. Selber finde ich ja, dass die letzten Jahre genug Hofberichterstattung stattgefunden hat, wenn man das überbordende Gerotze in erster Linie gegen die Grünen so charmant umschreiben will. Da darf es ruhig wieder etwas mehr Sachpolitik sein. Den Stammtisch in den sozialen und alternativen Medien dazu fängt sowieso niemand mehr ein.
Das ist dann halt schlicht trotzdem politisches Tagesgeschäft und dafür sind Politiker meines Wissens gewählt worden. Wenn sie damit nicht klarkommen, dass sie auch mal Pfeffer bekommen, dann sollten sie sich halt einen anderen Job suchen - wäre jedenfalls die Antwort, die man so als normaler Beschäftigter von seinem Personaler oder Chef zu hören bekäme und die bei weit übleren Außerungen andere Politiker und Politikerinnen so zu hören und teils sogar gerichtlich bestätigt bekamen, selbst wenn es mehr als unter die Gürtellinie ging.
"Wenn ein Willi Wutbürger irgendwo in Posemuckel in einen Hundehaufen latscht, stärkt das die AfD"
AntwortenLöschen... für das Abgleichen gibt es 10 Punkte von 10 möglichen.
AfD-wählen ist wie "Leckeres aus dem Altglascontainer".
Gruss Jens
Nach der ganzen Hofberichterstattung zur Wahl hier mal ein Beitrag über die möglichen Konsequenzen der Politik der neuen Regierung, der sich angenehm abhebt vom restliche Geschwalle.
AntwortenLöschenSiewurdengelesen: Ja, den Text finde ich auch sehr gut. Insbesondere die These, wie man der AfD mit vernünftiger Sozialpolitik das Wasser abgraben kann. Diese möchte ich ergänzen um die notwendige schnelle Verbesserung der Infrastruktur (Brückensanierung z. B.). In einer der letzten Lanz-Sendungen saßen 4 Kommunalpolitiker, die unisono überzeugt waren, dass dauerhaft marode Zustände in den Kommunen die AfD strärken würden.
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