Bei der selbsternannten A für D ist offenbar wieder ein Laster mit völkisch durchgegorenem Ideenbrei umgekippt. So schlug AfD-Mann Hans-Joachim Tillschneider im sachsen-anhaltinischen Landtag vor, als Teil einer neuen Tourismusstrategie einen 'Stolz-Pass' einzuführen. Das soll so eine Art Stempelkarte sein, mit dem sich verbilligt historische Gemäuer ansehen lassen. Nun kann es gewiss lehr- und sinnreich sein und überdies ein schönes Hobby, sich so was anzuschauen, keine Frage. Meinethalben kann man das gern auch staatlich fördern (was eh bereits geschieht, da in der Regel die Bundesländer oder staatliche Stiftungen für den Erhalt zuständig sind). Es wurde und wird Staatskohle für weit Sinnloseres verpulvert. Aber warum 'Stolz'?
Es war und ist mir nach wie vor nicht begreiflich zu machen, wieso ich auf den bloßen Zufall meines Geburtsortes oder auch den meiner Abstammung stolz sein soll. Warum soll ich irgendwie stolz darauf sein, dass mir wildfremde Menschen vor mehreren hundert Jahren da eine Burg/eine Kirche oder was auch immer in die Landschaft gesetzt haben? Weil die auch so was wie Deutsch gesprochen haben (wiewohl die Wahrscheinlichkeit, dass ich sie verstanden hätte, nicht eben hoch gewesen wäre)? Es gibt weit mehr rationale Gründe für ein Kleinkind, stolz darauf zu sein, erfolgreich aufs Töpfchen gegangen zu sein und ein Häufchen gemacht, anstatt die Windel vollgekoffert zu haben. Oder für ein Schulkind, das eine Zwei geschrieben hat, Denn das ist wirklich so etwas wie eine Leistung.
Wer oder was hindert national besoffene Hobbyhistoriker eigentlich andauernd daran, bedeutende deutsche Baudenkmäler abzuklappern und stolz wie Bolle zu sein? Steht vor jedem dieser Bauwerke eine Patrouille der Woke-Polizei und ermahnt den patriotisch ergriffenen Betrachter, um Himmels Willen nicht stolz zu sein?
"Ich mache einen deutschen Spaziergang durch unsern deutschen Wald." (Tucholsky)
Aber der Spaß geht noch weiter. Zusätzlich zur deutschnationalen Schnitzeljagd soll eine 'Straße des Deutschen Reiches' eingerichtet werden. Dies Projekt ist nicht minder ulkig. Die Straße solle "alle bedeutenden historischen Stätten des 10. bis 16. Jahrhunderts nach Vorbild der Straße der Romanik zu einer auch touristisch nutzbaren Route [vebinden]." Soso, aha. Stellt sich natürlich als erstes die Frage, was genau "bedeutende historische Stätten" genau sind. Wer entscheidet das und nach welchen Kriterien? Die UNESCO-Welterbeliste taugt wohl nichts, denn da steht auch Schrott drauf wie das Bauhaus, das bei der AfD als "historischer Irrweg" gilt.
Stellt sich ferner die Frage: Wieso nur vom 10. bis 16. Jahrhundert? Wenn mit "Deutsches Reich" das Heilige Römische Reich (teutscher Nation) gemeint sein sollte, dann wird dessen Anfang gemeinhin schon im 10. Jahrhundert verortet, meist bei der Krönung Ottos I. 968. Das Reich bestand aber formell fort bis 1806, als die Veranstaltung nach der Niederlage gegen Napoleon aufgelöst wurde. Ein moderner Nationalstaat im heutigen Sinne war es nie, vielmehr ein mehr oder weniger loser Verbund aus monarchisch-dynastischen und nichtdynastischen Reichsständen. Die Rechtsnachfolge übernahm die Habsburgermonarchie in Wien, das 1871 gegründete Deutsche Kaiserreich war staatsrechtlich ein völlig anderes Gebilde, das mit dem HRR außer Territorien, Adelsdynastien und ein paar ikonographischen Anleihen nur wenig zu tun hatte.
Also, warum hört für die AfD Sachsen-Anhalt das Deutsche Reich im 16. Jahrhundert auf, also mit der Reformation und vor dem Dreißigjährigen Krieg? Vielleicht hilft es, wenn man sich vor Augen führt, dass durch dergleichen deutschtümelnden Budenzauber "ein grundsätzlich bejahender, unbelasteter, respektvoller und wertschätzender Umgang mit der deutschen Geschichte etabliert werden" soll. Na ja, und da stört so ein drei Dekaden währendes blutiges Gemetzel das idyllisch-verklärende Bild natürlich ganz erheblich.
Aber völkisches Denken und Logik, das scheint auch sonst nicht so wirklich zu funktionieren. Bzw. nur dann, wenn man einen höchst selektiven Umgang mit Fakten pflegt, wie sich am 9. Mai erst wieder zeigte. Da kam nämlich auf der offiziellen Feier in der russischen Botschaft zum Tag des Sieges über den Nationalsozialismus mit Tino Chrupalla ein hoher Vertreter einer ganz bestimmten Partei angeschissen, um Botschafter Netschajew seine Aufwartung zu machen.
Ein Vertreter jener Partei, das sei nur am Rande erwähnt, in deren Reihen gerne mal Kriegsverbrechen verharmlost und dafür eingetreten wird, Waffen-SS-Leute nicht per se kriminell zu finden (was dazu führte, dass die nicht unbedingt als links geltende Marine Le Pen nichts mehr mit dem Verein zu tun haben will). Jener Partei, in dem ein Bundestagsabgeordneter damit hausieren ging, das "freundliche Gesicht des Nationalsozialismus" zu sein und die laut Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" gilt. Als Geschenk überreichte Chrupalla übrigens eine Tasse mit einem preußischen Adler, als sei es wieder 1812. Ober sich ein wenig gefühlt hat wie einst General Yorck?
Auf seinen Besuch angesprochen, rechtfertigte Chrupalla sich wie folgt:
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Habe ich da was verpasst? Wo genau rollen deutsche Panzer wieder gen Moskau? Ich hatte eigentlich gedacht, die ukrainische Armee benutze unter anderem Panzer aus deutscher Produktion, um sich gegen einen Aggressor zu verteidigen. Kann es ferner sein, dass Wehrmacht, SS, SD et al. vor allem auf heutigem ukrainischem Territorium (damals Ukrainische SSR) 1941ff. am allerschlimmsten gemordet haben? Und ist die so genannte A für D nicht eigentlich die Partei, die fordert, diese lästigläppischen 12 Jahre ("Vogelschiss") nicht immer so irre wichtig zu nehmen und Schluss zu machen mit dem "Schuldkult"?
Aber was sind schon lästige Fakten, wenn es gilt, lohnende Kontakte gen Moskau zu pflegen?
... dazu hat der von mir hoch geachtete Wiglaf Droste 2001 eigentlich schon alles gesagt.
AntwortenLöschenhttps://taz.de/patriotismus-ist-die-religion-der-armen-schweine-von-WIGLAF-DROSTE/!1181233/
Gruß Jens
Derlei trost- und folgenlose Vorschläge sichern aber immerhin Medienpräsenz, sorgen für Empörung beim politischen Gegner und sind als Streicheleinheit für die eigene Klientel zu verstehen.
AntwortenLöschenHeimat ist da, wo man sich aufhängt. (aus "Bierherz", Franz Dobler, 1994)
AntwortenLöschen"Wo genau rollen deutsche Panzer wieder gen Moskau?"
AntwortenLöschenHm - vielleicht in Litauen? Vielleicht nicht so offensichtlich? Mehr so - vorsichtig? Die amerikanischen werden ja vom Sumpf gefressen, samt Besatzung. Schmatz.
Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass auch die weniger sympathischen Typen _nicht_ dauernd lügen.
Der Unterschied zwischen Offensive und Defensive kann als bekannt vorausgesetzt werden? Was wäre die Alternative? "Herzlich Willkommen, da lang!"-Schilder auf Russisch an der litauischen Grenze? Ach nee, lassen Sie mich raten: Sie sind für 'Verhandlungen', stimmt's?
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