Montag, 24. Juli 2017

Grenzerfahrungen in der Konsumgesellschaft (14)


Ende eines unfreiwilligen Selbstversuchs.

"Das dauert etwa fünf bis zehn Werktage, Herr Rose", flötet die freundliche Frauenstimme aus dem Festnetztelefon. Unerhört, erwidere ich so höflich wie möglich, wir lebten schließlich im 21. Jahrhundert und ob sie wisse, ja, ob sie eine entfernte Vorstellung habe davon, wie abhängig man inzwischen von den Dingern sei. Man könne ja quasi gar nicht mehr ohne, das sei ja gleichsam ein Körperteil heutzutage und ob es nicht möglich sei, mir einfach auf Gewährleistung ein Austauschgerät zukommen zu lassen. "Ich habe volles Verständnis für Ihren Ärger, Herr Rose, aber Sie müssen bitte auch den Hersteller verstehen, denn…" An dieser Stelle legte ich auf, bevor ich der Dame etwas in der Art reinschraubte wie: "Wissen Sie, wohin Sie sich ihr klebriges, verlogenes Gratisverständnis…?"

(Habe ich übrigens schon erwähnt, wie mir dieser superbillige Trick aus dem Vorkurs Kommnunikationstechniken für Dummies auf den Docht geht, einen beschwerdeführenden Kunden möglichst oft mit seinem Namen anzureden? Habe ich? Ich kann ja nur von mir reden, aber komischerweise bringt mich das noch zusätzlich auf die Palme.)

Was war geschehen? Das nicht einmal vier Monate alte mobile smarte Endgerät, seinerzeit angeschafft, weil das Altgerät eines Morgens spontan den Dienst komplett quittiert hatte, hatte nunmehr seinerseits den Dienst quittiert. Am Vortag hatte es sich noch einmal mit Mühe, Not und Glück hochfahren lassen, Tags darauf aber gefiel es ihm, bis zum Sankt Nimmerleinstage beim schmucken, wiewohl auf Dauer wenig nutzbringenden Startbildschirm zu verweilen. Wer weiß, vielleicht war die Selfie-Kamera am Sonntagmorgen meines arg verkaterten Antlitzes gewahr geworden, woraufhin der eine oder andere Schaltkreis vor Entsetzten sich entleibte, aber solche Überlegungen waren müßig.

Nun dünke ich mich ja bisweilen in grenzenlosem Übermut auf der cleveren Seite des Lebens groß geworden. Also schoss mir durch den Kopf, als das arge Zicken machende Teil ein letztes Mal sich hatte in Betrieb nehmen lassen: Es wäre vielleicht besser, jetzt ein Backup zu machen. Ich installierte die zu diesem Zwecke herunterladbare Software auf dem heimischen PC und wählte die Option: Telefonsicherung. Sicher war sicher. Natürlich sichert so eine Software nicht alles, wo denken Sie hin? Das grenzte ja fast schon an Nutzerfreundlichkeit, Komfort gar. Nein, sichern ließen sich nur Kontakte, Bilder, Mails, SMS und so was. Was sich in diversen Apps wie Whatsapp so angesammelt hat, ist tunlichst extra in der Cloud abzulegen. Scheiß drauf, bisschen Schwund ist immer, dachte ich, als ich das Programm anwies, nach getaner Sicherung die Gerätesoftware neu aufzuspielen.

Weil dieser Versuch fruchtlos blieb, opferte ich einen halben Nachmittag, den Mobilfunkladen aufzusuchen, über den ich das Teil dereinst bezogen hatte. Der mir inzwischen bekannte Verkäufer redet immer ein bisschen so wie Kaya Yanar und als habe er auf dem Großen Basar von Istanbul sein Handwerk gelernt. Als ich ihm die Geräteproblematik auseinandersetzte, meinte er: "Kein Thema, schickisch ein, hassu nächste Woche wieder. Kuckstu, machen wir so, weissu, unterschreibsu hier und dann…" Weil der Mann in der Vergangenheit bereits heldenmütig wie einst Kara Mustapha sehr gute Vertragsbedingungen für mich herausgefeilscht hatte, vertraute ich ihm. Was blieb mir auch? Guten Kaffee hatten sie dort in dem Laden.

Wieder daheim dachte ich: Gut, dass du noch deinen Uralt-Knochen mit Tasten hast und einen SIM-Karten-Adapter. Dann bist du wenigstens mobil erreichbar und kannst SMS verschicken. Indes, die paläolithische Technik von 2008 weigerte sich standhaft, meine aktuelle SIM-Karte zu erkennen. Vielleicht sollte ich das Deutsche Museum fragen, ob sie Verwendung für die Antiquität haben.

Der langen Rede kurzer Sinn: Eine Woche lang musste ich es aushalten ohne das angeblich am allerwenigsten verzichtbare Zubehörteil des modernen vollvernetzten Menschen. Und? Nix. Nada. Niente. Kein Problem. Gut, ich muss zugeben, dass ich mich an einige Bequemlichkeiten, die so ein Apparillo bietet, schon sehr gewöhnt hatte. Von der seit vielen Jahren gewohnten Melodie geweckt zu werden zum Beispiel. Der morgendliche Blick auf die Wetter-App. Die immer in Echtzeit verfügbaren Mails - all das ist ohne Frage angenehm. Und ja, auch die Möglichkeit, sich per Whatsapp schnell und unkompliziert austauschen zu können, hat mir gefehlt. Definitiv nicht gefehlt hat mir, von notorischen Scherzkeksen in einer Tour mit lustigen Bildchen und voll witzigen Sprüchlein zugemüllt zu werden, ebenso wie diverse Daddeleien mir nicht im Geringsten abgingen. Die Wartezeit beim Zahnarzt ward problemlos mit ausliegendem Totholz überbrückt. So viel zum Thema Smartphone-Sucht.

(Möglicherweise wirkt sich die Tatsache irgendwie aus, dass ich zwar nicht unbedingt ein strikter ein Gegner sozialen Netzgewerkels a’la Gesichtsbuch, instagram, pinterest etc. bin, das aber schlicht nicht praktiziere, da der Reiz, das Unverzichtbare daran sich mir altem Sack immer noch nicht erschlossen hat.)

Abschließend vielleicht eine Milchmädchenrechnung. Das Gerät kostet neu knapp 300 Euro. Ich habe es dank diverser Rabatte meines Mobilfunkanbieters für gut 200 bekommen. Material- und Herstellungskosten dürften sich grotesk darunter bewegen. Das Ding ist zu einem Service-Partner verfrachtet, durchgemessen und untersucht worden, es wurden so ziemlich alle wichtigen Teile ausgetauscht, es wurde endgeprüft (das weiß ich, weil über alles ein Bericht angelegt wurde) und mir wieder zugeschickt. Wenn sich’s rechnet, bitteschön. Bei Lichte besehen ist klar, wieso die Hersteller jeden einzelnen Fall derart aufwändig prüfen. Jeder Hans und Franz, dem sein smartes Fon auf den Boden gefallen ist, wird irgendwie auf Gewährleistung pochen. Arbeitsplätze schafft es allemal.


5 Kommentare :

  1. Bill Murray habe ich neulich gelesen, besitzt kein Mobiltelefon. Selbst übers Festnetz ist er nur mittels Anrufbeantworter erreichbar. Wer einen Rückruf erhält muss schon ein sehr interessantes Drehbuch haben. Mein Held! Der Kapitalismus wird erst sterben wenn die Menschen sich begnügen.

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    1. Durchaus beneidenswert, in der Tat. Nur ist Mr. Murray natürlich in einer Position, in der er sich's leisten kann. Man tritt halt mit Angeboten an ihn heran und er braucht sich nicht zu vernetzen, vulgo: anzupreisen...

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    2. Ich bin nicht Bill Murray, besitze diesen ganzen Müll auch nicht und lebe trotzdem noch. Alles nur selbsteingeredeter Mist, dass man das braucht.

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  2. "Der langen Rede kurzer Sinn: Eine Woche lang musste ich es aushalten ohne das angeblich am allerwenigsten verzichtbare Zubehörteil des modernen vollvernetzten Menschen. Und? Nix. Nada. Niente. Kein Problem."

    Sie sind mein Held! Eine ganze Woche ohne Smartphone! Wer schafft das heutzutage noch? Hätten Sie zwei Wochen durchgehalten, hätten Sie ein Buch drüber schreiben können und wären in der Spiegel-Bestseller-Liste gelandet (der Sieferle-Platz ist gerade vakant). Aber bei einer Woche reichts immerhin noch für einen Blog-Eintrag. Bei so viel Stehvermögen muss man sich schon mal selber feiern.
    Modisch sind Sie damit übrigens ganz vorne. Es ist nämlich gerade schwer in Mode sich über den sozialen Niedergang durch Smartphones zu echauffieren, während das Ding direkt vor einem liegt und man alle fünf Minuten draufschaut.
    So geschehen gestern bei der Verabschiedung einer Kollegin. Es wurde das Klagelied über das Smartphone von vier Kollegen gleichzeitig angestimmt und bei allen lag der Elektronik-Knochen in Griffweite: man könnte ja die nächste Doofie-Nachricht verpassen.

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    1. Ahahaha, nu hamses mir aber gegeben, Sie sind mir aber auch ein ganz ein Geistreicher!

      Spaß besiseite: Ihre luzide Gedankenführung weist Sie eher als jemanden aus, der gern mal abkotzt, um sich auf Kosten anderer besser zu fühlen und für den man Satire und Ironie extra kennzeichnen muss, nicht wahr?

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