Dienstag, 24. Juli 2018

Nur falsche Gewinner


Man muss kein Fan Angela Merkels sein, um ihr ein beängstigendes Gespür für politische Stimmungen zu bescheinigen. Vor vier Jahren noch ließ sie kaum eine Gelegenheit aus, sich in der Nähe der deutschen Fußball-Nationalmannschaft zu zeigen. War im Stadion zugegen und machte auch vor Besuchen in der Kabine nicht halt. Gut, das mit den Stadionbesuchen war dieses mal schwierig, weil die WM beim Iwan, pardon, beim Wladimir stattfand. Aber sonst? Bis auf ein kleines Shakehands auf der Durchreise in Südtirol war da wenig, wenn ich mich nicht täusche. Ahnte sie, welche Auswirkungen ein Fototermin zweier Spieler mit einem unverzichtbaren Verbündeten und 1A-Kunden der deutschen Rüstungsindustrie noch haben würde? Hatte sie Wind bekommen davon, wie es beim DFB hinter den Kulissen rumste?

Die Causa Özil ist ja unter anderem deswegen so fies, weil gerade ausnahmslos die Falschen gewinnen. Man sieht etwa Alexander Gauland förmlich vor sich, wie er, an einem Sherry nippend, im Lehnsessel sitzt und sich wie Mr. Burns von den Simpsons oder der irre Weltenbeherrscher in den alten James Bond-Filmen diabolisch ins Fäustchen lacht. Läuft für uns. Excellent.

Das türkische Autokratenregime hat einen Anlass, unter dem Jubel seiner grenzdebilen Fans mit dem ganz großen Finger auf Deutschland zu zeigen und zu sagen: Da seht ihr‘s wieder - alles Nazis! Das ist so pauschal natürlich Quatsch und stimmt nur teilweise, aber spätestens seit dem Wahlkampf Donald Trumps ist allgemein bekannt, wie aufgeweicht die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge ist und wie effektiv sich auch mit den absurdesten Aussagen Politik machen lässt.

Hierzulande wären da all die, die schon immer gewusst haben wollen, dass der Türk' nix taugt, ja noch nie was getaugt hat. Die jeden Muslim mit ausgestrecktem Zeigefinger belehren, dass Religion Privatsache sei, aber nicht müde werden, Özil seine (private) Wallfahrt nach Mekka und die (ebenfalls private) Tatsache, mit einer ehemaligen Miss Türkei liiert zu sein, aufs teutonische Graubrot zu schmieren.

"Nachdem beim Thema Flüchtlinge längst sämtliche moralischen und sprachlichen Barrieren gefallen sind, kann man sich nun auch wieder den Deutschtürken widmen, die man am Stammtisch beinahe schon vergessen hatte." (Juri Sternburg)

Weiterhin die unprofessionellen Apparatschiks um den überforderten Reinhard Grindel beim DFB. Die haben nicht zuletzt deswegen so herumgeeiert und sich um klare Statements zugunsten Özils herumgedrückt, weil sie sich auf seine Kosten einen schlanken Fuß machen und vom eigenen Totalversagen ablenken können. Dasselbe gilt übrigens auch für jene, teils technisch überforderten Mannschaftskollegen, die sich während der letzten vier Jahre im Weltmeistersein gesonnt, in Russland dann zwei Wochen lang offene Leistungsverweigerung betrieben haben und interessanterweise kaum in ähnlicher Weise angegangen werden wie Özil. Das muss dieser berühmte Teamgeist sein.   

Nebenbei gefragt: Was hat eigentlich einer wie Grindel, der sich als CDU-Abgeordneter explizit gegen Multikulturalität ausgesprochen hat ("Kuddelmuddel"), an der Spitze eines Sportverbandes zu suchen, der sich unter anderem Multikulturalität auf die Fahnen geschrieben und damit Werbung gemacht hat?
(Spätestens wenn Armin Laschet auf deine Kosten einen guten Witz macht, hast du ein Problem.)

Ferner Oberexperten vom Schlage Mario Baslers und Loddarmaddäussens. Beides von lichten Momenten abgesehen, eher schlicht tickende grobmotorische Minderleister, die im heutigen Profigeschäft nicht den Hauch einer Chance hätten. Die finden Taktik und Statistik voll schwul. Für die ist Fußball vor allem eine atavistische Männersache mit Haaren auf der Brust, bei der 'echte Kerle' (was immer das genau ist) sich gegenseitig umrennen, a.k.a. 'Härte zeigen'. Die können mit einem Spielertypus wie Özil ihn idealtypisch verkörpert, natürlich so gar nichts anfangen, merken leider aber auch nicht, dass die Achtziger vorbei sind und wie die Uhr sich inzwischen weitergedreht hat. Macht nix, die inzwischen komplett hemmungsbefreite Springerpresse findet sie trotzdem toll.

Auch Joachim Löw, bis zu diesem Sommer 2018 immer der größte Förderer Mesut Özils macht nicht gerade die beste Figur. Obwohl ihm das sonst ja sehr wichtig ist. Wie jede Führungskraft ist er als Bundestrainer für die Performance bzw. Nicht-Performance der Mannschaft letztlich verantwortlich. Zwar gehört Löw nicht zu den Gewinnern der Affäre, aber dass er es kommentarlos geschehen lässt und damit zulässt, wie sein wichtigster Spieler, der in jedem Spiel (bis auf das letzte) sein volles Vertrauen genoss, öffentlich zerlegt und zum Sündenbock gemacht wird, muss beinahe als erschreckender Mangel an Haltung und Rückgrat interpretiert werden. Künftige Nationalspieler werden momentan sehr genau zur Kenntnis nehmen, was das Vertrauen dieses Bundestrainers im Zweifel wert ist.

Insgesamt ist die ganze Chose ein schönes Beispiel dafür, was passiert, wenn man Staatsangehörigkeit, die ja gerade mal eine von unendlich vielen Facetten eines Menschen ist, zur Hauptsache aufbläst, ja zur ‚Herzenssache‘, und einen blöden Fauxpas wie die Erdoğan-Fotosession zu einem ausgewachsenen Frevel. Und wenn man Zugehörigkeit daran messen will, ob und wie inbrünstig jemand ein mit Symbolik überladenes Lied mitsingt. Ist er auch wirklich mit dem Herzen einer von uns? Lachhaft. Geht absolut keinen was an. Ich kann von mir sagen, diese Hymne im Leben noch nie gesungen zu haben. Doch, einmal. Da haben welche die so grauenhaft falsch gegrölt, dass ich ihnen vorgemacht habe, wie das geht.

Die Erdoğan-Sache war kein blöder Fauxpas? Na gut, dann bin ich auf eines mal wirklich gespannt: Was wird wohl passieren, wenn irgendwann in nächster Zeit herauskommen sollte, dass ein Nationalspieler ein Selfie mit einem prominenten rechten AfD-Mitglied gemacht hat oder Kontakte in die rechte Szene pflegt? Hatten wir ja schon 2012. Im Fall der Ruderin Nadja Drygalla bei den Olympischen Spielen, wir erinnern uns. Würden da auch so erbarmungslos Gretchenfragen gestellt werden oder wird es dann heißen: Na ja, nicht schön so was, aber letztlich Privatsache, nicht wahr? Hat mir versprochen, dass er das nicht wieder tut und damit sollte es gut sein. Wettet jemand dagegen?

Immerhin, einen Trost gibt es. Vielleicht. Die Demission des schmächtigen Nichtgenugdeutschen mit den großen Augen wird die zahlreichen Probleme des DFB definitiv nicht lösen. Es spricht einiges dafür, dass das nicht der letzte Rücktritt gewesen ist. Vielleicht trifft es dann auch mal den einen oder anderen richtigen.




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