Sonntag, 19. August 2018

Der Klassenfeind am Esstisch


2008 hätte es angesichts der so genannten 'Finanzkrise' nur eine logische Konsequenz gegeben: Dem Kapital, das den Schlamassel angerichtet hatte, hätte es ans Leder gehen müssen. Statt dessen wurde die Allgemeinheit zur Kasse gebeten und zahlt seither bis heute die Zeche. Auf Jahrzehnte. In Form von verrottender Infrastruktur, geschlossenen Schwimmbädern, Theatern und Büchereien etc. In anderen Ländern, die es noch weit schlimmer erwischt hat, in Form von handfestem Massenelend. Dummerweise haben viele aus der bürgerlichen Mittelschicht ein Problem damit, dem Kapital ans Leder zu gehen. Weil sie sich nach wie vor nach oben orientieren, und sei es noch so zu Unrecht, sehen sie ihr eigenes Hab und Gut mit in Gefahr. Und so ward das Kapital bald wieder aus dem Schneider, die Wut der vielen aber, die Abstiegsängste mussten irgendwo hin, brauchten ein Ventil.

Ab 2010 waren es erst Thilo Sarrazin, dann die AfD, nachdem sie sich ihrer neoliberalen Professoren-Gründerväter entledigt hatte, die dem grummelnden Mittelschichtbürger mit Statusangst signalisierten: Lasst euch von den linksgrünversifften-politischkorrekten Meinungsdiktatoren nichts einreden, es ist voll okay, rassistische Sachen zu sagen. Was die Ressentiments nennen und Rassismus, sind im Zweifel bloß unbequeme Wahrheiten. Zugute kam den genannten die historische Konstante, dass viele sich in Zeiten von Wirtschaftskrisen eher nach rechts orientieren, denn nach links.

Weil immer nur Rassismus sich auf Dauer auch mal abnutzt, haben sie ein neues Betätigungsfeld gefunden. Wenn, so AfD-Boss Jörg Meuthen, Schüler auf einer Demo Plakate gegen Nationalismus hochhielten, dann sei das Ergebnis einer "ideologischen Umerziehung" (woanders heißt das: Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht). Weil Lehrer grosso modo sozialistisch dächten. Und so rufen sie zum fröhlichen Denunzieren auf. "Unlängst hat die Hamburger AfD angekündigt, eine Internet-Plattform einrichten zu wollen, auf dem Schüler und Eltern AfD-kritische Lehrer melden sollen." Wie war das noch gleich? Der größte Lump im ganzen Land...

Muss man ihnen lassen: Damit bedient der Verein nach der von den einfallenden fremdländischen Horden geschickt eine weitere Urangst der bürgerlichen Mittelschicht: Diejenige, dass ihre Kinder von entsprechend aufgestellten Lehrern kommunistisch indoktriniert werden könnten und der Feind ganz bald schon am Abendbrottisch sitzt, derweil in den Kinderzimmern die roten Fahnen wehen und ganz bald schon ihr klein Häuschen enteignet wird. Das paranoide Gerede von kommunistisch ihre Schüler manipulierenden Lehrern als Fünfte Kolonne Moskaus kenne ich übrigens noch sehr gut aus meiner Schulzeit. Unser damaliger Direx soll Anfang der Siebziger mal auf einer DKP-Veranstaltung gesehen worden sein. Den Ruf, ein Kommunist zu sein, wurde er bis zur Pensionierung nicht mehr los. Bekam ein Sprössling nicht die seiner Hochbegabung geziemende Prädikatsnote, dann, klarer Fall, weil sein Geschreibsel dem jeweiligen Lehrer nicht linientreu genug war. Den braven Bürgern galt damals auch jeder ARD-Sender außer dem Bayerischen Rundfunk als vom Kreml gesteuerter Rotfunk. (Heute gibt es Russia Today, die machen das wenigstens offen und ehrlich – ein echter Fortschritt!)

Mal abgesehen von der widerlichen Aufräum- und Entsorgungsrhetorik, die den Klemmnazis auch da wieder aus allen Poren dampft: Echt jetzt? Ich meine, wir leben immerhin in einem Land, in dem etwa einer wie Siemens-Chef Kaeser öffentlich äußern kann, Arbeitnehmer seien ein Stück weit selbst schuld wenn sie nicht so dolle dastünden, da das doofe Pack halt ums Verrecken keine Aktien kaufe. Womit er schon ein klein wenig an Ex-Königin Marie Antoinette erinnerte, von der kolportiert wird, sie solle den Armen einst den blitzgescheiten Rat gegeben haben, wer kein Brot im Hause habe, solle eben Kuchen (Brioche) essen. Im Unterschied zu damals muss so ein Siemens-Supremo allerdings nicht  befürchten, sein Leben 30 Zentimeter kürzer zu beenden oder in ein sibirisches Arbeitslager verbracht zu werden, wo nur noch der heiße Atem der Kosaken ihn wärmt.

Nein, alles, was passierte war, dass Kaeser - oh Pein! -  von Oliver Welke in der 'heute-Show' veräppelt wurde. Das Publikum, drei mal kurz gelacht, machte "Chochochochocho!" und das war‘s. Man stelle sich das vor: Seit Jahrzehnten arbeiten zehntausende von Lehrern Tag für Tag unermüdlich daran, die Hirne von Kindern und Jugendlichen zu indoktrinieren – und dann so ein mageres Ergebnis. Das kann in Bezug auf die Lehrerschaft eigentlich nur eins bedeuten: Wenn Lehrer sozialistisch ticken, dann machen sie einen verdammt schlechten Job beim Agitieren. Auch das wiederholt sich: Je schriller von Rechts und Neoliberal "Sozialismus!" gekreischt wird, desto unbegründeter.



4 Kommentare :

  1. Der Spruch "wer kein Brot im Hause habe, solle eben Kuchen (Brioche) essen" stammt eben nicht von Marie Antoinette. Erstmals lässt er sich in dem 1789 veröffentlichten, aber lange vorher geschriebenen Werk des Philosophen Jean-Jaques Rousseau finden: „Endlich erinnere ich mich an die [Aussage] einer großen Prinzessin, der man sagte, dass die Bauern kein Brot hätten, und die antwortete: So lasst sie doch Kuchen essen.“ Die Aussage entstand also vor Marie Antoinettes Ausschweifungen in Versailles.

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    1. Darob schrub ich was von 'kolportiert'. Aber danke für die Info.

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    2. Um zum Thema Marie A. noch einen drauf zu setzen:

      WER KEINE ZINSEN HAT, SOLL HALT VON DIVIDENDEN LEBEN

      Alles im Niedergang, man
      Markus (https://der-5-minuten-blog.de)

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  2. "„Mit Merkel zusammen müssen auch etwa 870.000 Kollaborateure aus den Ministerien, Fernsehstudios, Lehrkörpern, Sozialämtern und Gewerkschaften entsorgt werden. Endlich wird in Deutschland aufgeräumt!“"
    Klemmnazis? .. das klingt eher nach dem 'Musterlinken namens Pol Pot.

    Die erweiterte Meinungsfreiheit fuer Nazidreck ist ne bittere Sache.

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