Sonntag, 27. Oktober 2019

Keine Kataschtrophe


'Asterix' Band 38 im Test


Eigentlich sah es so aus, als sei das Kapitel 'Asterix' nach dem komplett misslungenen letzten Band der Reihe für mich erledigt. Nur gehöre ich zu denen, die einst mit 'Asterix' groß geworden sind. So was prägt. Außerdem ist die Aufgabe, die Zeichner Didier Conrad und Texter Jean-Yves Ferri zu stemmen haben, keine kleine, beim Teutates. 'Asterix' war nie bloß ein trivialer Comic, der von A nach B geht, sondern ist ungeheuer vielschichtig und anspielungsreich. 'Asterix' ist Abenteuergeschichte, Komödie, Märchen, historische Erzählung, Parodie auf die deutsche Besetzung Frankreichs im zweiten Weltkrieg und die Résistance, Feier der französischen Lebensart, der Liberalität und des Individualismus, Satire und vieles mehr, meist auf einmal. Hohe Literatur. Eine Riesenhypothek.

Also habe ich es wieder getan. 6 Euro 90 meines sauer verdienten Geldes ausgegeben für Band 38 der Saga. 'Die Tochter des Vercingetorix' ist das Werkchen betitelt. Und, wie isses nun? (Ab hier Spoiler!)


The Klappentext:

Bevor Vercingetorix, der Anführer des gallischen Aufstandes gegen die Römer, sich nach der Niederlage bei Alesia Caesar ergeben hat, soll er seiner (fiktiven) kleinen Tochter Adrenaline seinen goldenen Wendelring (laut Information im Band ein Halsreif für verdiente Krieger) gegeben haben, mit dem Auftrag, in seinem Namen weiterhin Widerstand zu leisten. Er vertraut sie seinen beiden besten Leuten Mausklix und Monolithix an. Die sollen mit ihr aus der Belagerung ausbrechen und im Untergrund kämpfen. Als Gallien immer unsicherer wird, beschließen sie, das Mädchen zunächst im uns allen bekannten gallischen Dorf unterzubringen, bis sie ein Schiff aufgetrieben haben, um sie nach Londinium (London) zu bringen, wo sie angeblich niemand vermuten würde. Caesar dagegen will das Mädchen adoptieren und zur Römerin erziehen (eine durchaus verbreitete Praxis damals), er setzt seinen Kundschafter Miesetrix auf sie an, der ihm schon von der Tochter des Vercingetorix verraten hat, und die Dinge nehmen ihren Lauf. Am Ende kommt alles anders: Der Ring landet im Meer und Adrenaline wandert aus.


The Good:

Die Zeichnungen. Man kann streiten, ob es ein Kompliment ist, dass Conrads Strich nicht von Uderzos zu unterscheiden ist. Aber mir gefällt‘s und ich bin, was das Zeichnerische angeht, kein Comicexperte.

Die Namen. Adrenaline, Dopamine, Rundheraus, Miesetrix, Mausklix, Selfix, Aspix, Blicktnix,… Nuff said.

Die Figuren. Albert Uderzo hat sich 1991 in dem von ihm verantworteten gruseligen Band 'Asterix und Maestria' am Feminismus verhoben und sich als Macho alter Schule geoutet. Das passiert dieses Mal nicht. Die Charaktere, allen voran die pubertierene, schwarz tragende Adrenaline, sind lebendig und glaubwürdig. Die neu eingeführten, ebenfalls hormonell geplagten Söhne von Schmied Automatix und Stinkfischdealer Verleihnix, die als Lehrlinge bei ihren Vätern schaffen und sich gleich mit der Neuen im Dorf verbünden (und sich auch ein bisschen in sie verlieben), machen Spaß. Dass die altersgerecht sich unverstanden wähnenden Jugendlichen die Nähe des Barden Troubadix suchen, weil den auch keiner mag, ist eine nette Idee. Die Avernerhäuptlinge Mausklix und Monolithix, die immer - pock! - mit ihren Geweihhelmen aneinandergeraten, bezeichnen sich als die "beiden Papas" von Adrenaline - hoppla! Ein gleichgeschlechtliches Erzieherpaar bei den ollen Galliern? Nicht unelegant.

Das Motiv des goldenen Rings als Last auf den Schultern des Mädchens ist gelungen. Dass auch Galliens Kids sich inzwischen per Gettofaust begrüßen? Gibt Schlimmeres. Der gotische Adoptivbengel des römischen Kapitäns Rundheraus nervt gewaltig und lässt Zweifel aufkommen, ob die Idee, Kinder von verfeindeten Völkern zu adoptieren, wirklich so gut ist. Nett auch die Anspielungen auf Tolkien (Ring-Symbolik) und nordische Mythologie (Adrenalines Traum, nach Thule zu segeln).


The Bad:

Die Namen. APO bedeutet 'Averner proben Opposchitschion'. Aua.

Die Konstruktion der Geschichte. Es zeigt sich wieder einmal, dass Texter Jean-Yves Ferri große Schwierigkeiten hat, einen tragfähigen erzählerischen Bogen zu spannen und sich allzu oft in Details verliert. Über zu vieles muss man auch hier wieder hinwegsehen und es einfach so hinnehmen.

Die Konstellation der Story ist bewährt. Jemand wird vor Caesars Zugriff bei den Galliern versteckt, es kommt zu Verwicklungen, vor allem, weil dieser Jemand ein heftig pubertierender Dickkopf ist, der gern ausbüxt. Nur versäumt Ferri es wieder einmal, daraus auch etwas zu machen und macht statt dessen viel Lärm um nichts. Am Ende, nach diversem Hin und Her, entbrennt Adrenaline in heißer Liebe zu einem als Deus ex machina aus dem Nichts auftauchenden Aussteiger namens Letitbix (wer Ähnlichkeiten mit John Lennon findet, darf sie behalten) und brennt mit ihm auf eine weit entfernte Insel durch, auf der sie zusammen eine Kommune für elternlose Kinder aufbauen. Verrat? Mitnichten. Miraculix löst das auf, indem er sagt, Adrenaline habe das Erbe ihres Vaters mitnichten verraten, sondern sehr wohl Widerstand geleistet - nur eben auf ihre Art, indem sie die ihr zugedachte bzw. aufgezwungene Rolle verweigert habe.

Kann man man natürlich machen. Zum Schluss, beim obligatorischen Festmahl, pardon: Feschtmahl, sagen Monolithix und Mausklix: "Wir wollen gern Gallien schurückerobern, unsch für Aleschia [von dem doch eigentlich niemand weiß, d.V.] revanschieren und scho...", "… aber wasch im Grunde schählt, ischt dasch Glück unscherer Kinder." Amen. Nun ist gegen so viel Kinderliebe natürlich absolut nichts einzuwenden, aber ich hatte das so in Erinnerung, dass bei 'Asterix' vor allem zählt, Caesar bzw. den Römern eins auszuwischen. David gegen Goliath. Wer hat hier wem eins ausgewischt? Adrenaline hat allen eine Nase gedreht, ihr belastendes Erbe abgeschüttelt und sich Caesars Adoptionsabsichten entzogen. Der dürfte aber dennoch erfreut sein zu erfahren, dass die potenzielle Unruhestifterin über alle Berge im selbst gewählten Exil ist. Immerhin bleibt offen, ob der Ring nicht eines Tages wieder auftaucht. Und vielleicht macht die junge Dame ja auch nur ein Gap Year im sozialen Bereich, wie das unter jungen Menschen heutzutage modern ist, wer weiß.


The Ugly:

Die Exposition. Der Aufhänger der Geschichte. Der knarzt und quietscht auch dieses Mal ganz erheblich. Wieso sollte ein gewiefter Stratege wie Vercingetorix einen wertvollen Gegenstand mit hoher Symbolkraft ausgerechnet einem Kind anvertrauen und darauf hoffen, dass zwei Krieger, die er zu ihrem Schutz abstellt, den römischen Belagerungsring um Alesia schon durchbrechen würden? Warum nicht wenigstens den Ring an einem sicheren Ort verstecken und ihn später von vertrauenswürdigen Eingeweihten wieder hervorholen lassen?

Weil der Ring eh nicht so wertvoll ist? Kurz nachdem er im Meer versunken ist, taucht als weiterer Deus ex machina ein Avernerhäuptling namens Leghastenix auf. Der trägt einen goldenen Zeremonienhelm, den er von Vercingetorix bei Gergovia zur Belohnung für seine Tapferkeit geschenkt bekommen haben soll. Und alle sind glücklich, denn man hat jetzt wieder ein Symbol für Widerstand. Puh, Glück gehabt.

Nur hat es nach 52 v. Chr. keinen nennenswerten gallischen Widerstand gegen die Römer mehr gegeben. Der einzige Widerstand ist rein fiktiv und geht vom gallischen Dorf aus. Goscinny hat dem einst Rechnung getragen, indem bei ihm Häuptling Majestix zum einzig legitimen Besitzer von Vercingetorix' Schild wird. Bei Ferri verwirklicht Adrenaline ihren Traum. Weil schließlich nur das zählt. Derlei unterläuft ihm nicht zum ersten Mal. Schon im letzten Band erleben wir auf 40 von 48 Seiten, wie unsere gallischen Freunde ein Wagenrennen quer durch Italien gewinnen, nur um den ausgelobten Pokal am Ende auszuschlagen und einfach weiterzureichen. Weil: Ist ja alles nicht wichtig. Diese postmoderne Wurstigkeit mag Absicht sein, da irre zeitgemäß. Mich nervt‘s. Weil ich dann immer so: Warum das alles?

Weitere ärgerliche Schlampereien. Gleich auf Seite eins erfahren wir, dass der Name Vercingetorix in Gallien quasi mit einem Bannfluch belegt ist und, wenn überhaupt, nur geflüstert wird. Das ist mir neu. Zwar habe ich weder Lust noch Zeit, jetzt alle alten Bände durchzublättern, aber meines Wissens nach war das nie ein Problem. Sicher ist das ein Rekurs auf 'Asterix und der Avernerschild' ("Aleschia? Niemand weisch, wo diesches Aleschia liegt!"). Dass man den Ort der größten Niederlage verschweigt und am liebsten vergessen würde, ist zwar blöde, aber verständlich. Wieso aber den Namen des größten Freiheitshelden nicht aussprechen, dessen Ring angeblich Symbol für weiteren Widerstand sein soll?

Vermutlich ist das eine Anspielung auf die 'Harry Potter'-Reihe, wo am Anfang auch Voldemorts Name nicht genannt werden durfte. Aber was passiert mit einem, wenn man beim Vercingetorix-Sagen erwischt wird? Verfolgung, Kerker und ein Ende als Mittagessen für die Löwen? Wir erfahren es nicht. Klar ist nur: Wenn es einen Ort in der damals bekannten Welt gab, an dem man den Namen problemlos hätte aussprechen können, dann ein bestimmtes gallisches Dorf, oder?

Caesars Kundschafter belauscht Monolithix und Mausklix, als sie aus eben jenem gallischen Dorf geritten kommen. Er bekommt mit, wie die beiden sich unterhalten, dass sie bald wiederkämen, um Adrenaline wieder abzuholen. Im Lager Babaorum unterrichtet er den Kommandanten darüber, dass die Averner Adrenaline im Dorf versteckt hätten und dass er die Flotte anweisen würde, den Fluchtweg übers Meer abzuschneiden. Nur ist in dem Gespräch, das er belauscht hat, gar nicht die Rede davon, dass Adrenaline per Schiff außer Landes gebracht werden soll. Das wird nur im Haus von Majestix erwähnt. Woher weiß er das also?

Die weitere Entwertung des Zaubertranks. Schon im letzten Band hat Ferri den Zaubertrank als quasi wertlos erscheinen lassen. Alle verprügeln am Schluss die römischen Legionäre, egal, ob mit Zaubertrank oder ohne. Jetzt erfahren wir, dass Zaubertrank dick mache (worüber Obelix sich sehr aufregt, obwohl er doch sein Leben lang gar keinen mehr getrunken hat, seit er als Kind in den Kessel gefallen ist) und für Jugendliche ungeeignet sei. Man tut fast so, als sei der Trank eine Droge, ein Suchtmittel wie Alkohol. Dabei ist der Zaubertrank das zentrale Element der ganzen Großerzählung, die einzige Lebensversicherung und Daseinsberechtigung des gallischen Dorfes. Ohne ihn würde das Dorf am nächsten Tag von der römischen Armee eingenommen werden und die 'Asterix'-Serie wäre zu Ende.


The Verdict:

Nach dem erstem Überfliegen war ich wegen der charmanten Figuren noch ganz angetan und mochte mich Timur Vermes' Verriss eigentlich nicht anschließen. Dann aber begannen die Schwächen immer unangenehmer aufzufallen. Immerhin keine Vollkatastrophe wie der vorige Band (was aber auch nicht wirklich schwierig ist). Würde ich dem einen von fünf Sternen geben, sind es jetzt zwei. Bei guter Laune sogar drei. Kurzweilig und nett gemacht, aber wieder mit Aussetzern, erzählerischen Löchern und ärgerlichen Patzern. Wird keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Soll vielleicht sogar so sein.

Fun fact: Auch der legendäre Réne Goscinny war nicht unfehlbar. So habe ich mich immer gefragt, wieso der steinalte, senile Methusalix immer unwidersprochen mit seinen Heldentaten bei Gergovia angibt – einer Schlacht, die im Jahr 50 v. Chr. gerade mal zwei Jahre her war.


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Jean-Yves Ferri, Didier Conrad: Die Tochter des Vercingetorix. Berlin, Köln: Egmont Ehapa 2019. 48 S., 6,90 € (Softcover).



1 Kommentar :

  1. Ich hab die Hefte bis zu "Die Odyssee" auswendig gekonnt, ein nur wenig älterer Onkel hatte die Hefte.
    Vor kurzem bekam ich "Asterix und die Pikten" in die Finger und kam mit dem Heft nicht zurecht. Irgendwie paßte nicht zusammen, obwohl die Zeichnungen wirklich ok waren.
    Und hier liest es sich, als ob das neue Heft unbedingt politisch korrekt sein soll (Zaubertrank = Droge).
    Ich vermisse Dinge wie den urkomischen Versuch von Obelix, ägyptisch zu sprechen ("Wie sagt man "Sprich"? - Asterix und Kleopatra) oder die sprachlichen und anderen Eigenheiten der Briten (Wildschwein mit Pfefferminzsauce? Das arme Schwein! - Asterix bei den Briten) oder auch die klar zu erkennenden Zeichnungen mit beispielsweise Sean Connery als Nullnullsix (Die Odyssee).
    Ich glaube, viele kaufen auch weiterhin die Hefte, weil sie sie verständlicherweise komplett haben wollen - aber den Charme der alten Ausgaben haben sie nicht mehr, beim Teutates!

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