Freitag, 11. Oktober 2019

Nicht erst seit Mittwoch


Wer diese Kuschelecke im Weltnetz ein wenig kennt, weiß, dass ich eine ausgemachte Aversion hege gegen einfache Lösungen a'la "Grenzen dicht!", "Wegsperren!", "Härtere Strafen!" etc. und jedwede Form hündischer Staatsgläubig- und Autoritätshörigkeit mir hochgradig suspekt ist. Angesichts dessen, was bekannt ist über das, was vorgestern in Halle an der Saale passiert ist, kann man es sich aber ausnahmsweise ganz einfach machen: Zwei bewaffnete Polizeibeamte vor der Synagoge hätten den Anschlag mit einiger Sicherheit verhindert.

Seit der Geiselnahme von München 1972 stehen jüdische Einrichtungen in Deutschland unter Polizeischutz. Wieso nun ausgerechnet an Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, an dem zu erwarten war, dass die Hallenser Synagoge gut besucht sein würde, keine Polizei vor Ort war, wird hoffentlich nicht das Geheimnis der sächsisch-anhaltinischen Polizei bleiben.

Wer hier schon länger an Bord ist, weiß ferner, dass ich mir eher die Zunge amputieren, die Hände abhacken ließe und mich nackt in Glasscherben wälzte als die AfD jenseits des verfassungsmäßig garantierten Minimums für irgendwas in Schutz zu nehmen. Das muss man aber auch gar nicht, wenn man die Eilfertigkeit sich ansieht, mit der die bürgerliche Presse die Schuld am Geschehenen am liebsten exklusiv der AfD in die Schuhe schieben würde. Denn das ist nun wirklich zu viel der Ehre.

(Dass die Relativierungen, Täter-Opfer-Umkehrungen und wilden Verschwörungstheorien ungefähr so armselig und widerlich ausgefallen sind wie zu befürchten war, bleibt davon unbekommen.)

So fadenscheinig die Verurteilungen und Distanzierungen aus dieser Ecke sein mögen, so wenig unter anderem einem gewissen ehemaligen Geschichtslehrer, den man nunmehr als Faschisten bezeichnen darf, auch nur einen Millimeter über den Weg zu trauen ist - angefangen hat das viel früher.

Wir erinnern uns:

"Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat." (BerndBjörn Höcke 2017)

Schlimm, nicht? Ja wirklich furchtbar! Wie kann man nur? Sind wir wieder so weit?

Ich hab noch einen:

"Nun soll in der Mitte der wiedergewonnenen Hauptstadt Berlin ein Mahnmal an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität." (Rudolf Augstein 1998)

Oder den hier:

"In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande." (Martin Walser 1998)

Man sollte ergänzen, dass Jakob Augstein via Twitter darauf hingewiesen hat, dass Rudolf Augstein und Höcke jeweils anderes im Sinne hatten ("An alle Kurzschließenden: Für Rudolf Augstein war das "Schandmal" ein Mahnmal unserer Schande. Für AfD-Höcke ist es ein schändliches Mahnmal") und das mag auch so sein, ist aber akademisch. Denn für AfD-Höcke ist das bloß ein weitere Anknüpfungspunkt ins bürgerliche Lager ("Schon Rudolf Augstein, und der war nun wirklich kein Nazi, hat...").

Relativiert, verharmlost und "an den Grenzen des Sagbaren gezerrt" (Stella Hindemith) wird nicht erst, seitdem die AfD im Bundestag sitzt. Antisemitisches Gedankengut war nie wirklich weg, aber salonfähig wurde es spätestens, als es ganz offen aus 'seriös' sich nennenden Redaktionsstuben wieder in die Welt geblasen und sogar in der Frankfurter Paulskirche, dem Zentrum der deutschen Demokratie, offen gesagt werden durfte. Und jeder Widerspruch und Protest dagegen selbstgerecht als (linker) Alarmismus abgetan wurde.

Es war Ignaz Bubis, dem damals sofort sonnenklar war, was für eine tiefe Zäsur Walsers Rede und deren überwiegend wohlwollende Aufnahme bedeutete. Er warf Walser geistige Brandstiftung vor und fragte sich öffentlich, ob Juden in Deutschland wirklich so sicher seien wie immer geglaubt. Unter denen, die damals alt genug waren, Walser artig zu applaudieren oder zumindest im Stillen zuzustimmen, dürften immer noch genügend sein, die sich jetzt über die AfD empören.

Nein, liebe Leute, so billig kommt ihr nicht davon. Die AfD ist nicht Ursache, sondern Symptom. Übrigens: Wurden wir schon daran erinnert, wie viel schlimmer Linksextremismus ist?




15 Kommentare :

  1. Die AfD ist nicht Ursache, sondern Symptom.

    Das sehe ich auch so. Das Elend ist älter als die AfD. Die meiste Zeit war es nicht opportun, sich allzu offen zu äußern, aber im Untergrund war da schon länger was am Schwelen. Martin Walser hat dem nur ein bisschen Luft zugefächelt, und seitdem kann man vieles "endlich wieder sagen".

    Dass das nur die Spitze des Eisbergs ist, sieht man am Beispiel des NSU. Und die in letzter Zeit aufgeflogenen rechtsextremen Grüppchen bei der Bundeswehr und anderswo und die offenbar großflächige Bewaffnung rechtsextremer bis reichsbürgerlicher und sonstwie spinnerter Kreise legt nahe, dass da noch einiges im Busch sien könnte.

    Die Symptompartei spielt in dieser Situation virtuos als Brandbeschleuniger mit, natürlich immer mit dem Deckmäntelchen halbplausibler Abstreitbarkeit.

    Was die zwei bewaffneten Polizisten angeht: Die hätten das vermutlich verhindern können, weil der Mann ein Stümper war. Die nächste braune Kackbratze, die sowas versucht, könnte fähiger sein und sich entsprechend vorbereiten. Polizisten aufzustellen allein wird auf Dauer nicht reichen, weil die Wahrscheinlichkeiten gegen diese Art Schutz stehen - die Angreifer müssen nur einmal Glück haben, die Verteidiger dürfen nie auch nur einen Fehler machen.

    Ich habe mich schon vor zwanzig Jahren geärgert, als in Bonn an einer Synagoge dauernd Polizei stand. Jüdische Einrichtungen sollten nirgendwo Polizeischutz benötigen, erst recht nicht in Deutschland. Dass sie ganz offensichtlich gefährdet sind, macht mich wütend und traurig.

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    1. Ich erinnere mich, wie ich vor 20 Jahren mal die Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin besichtigen wollte. Draußen bewaffnete Polente, drinnen Kontrollen wie am Flughafen. Obwohl die Synagoge gar nicht als solche genutzt wird, sondern ein Gedenk- und Dokumentationszentrum ist. Wenn man es skandalös fand, dass so was offenbar nötig ist, dann war man in Minderheit.
      Halle? Nun ja, es gab mal Zeiten, da wäre ein Polizeipräsident, der so was zu verantworten hat, reif für den sofortigen Rücktritt gewesen. Heute sieht es eher danach aus, als würde wieder eine Killerspiel-Debatte losgetreten ("Antisemitismus? Ich bitte Sie, die alten Kamellen! Irgendwann muss auch mal gut sein. Außerdem wird man ja wohl noch die Politik Israels kritisieren dürfen.")

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  2. So sieht das aus. Und schon kommen irgendwelche ganz verpeilten Knallchargen und legen kopierte Zettel in Fahrradkörben ab und klemmen sie hinter Scheibenwischer: "Anschlag in Halle stinkt nach Inszenierung. Kann das wirklich einen rechtsradikalen Hintergrund gehabt haben?" Folgen ein paar Absätze Spekulation mit dem fulminanten Schluss: "Aber wie immre glauben's die Dummen."

    Und die ganzen Spinner im Spektrum zwischen wutbürgerlich, reichsbürgerlich und rechtsextrem in ihren Löchern so: Siehste, endlich sagt mal jemand wie's ist.

    Man kann gar nicht so viel essen wie man kotzen möchte...

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  3. Ganz pragmatisch: Eigener Sicherheitsdienst vor der Prager Synagoge (in Zivil, aber unschwer zu erkennen), gesehen vor ca. 10 Jahren. Dass so etwas eigentlich überflüssig sein sollte, ist klar, hilft aber nicht, wenn man sich nicht nur bedroht fühlt, sondern es definitiv ist.

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    1. Darauf wird es wohl hinauslaufen. Sad but true.
      @gnaddrig: Echt, so weit sind die bei euch, dass die im real life schon Zettel verteilen? Scheint sich hier im Ruhrpott (noch) keiner zu trauen (mit Ausnahme von DO-Nordstadt vllt.).
      Nett muss auch der Artikel von Matthias Döpfner in der 'Welt' gewesen sein, in dem er Merkel und den Gutmenschen die Schuld in die Schuhe schieben will. Da hinter Bezahlschranke, ist man auf Sekundäres angewiesen wie etwa von Leo Fischer. Richtig gruselig wird es, so von wegen fressen und kotzen, wenn man sich ansieht, dass sich dazu in den großen Medien keinerlei nennenswerte Reaktion findet, nicht mal bei der taz...

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  4. Ja, irgendwo hier in der Nachbarschaft gibt es eine Art Nest von rührigen Verschwörungsesoterikern. Die haben vor einer Weile versucht, eine Art Nachbarschafts-Verschwörungs-Stammtisch aufzuziehen.

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  5. Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft holt mal wieder den Personalmangel bei der Polizei aus der Klamottenkiste. Ja, ne, is klar. Ich sage nur G20 Hamburg, da wurden international nicht gesuchte, aber aktive Terroristen vom größten Aufgebot an Polizisten in der Geschichte Deutschlands geschützt.

    Was machen eigentlich die Einsatzhundertschaften usw., wenn gerade mal keine Nazi-Demo zu schützen ist oder Fussballfans zu verprügeln sind?

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  6. Lieber Stefan,
    für mich ist ein erhöhter Polizeischutz auf jüdische Synagogen keine nachhaltige Antwort, auf Antisemitismus, Rassismus, usw..

    Für mich wächst Rassismus, Antisemitismus, usw. aus einer Position der Unzufriedenheit, und dem Gefühl des Abgehängst-Seins.

    Die Reichtums- und Armutsschere geht stetig auseinander. Wenn mag es da verwundern, dass Abgehängte, auch mal Amok laufen?
    Das ist nicht zu entschuldigen, oder zu relativieren.
    Aber es ist auch eine Symptomatik einer ungerechten Gesellschaft, die Abgehängte produziert.

    Ich frage mal ganz provokativ:

    Gäbe es in einer gerechten Gesellschaft weniger, bis gar keine Amokläufe?

    Und ist die nachhaltige Lösung Sicherheitsmaßnahmen auszuweiten, um die Symptome zu bekämpfen?

    Ich habe jüngst den Film 'Joker' gesehen, der u.a. gesellschaftskritisch beschreibt, welch kurzer Schritt vom Ausgegrenzt-Sein zum Extremismus führt. Bis hin zum Amoklauf.

    Abschließend und zusammengefasst:
    Meine These:
    In einer gerechten, sozialen Gesellschaft (die wir nicht haben) wären Amokläufer ein Randphänomen.

    Und in dieser beschriebenen Gesellschaft bräuchte man auch keine Synagogen schützen...

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    1. Da wir aber leider so eine Gesellschaft nicht haben, werden wir auf solche Maßnahmen wohl leider nicht ganz verzichten können. Ich erinnere daran, dass ich keinen erhöhten Polizeischutz verlangt habe. Der, der jüdischen Einrichtungen seit 1972 eh zusteht, hätte vollauf genügt.

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    2. Für mich bleibt die Frage, wie wir als Gesellschaft reagieren:
      Schutz erhöhen - oder Ursachen beseitigen.
      Und, das stelle ich fest, die Ursachen werden medial eher ausgeklammert...

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    3. Und, das stelle ich fest, die Ursachen werden medial eher ausgeklammert...

      Findest Du? Da wird doch durchaus drüber geschrieben. Ob's was bringt ist eine andere Frage, aber es wird reichlich dran rumanalysiert. Nur leider geht niemand die Ursachen auch nur halbwegs entschieden an, außer ein paar linken Spinnern in irgendwelchen Anti-Nazi-Vereinen, denen man die Mittel kürzt, wenn sie böse Sachen über Nazis sagen oder irgendwo wer Linkes sich mal danebenbenimmt.

      Das Problem sehe ich da weniger bei den Medien als bei "der Politik".

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    4. "Für mich wächst Rassismus, Antisemitismus, usw. aus einer Position der Unzufriedenheit, und dem Gefühl des Abgehängst-Seins."

      Geht´s dem Führungspersonal rechter Parteien wirklich so beschissen? Die sollen ja sogar manchmal mehr oder weniger gut florierende Unternehmen haben und im Finanzgewerbe verwoben sein.

      Bei den Dresdner Montagslatschern und ähnlichen Veranstaltungen speiste sich die Menge auch eher aus den durchaus finanziell abgesicherten Menschen mittleren bis späteren Lebensalters. Und dem jetzigen mutmasslichen Rechtsterrorist schien es auch nicht sooo mau gegangen zu sein.

      Das ist einfach nicht zielführend und bei dem absolut minimalen Anteil an Bürgern jüdischen Glaubens ist das ohnehin kein "Grund", diese als soziale Konkurrenz wahrzunehmen.

      "Gäbe es in einer gerechten Gesellschaft weniger, bis gar keine Amokläufe?"

      "In einer gerechten, sozialen Gesellschaft (die wir nicht haben) wären Amokläufer ein Randphänomen."

      Das Erste werden wir wissen, wenn es soweit ist. Beim Zweiten lehne ich mich so weit aus dem Fenster und behaupte, dass es auch jetzt "Randphänomene" sind. Nur werden diese halt aufgeblasen. Hat etwas mit selektivem Wahrnehmen und Filter und so zu tun, vergleiche auch die Wahrscheinlichkeiten, bei einem Unfall oder Überfall beteiligt oder Betroffener zu sein und wovor man mehr suggestive Angst hat.

      Zum Rest mit Sicherheitsmassnahmen, den ach so bösen Killerspielen und dergleichen mehr wurde andernorts ebenfalls genug gesagt, als das man es hier nochmals wiederkäuen muss.

      Das sind ohnehin nur Politphrasen und Bullshit-Bingo. Da ist am Ende kein Anlass zu dämlich, um diesen nicht für noch mehr Mittel und zum Ausbau des staatlichen Überwachens zu nutzen.

      Die Systemfrage stellt sich nicht nur bei solchen Dingen, sondern auch bei Umwelt und anderem. Den jetzt hier lebenden und bedrohten Juden und auch anderen nicht in´s Schema rechten Denkens passenden Menschen nützt das nichts.


      Vielleicht kann aus solchen Sachen wie FfF tatsächlich etwas werden. So recht kann ich´s mir jedoch nicht vorstellen.

      Ersten wird medienseitig bereits alles unternommen, um unter dem mittlerweile selbst auf dem letzten Furz pappenden Label "Klimaschutz" diese Bewegung beim Restvolk totzuquatschen und damit den an sich richtigen Ansatz als Spaltkeil zu nehmen. Zweitens sind die "Eliten" zwar bei solchen Dingen wie rechten Bedrohungen mehr als lethargisch, sollte sich aber aus den Halbwilden tatsächlich mehr entwickeln, was auch nur ansatzweise die Macht gefährdet, dann haben die ganz feine Sinne dafür und werden neben dem o.g. Vereinnahmen auch mehr als nur medial dagegen vorgehen.

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  7. Wir sollten nicht die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen.

    Und dann kommen wir letztendlich zur Systemfrage...

    Zur Frage, ob der neoliberale Kapitalismus noch die Antworten auf die Fragen liefern kann, die bspw. die Klimafrage stellt.

    Letztendlich läuft es auf die Systemfrage hinaus:

    Und da frage ich dich Stefan direkt, ob der Kapitalismus gezähmt werden kann, oder ob die Lösung außerhalb dessen stattfinden muss..?

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    1. Nein, das glaube ich ganz und gar nicht. Leider muss man unbequemerweise zur Kenntnis nehmen, dass in nicht eben kleinen Teilen (China, Indien und andere Teile Asiens) der Welt durch Kapitalismus so viele Menschen wie nie aus der Armut kommen. Während er woanders Flurschaden anrichtet, versteht sich, denn der Preis für Wohlstand hüben ist Elend und Umweltzerstörung drüben.
      Was die Alternativen angeht? Nun ja, mein persönliches Verhältnis zum Kommunismus habe ich mal sehr gut von Georg Seeßlen zusammengefasst bekommen.

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  8. Nit den verlinkten Text von Seeßlen kann ich mich auch sehr gut identifizieren. :-)

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