Montag, 15. Juni 2020

Too much love


Letztens gab ich schon mal meiner Sorge Ausdruck, dass auch ich ganz bald schon so ein Alter Weißer Mann werden könnte. Verknöchert und verhärtet. Der glaubt, alles schon gesehen zu haben, alles zu wissen. Nur mehr vor dem Computer hängt und ellenlange Hasspostings tippt, es der verpeilten Jugend mal so richtig zu zeigen. Gibt so Momente, da flackert das mitunter auch bei mir auf. Zum Beispiel dann, wenn ich mit diversen Phänomenen von Identitätspolitik im weitesten Sinne konfrontiert bin.

Nehmen wir das Tamtam, das um ein, zwei, von welchen, die da weit mehr von verstehen als ich, als 'transfeindlich' eingestuften Tweets der 'Harry Potter'-Autorin Joanne K. Rowling veranstaltet wird. Ich bin dann, ehrlich gesagt, immer ein wenig zwiegespalten. Mein erster Gedanke ist dann oft: Oh Mann, was haben einige Leute eigentlich für Probleme? Vor allem wenn man bedenkt, dass während jeder Stunde immer noch knapp 700 Kinder auf der Welt an Hunger sterben.

Ein Zitat von Thomas Fischer aus dem Jahr 2016 ein wenig ergänzend, könnte man da sagen: "Unter allen 1.000 definierbaren Minderheiten in diesem Land [sind] die der studierten Lesben [und die der mehr oder weniger behütet in bürgerlichen Verhältnissen Auf(ge)wachsen(d)en, die sich unsicher sind über ihre Gender-Identität] ganz gewiss nicht unter den 50 Unterdrücktesten. Wer anderes behauptet, will Aufmerksamkeit und Interessen durchsetzen, nicht aufklären und befreien."

Andererseits gilt natürlich auch für Transpersonen im Zweifel das, was für People Of Color gilt: Man steckt nicht drin. Es ist so gut wie nicht möglich, als Nichtbetroffener die Welt durch die Brille einer betroffenen Person zu sehen und kann daher im Zweifel wenig beurteilen. Sollte man also lieber lassen. Weswegen Zurückhaltung und Zuhören meist die besseren Ideen sind. Die Welt und die Menschen sind üblicherweise komplizierter und komplexer als es der eigene Horizont hergibt.

Schon deutlich mehr nerven die, die bei solchen Gelegenheiten sofort den tatsächlichen oder vermeintlichen Opfern beispringen, bevorzugt in ‚sozialen‘ Netzwerken. Sich in ihre schimmernde Rüstung werfen. Die Reihen schließen. Nun ist gegen Solidaritätsbekundungen absolut nichts einzuwenden, wenn man es denn dabei bewenden ließe. Nur keimt da nicht selten dieser fiese Verdacht, da trügen welche vor allem mal ihre eigene, moralisch hochkorrekte Gesinnung vor sich her wie einen Ehrenschild. Wenn etwa Emma Watson, unter den ehemaligen 'Harry Potter'-Kinderdarstellern die wohl am wenigsten Unbegabte, folgendes twittert:

… was von der FR nicht ganz vollständig so übersetzt wurde:

"Ich und so viele andere Menschen weltweit sehen euch, respektieren euch und lieben euch."...

… dann denke ich spontan: Oh, please, basta così! Was soll denn das? Steckt euch eure Liebe bitte sonstwohin. Danke. Wenn das der Standard des Umgangs miteinander sein soll, was steckt da umgekehrt für ein maßloser Anspruch an die Welt und an die Mitmenschen dahinter? Ich kann ja nur von mir reden und ich bin meines Wissens nach keine Transperson (kann natürlich noch kommen, je nachdem, wie viele nichtbinäre Geschlechteridentitäten in nächster Zeit noch so entdeckt werden, kann das schneller der Fall sein als gedacht), aber mir genügt es vollauf, wenn Menschen keine Arschlöcher sind. Das ist Arbeit genug und damit wäre schon sehr viel gewonnen.

Bezüglich des bei weitem überwiegenden Teils der Weltbevölkerung geht es für mich völlig in Ordnung, wenn ich denen weitestgehend egal bin und man es ansonsten hinbekommt, sich im Rahmen gewisser Konventionen gegenseitig einigermaßen zivilisiert zu behandeln, so man es miteinander zu tun bekommt. Reicht. Wertschätzung, ja, meinetwegen auch. Aber was soll ich mit der zuckergussartig ausgekippten Liebe wildfremder Menschen? Diabetes kriegen? Ich hatte immer gedacht, Liebe im engeren Sinne bezöge sich auf konkrete Personen und wird nicht mit der Gießkanne verteilt.

Für die im Vergleich zur planetaren Gesamtbevölkerung verschwindend wenigen Menschen auf der Welt, die ich näher kenne, gilt, dass ich mehr oder minder Wert darauf lege, halbwegs respektiert und nett behandelt zu werden von ihnen. Bei ganz, ganz wenigen dann ist tatsächlich irgendeine Form von Liebe und Zuneigung im Spiel. Engstes Umfeld. Familie. Enge Freunde. Partnerin. Die Liga. Schon bei Arbeitskollegen und Verwandten zweiten Grades wird die Luft diesbezüglich schnell sehr dünn bei mir. Man muss sich nicht lieben, auch nicht im übertragenen Sinne, um einigermaßen gut zusammenzuarbeiten (da kann das sogar hinderlich sein, too much love can kill you) oder eine Familienfeier zusammen durchzustehen.

Der Gedanke jedenfalls, wildfremde Menschen nötigen mir ihre Liebe auf, erscheint mir nicht erstrebenswert, sondern aufdringlich und übergriffig. Aber was weiß denn schon ich?




16 Kommentare :

  1. Das Sehe ich etwas anders. Ich denke, daß unsere Welt erkaltet ist, sagen wir auf die Temperatur des Universums. Es mangelt uns allen wahrscheinlich an DER LIEBE. Diese Liebe ist kein Liebesschleim oder etwas übergriffiges. Diese Liebe ist das, was man früher wahrscheinlich meinte mit dem deus caritas est. Ich denke, dass es unter den ersten Christen ein ziemliches Liebesglück gegeben haben muss. Ich persönlich vermisse diese große Liebe, die quasi vom Himmel herabkommt.

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  2. "Ich liebe meine Frau"
    Walter Scheel, auf die Frage, ob er sein Land liebe. Paßt nicht ganz, ist aber ähnlich.

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  3. ...soweit ich weiß wars Gustav Heinemann...

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    1. Autsch, du hast Recht. Scheel war der mit dem gelben Wagen..

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    2. So schöne Traumata kriegen die heute doch gar nicht mehr hin.

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  4. Da haste 'ne passende Liebesabsage:

    https://www.youtube.com/watch?v=5DKAx49UdFA

    Schönes Trauma noch. ;)

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  5. Spätestens seit der Loveparade 95 wurde Liebe inflationär, was zum Schluss bedrückende Ausmaße annahm.

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  6. Die Kampfbegriffe #Liebe und #Hass bedingen einander, dabei ist einer so bescheuert wie der andere. Antihassgesetze und Liebesministerien sind daher auch Geschwister im Geiste. Die genannte Kinderbuchautorin wurde also dem Hass-Lager zugeordnet, weil sie es wagte zu behaupten, dass Männer nicht menstruieren können. Auf Twitter. Ich dachte, die medialen Scheiterhaufen wären nach #metoo langsam wieder abgekühlt, aber das scheint jetzt ewig so weiterzugehen. Emma Watson und Daniel Radcliffe bringen sich, wie bei solchen Szenarien üblich, noch schnell in Sicherheit, da sie offenbar noch ein wenig in Hollywood arbeiten wollen.

    Lieber Herr Rose, ich hinterlasse diesen Kommentar in Ihrem kleinen Marxisten-Stammtisch, weil ich zu faul bin, daraus einen eigenen Blogbeitrag zu zaubern. Man wiederholt sich ja langsam nur noch … Sie mögen verzeihen, ich geh jetzt menstruieren. Expecto Transphobum!

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  7. Emma Watson ist zwar Britin, ich glaube aber, daß das mit dem »lieben« mit Amerikanischem sprachgebrauch zu tun hat. Ich hatte mal eine freundin aus den USA, die meinte, daß sie es anfangs in Deutschland etwas gewöhnungbedürftig fand, daß Deutsche, wenn sie z.b. einen film toll finden, sagen »muß man sehen« oder wenn sie ein hervorragendes essen vor sich haben »kann man essen« so ziemlich das höchste der gefühle ist, während Amis immer alles »lieben«, auch wenn es bloß ein banaler burger ist.

    Wahrscheinlich ist es eher in diesem sinne zu verstehen, wenn Emma Watson darüber schreibt, irgendwelche ihr unbekannten transpersonen zu lieben. Im Deutschen würde man sich mit mit so einer aussage wahrscheinlich eher zum deppen machen. Allein der Erich Mielke sagte, daß er doch alle menschen liebt.

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    1. Das ist sicher ein Punkt. Aber ich denke, die Erklärung für das Verhalten von Ms. Watson et al., ist die von ob angebotene: Wer in #Metoo-Zeiten weiterhin lukrative Rollen und Jobs in Hollywood will, muss moralische Integrität signalisieren.

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    2. Siewurdengelesen17. Juni 2020 um 14:19

      Selber sähe ich da eher ein like statt eines love, was den Sinn der Aussage betrifft.

      Ob das ehrlich gemeint ist oder Image, weiss nur Emma Watson selber, wobei ich mir einen Gutteil ihrer eigenen Sicht vorstellen kann.

      In einer gewissen Weise arbeiten Promis meist an ihrem Wirken auf die Mitwelt. Da würde ich nicht immer alles auf die Goldwaage legen, noch dazu auf einem "schnellen" Medium wie Twitter.

      Der hier angerissene Zoff auf Twitter um die Äusserungen von J.K.Rowling ist ein Beispiel dafür. Da wird über eine Aussage abgeledert und innerhalb kürzester Zeit ist man Zielscheibe. Wie die Aussage tatsächlich gemeint sein könnte, ist bei nonverbaler Kommunikation in 280 Zeichen eher nicht zu erfassen.

      Fakt daran dürfte sein, dass der Drops schon wieder gelutscht sein dürfte, weil längst das nächste Säulein durchs Twitter- und andere Dörfchen getrieben wird. Ebenfalls Fakt ist, dass nur durch "Liebe" die Probleme an den Rand gedrängter und benachteiligter Minderheiten nicht gelöst werden und auch nicht dadurch, dass sich ein Label ohne wirklich Verpflichtendes verpasst wird...

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  8. Das ungemein Praktische an diesen Geisteshaltungen ist, dass sie nicht kosten. Und eine verschwindend kleine Minderheit wie Trans-Personen ist außerdem auch nicht in der Lage, sich gegen diese ungebetene, aufdringliche und am Ende wertlose Fürsorge zur Wehr zu setzen.

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    1. Guter Punkt. Diese Anwanzer machen nämlich genau dasselbe wie diejenigen, die ganz direkt Vorurteile verbreiten- sie benutzen die Minderheit für den eigenen Vorteil.

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  9. Wenn ich bekannter Promi wäre, würde ich einfach alle paar Wochen etwas auf Twitter posten, was bei den den dort ansässigen Empörten sofort Reflexe erzeugt ("Nazi", "sexistisch=frauenfeindlich", "rassistisch", "transphob", "islamophob", "antisemitisch" etc.), warten bis das Ganze etwas Drive bekommt und mich ins Fäustchen lachen. Immerhin ist das kostenlose Promo. Im Grunde das, was Donald Trump schon die ganze Zeit macht. Wenn man ein bestimmtes Image hat, ist es nach einer Weile eh egal, was Andere über einen schreiben oder denken. Es entsteht dann eine Gegenöffentlichkeit ganz von selbst, die sich dann hinter dem vermeintlich Politisch-Unkorrekten versammelt und schon aus Trotz alles gut findet, was derjenige von sich gibt (sh. hier auch Trump). Diese Menschen sind dann natürlich nicht alle rechts, wie das die Schickeria der Empörten immer wieder behauptet, sondern einfach zu einem großen Teil nur noch genervt. Die Medien kochen solche Themen, die im Grunde völlig irrelevant sind, noch zusätzlich auf und verschärfen das Ganze zu dem rechts/links-Schema (links=gut; rechts=schlecht). Wenn das einem aber egal ist (sh. Trump), kann man so sehr gut leben und Bücher verkaufen, Wahlen gewinnen oder seine Follower-Anzahl vergrößern.

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    1. Kann ich unterschreiben. Die meisten Promis können sich so eine Guerilla-Taktik aber wohl nicht leisten. Die haben berechtigte Angst, keine Arbeit mehr zu finden und müssen daher permanent Virture Signaling betreiben. Manche glauben wohl auch daran, bis hin zum ausgeprägten Messias-Komplex, aber das ist eigentlich egal, sie haben nämlich keine andere Wahl. Wie verlogen das Ganze ist, merkt man immer daran, dass sie sich eigentlich immer nur an die aktuell angesagten Social Justice-Trend ranhängen. Das ist nichts als PR-Arbeit, Trittbrett-Hashtaggerei vom feinsten. Interessant ist, was dabei immer alles unter den Teppich gekehrt wird. Man muss sich nur noch mal die tausendfachen Freundschafts- und Liebesschwüre in Richtung Harvey Weinstein in Erinnerung rufen, die vor den großen Enthüllungen öffentlich von ganz Hollywood abgesondert wurden. Parallel dazu ist z.B. Bryan Singer weiterhin gut im Geschäft, durfte sich erst neulich sogar über einen Oscar für „Bohemian Rhapsody“ freuen, dabei sind die zahlreichen Missbrauchsvorwürfe von minderjährigen Jungs wirklich kein Geheimnis. Ich weiß nicht, wann bei dem die Schweigegeld-Mauer mal zusammenbricht, aber lange kann das auch nicht mehr dauern. Darüber müssen sich die Harry-Potter-Darsteller aber gerade keine Sorgen machen, das erzählen ihnen ihre PR-Berater dann schon, wenn es soweit ist.

      #LovePeaceAndWackelpudding

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    2. @ob
      Ja, das ist wohl so. Ich will gar nicht wissen, was in Hollywood alles hinter verschlossenen Türen passiert. Ist schon ne kranke Welt. Kevin Spacey war immer einer meiner Lieblingsschauspieler, jetzt ist er weg vom Fenster. Andere werden folgen. Es ist immer am einfachsten sich der herrschenden Meinung anzupassen. Da gibt es zwischen Stars aus Hollywood und Normalos wohl keine großen Unterschiede.

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