Samstag, 8. August 2020

Strukturwandel, manifest


Opa erzählt vom Krieg: Es ist noch nicht so lange her, da nutzte die DSK (Deutsche Steinkohle AG) diese Halle zur Aus- und Weiterbildung von Bergleuten. Darin befanden sich Übungsstollen und diverse Fördersyteme. Seit 2018 ist hier Schicht am Schacht und es wird neuerdings fleißig gebouldert, wie klettern heutzutage heißt. Strukturwandel, machste nix.


Apropos manifest: Kennen se eigentlich den? Watt sind die einzigen Fremdwörter, die die Friseusenfreundin von nem Mantafahrer drauf hat? Kennen se? Na, ganz einfach: 'Fick tief' und 'Manni feste!' Brüller, oder? Na ja, damals fanden wir‘s lustig, als Bürgerkinder die Arbeiterklasse dergestalt zu verhöhnen. Heute gönge so was ja nicht mehr. Sexistisch. Klassistisch. Ableistisch. Geht gar nicht! Wer so was witzig findet, der frühstückt auch kleine Kinder. Nachdem er seine Tagesdosis QAnon aus ihnen herausgefoltert hat, vermutlich. Außerdem ist Friseurin ein anspruchsvoller, dabei meist schlecht bezahlter Beruf, Manni hat seinen Manta längst vertickt, ist geschieden und auf Hartz IV.

Apropos Strukturwandel: Der hat jetzt nicht nuhr den öffentlich-rechtlichen neoliberalen Hofnarren Dieter Nuhr in Form einer zurückgezogenen Einladung hinweggefegt, sondern auch die spinnwibbige Kunstsimulation Lisa Eckhardt. Die wurde von einem Hamburgischen Literaturfestival ausgeladen, weil "[…] der »Schwarze Block« der Antifa gedroht hatte, dagegen aufzumarschieren" (Malte Lehming). Da haben wir‘s. Die AntifaTM wieder! Sehen wir einmal ab vom oberflächlichsten aller Argumente, nämlich dass durch derlei Ausladungen bloß jene unnütz Futter bekommen, die profitieren von der rechten Opfererzählung vom link(sgrünversifft)en Mainstream bzw. den 'Systemmedien' fortwährend marginalisiert zu werden, ist die Kritik an solchen Praktiken ja nicht ganz falsch.

Nicht nur ist es ein naiver Kinderglaube, diese Welt werde schon dadurch eine bessere und lebenswertere, indem alles, was irgendwelche eventuell doof finden könnten, aus dem Sichtfeld entfernt wird und immer kompliziertere Sprachregelungen durchgedrückt werden, die maximale Rücksicht noch auf die abenteuerlichsten Empfindlichkeiten der allerkleinsten Minderheit nehmen sollen. Nicht, dass etwas einzuwenden wäre gegen Sensibilität und eine gewisse Grundfreundlichkeit im Umgang miteinander. Wenn es aber für Menschen außerhalb eines hochspezialisierten akademischen Diskurses zunehmend unmöglich wird, unfallfrei zu sprechen, ohne in irgendwelchen Netzwerken einen Shitstorm zu provozieren, wie sich am Beispiel Joanne K. Rowlings studieren lässt, dann wird es irgendwann absurd und gut Gemeintes verkehrt sich ins Gegenteil.

Zumal, und das ist ja das entscheidende, derlei Sprachverrenkungen an den tatsächlichen, will heißen: wirtschaftlichen Verhältnissen rein gar nichts ändern, im Gegenteil. Außer bei den Protagonisten vielleicht. Denn es keimt der Verdacht, hier geht‘s primär um Fördergelder und Planstellen an der Uni bzw. Jobs in den Medien.

Ferner ist es hochgradig naiv zu glauben, man könne welche wie Nuhr und Eckhardt via erzwungener Ausladung irgendwie zum Schweigen bringen oder gar dazu, ihre öffentlichen Äußerungen zu modifizieren. Beide mögen zuweilen schwer Erträgliches von sich geben, sagen aber nichts Strafbares. Die Medienlandschaft indes ist längst so ausdifferenziert, dass sie auch jenseits ausgetretener öffentlich-rechtlicher Pfade Publikum und Auskommen finden werden. Beikommen, so man das will, lässt sich ihnen nur mit pointierter Gegenrede. Das aber macht Arbeit und ist ein langwieriges, frustrierendes Geschäft.

Problematisch ist nämlich, dass die Betreiber dieses Cancel culture benannten puritanischen Reinheitswahns, sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Inkompetenz, nicht auf die Kraft des besseren Argumentes setzen, sondern allein auf Druck, Verordnungen, Verbote und Sanktionen. Darin offenbart sich eine besorgniserregende antiaufklärerische Autoriätsfixiertheit, die auch beim Gutwilligsten irgendwann eine Anti-Haltung provozieren muss. Weil jeder halbwegs antiautoritär Tickende weiß, dass Verbote im Zweifel immer die dümmste Idee und allenfalls letztes Mittel sind.

Das alles ist aber, und hier wird‘s auffällig, wie so oft nur die halbe Wahrheit. Denn wer davon redet, dass gewisse Kräfte seit einiger Zeit alles daran setzen, die Grenzen des Sagbaren immer enger zu ziehen, darf, wie es Lehming leider tut, nicht verschweigen, dass gleichzeitig andere gewisse Kräfte alles daran setzen, die Grenzen des Sagbaren maximal auszudehnen.

Wir hätten verlernt, so Lehming (ebd.), Dissens als etwas Bereicherndes zu begreifen. Auch das stimmt natürlich. Und auch wieder nur halb. Denn 'Dissens aushalten', wiewohl die Grenzen im Einzelnen fließend sind, ist etwas anderes als 'noch die übelsten Provokationen und Beleidigungen gefälligst widerspruchlos hinnehmen müssen'. Es ist eine Sache zu sagen: Entschuldigung, Frau Künast, in dieser Sache bin ich fundamental anderer Meinung als Sie!“, und eine ganz andere zu sagen: "Die [möglichst sexistisches Attribut einfügen] [maximal untergriffige Beleidigung einfügen] soll doch [möglichst qualvolle, langwierige Todesart einfügen]!!11!1!!!" (und hinterher, wenn die Betroffene sich dagegen wehrt, pikiert über Sprechverbote und PC zu krakeelen). Vielleicht bin ich aber auch einfach nur entsetzlich altmodisch.

Wie verlogen Empörung allein über eine vermeintlich exklusiv 'linke' (richtiger wäre: kleinbürgerliche) Cancel Culture ist, zeigt der Verweis auf Beispiele, die zeigen, dass das eben kein exklusiv 'linkes' Phänomen ist, sondern auch von Rechten fleißig und mit erheblichem Erfolg praktiziert wird. Oder wie war das mit der Löschung dieses dümmlichen 'Umweltsau'-Videos durch den WDR? Als die Band 'Feine Sahne Fischfilet' von der Leiterin des Bauhaus Dessau ausgeladen wurde? Dass immer wieder welche, wie jüngst Natascha Strobl, bestenfalls nur ihre Twitter-Accounts vorübergehend deaktivieren müssen, weil ein mitunter vom Springer-Autoren Rainer Meyer alias Don Alphonso initiierter Shitstorm ihnen kaum eine andere Wahl lässt? Was ist das anderes als Cancel Culture?

(Ok, die Causa 'Feine Sahne Fischfilet' wird von Lehming erwähnt. Das zu erwähnen, gebietet die Fairness Ansonsten aber ist seine Tendenz augenfällig.)

Natürlich wird diese Welt auch durch Fingerzeigen und Whataboutism keine bessere oder lebenswertere. Wer aber vermeintlich 'linke' (richtiger wäre: kleinbürgerliche) Cancel Culture nicht ganz zu unrecht als Angriff auf Meinungs- und Redefreiheit skandalisiert, dann aber von entsprechenden Praktiken woanders schweigt bzw. diese nicht als andere Seite derselben Medaille begreift, betreibt ein hochgradig gefährliches Spiel. Das nämlich, das Spielchen der Rechten mitzuspielen, in dem jedes Geblocktwerden zum "moralischen Sieg" (Strobl) gerät. Vielleicht, nein: sicher steckt da mehr dahinter.

Strukturwandel zum letzten: Früher war die bürgerliche Welt möglicherweise wirklich einfacher bzw. übersichtlicher. Für einen in den Neunzigern sozialisierten Journalisten etwa war Kommunismus der besiegte Feind, Linke waren zwar meist durchaus intelligent, wurden aber vom Staat entweder kleingehalten oder mit Geld domestiziert, und Rechte waren vor allem mal tumb. Kahlgeschorene Saufköppe, die nicht viel mehr konnten als Ärmchen heben, bangemachen und "Doitschland den Doitschen, Ausländer raus!" grölen. Nicht satisfaktionsfähig. Man sonnte sich darin, weitgehend exklusiv Meinung veröffentlichen und mit Computern umgehen zu können, kulturelle Codes zu beherrschen, ironiefähig zu sein, das feine sprachliche Florett draufzuhaben.

Dass inzwischen auch Rechte längst nicht nur ironie-, sondern auch kampagnenfähig sind, kulturelle Codes ebenfalls beherrschen und nicht mehr nur die grobe Kelle draufhaben, nicht nur mit Computern umgehen können, nein, einem beim Nutzen von sozialen Medien meilenweit voraus sind, das scheinen einige immer noch nicht wirklich wahrhaben zu wollen.





5 Kommentare :



  1. Ist das nicht das erwünschte Resulat, dass 'gut Gemeintes' sich zu 'gut Gemachtes' wandelt?

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  2. Moin Stefan

    Ich bin sicherlich der Einzige, dem es so geht – das liegt an meinem Mangel an Bildung , meiner angeborenen Meinungsblase, in der ich mich seit meiner Geburt suhle und überhaupt dem Desinteresse, daß ich als Meinung verkaufe. Aber da war es schon wieder: Ein Name, ein Skandal und ich weiß überhaupt nicht, worum es geht. Lisa Eckhardt… da muß ich erst mal die Suchmaschine anschmeißen (Keine Ahnung, wer das ist). „Shootingstar“, „** Die Veranstaltung wurde Corona bedingt auf diesen Termin verschoben. Tickets behalten ihre Gültigkeit oder können an der der…“, Beine, noch mehr Beine und ansonsten auch nicht übertrieben warm gekleidet. Literaturfestival? Dann müßte es doch von ihr irgend einen zitierfähigen Satz geben – irgendwo. („Klamottenkaufen ist meine Art von Meditation.“ Warum zieht sie sie dann nicht an?). Ach, ein Debütroman! Ja denn ?!? Dieter Nuhr auch oder was hat der damit zu tun? Muß ich das jetzt alles lesen?

    Es hat jetzt bei mir wenigstens für des Genuß eines Videos des Deutschlandfunks gereicht: Das Wort „Ich“ war in ihrem Vortrag überproportional oft vertreten. Gruß an die „Antifa“: Man kann seinem Mißfallen auch durch Schweigen Ausdruck verleihen. Niemand zwingt einen zum Klatschen. Übrigens scheint das Fehlen von Applaus die einzige Art der Kritik sein, für die sie empfänglich ist.
    Das aber funktioniert natürlich nur, wenn man sich nicht nur in der Mehrheit glaubt, sondern auch eine ist. Das insgeheime Wissen darüber, es nicht zu sein, zwingt dann wohl zu solchen primitiven Aufrufen wie zu einer „Ausladung“.
    Und des Weiteren: Könnte es sein, daß es sich bei der guten Lisa um einen B-Promi handelt?

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    1. Moin Pantoufle,

      nee, die Eckart mußte nich kennen. Vor jahren ist die mal bei der verleihung des »Goldenen Bretts« aufgetreten und da ging sie mir tierisch auf den senkel mit ihrer gestelzten sprache. Von ihrem auftritt dort blieb mir in erinnerung, daß sie über die nackerten in Deutschland in der sauna sprach und ich dachte »das weib ist aber voll verklemmt!«

      Als ich sie jedoch sie in diesem aufzug sah, bin ich umgekippet vor lachen, weil ich im geiste den Suppen-Kaspar aus dem Struwwelpeter (drittes bild) gesehen habe. Ja, ich weiß. Man soll nicht über das aussehen anderer lachen. Aber manchmal ist auch was egal. Warum die zu einem literaturfestival eingeladen war? Sie sieht aus wie eine figur aus einem buch. Reicht doch.

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    2. Wahre Promis gibt es momentan bei Sat1 im "Promi Big Brother".

      Guxu hier: https://www.sat1.de/tv/promi-big-brother

      Bis auf den Berufsruhrpottler Marcel Reif kenne ich keinen davon. Die muss man aber kennen, denn sie haben so spannende Berufe wie "Influencer", Youtuber, Bratpfannenverkäufer, Spielerfrau, Drag Queen, Auswanderer und Schwester von Daniela Katzenberger, das ist die, die mit Lucas Cordalis verheiratet ist, dem Sohn von Costa Cordalis (verstorben), das ist wiederum der Sänger, der sich sein Popofett ins Gesicht spritzen ließ.


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  3. Siewurdengelesen12. August 2020 um 10:59

    Hier ein Interview von Lisa Eckhart selbst zu diesem "Skandal".

    Wie immer kann es übertrieben werden, noch dazu wenn bisher überhaupt nicht klar ist, ob der angedrohte "Protest" oder die Randale nur Geschwätz waren und so nie stattgefunden hätten. Da gäbe es andere Veranstaltungen, bei denen Antisemitismus offensichtlicher ein Bestandteil ist und die werden nicht abgeblasen oder im Vorfeld wegprotestiert.

    Und ob man jemanden als Künstler nun "persönlich" mag oder nicht, ein Auftritt Lisa Eckharts hätte sicher nicht den Weltuntergang bedeutet. Vielleicht ist es aber tatsächlich so, wie es Kollege Burks beniemte: Einige wären ihres Feigenblattes beraubt worden;-)

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