Interessant, was man auf seine alten Tage noch so alles lernen kann als kinderloser Mittvierziger, der normalerweise tagsüber arbeiten muss. Mir war klar, dass Frauen sich in den vergangenen Jahrzehnten ihre Freiräume erkämpft haben, teils gegen erheblichen Widerstand: Es gibt Frauenhäuser, Frauenparkplätze, Frauenbeauftragte, Frauensaunen, Frauenschwimmen im Hallenbad und so weiter. Einzig Frauenbuchläden scheinen mir in letzter Zeit ein wenig auf dem absteigenden Ast zu sein. Nicht klar jedoch war mir, dass es, abhängig von der Tageszeit, noch eine ganze Reihe weiterer Frauenrefugien gibt, in die man als Mann besser nicht seinen Fuß setzt, will man nicht von akuten Kastrationsängsten befallen werden.
Vor einiger Zeit führte ein
dienstlicher Termin einen Arbeitskollegen und mich in die Innenstadt.
Da es früher Vormittag war, unsere Rückkehr ins Büro noch etwas
warten konnte und wir beide ein leichtes Hungergefühl verspürten,
kamen wir auf die Idee, uns in einem Bistro das recht günstige
Frühstücksbuffet zu genehmigen. Das war ein Fehler. Ich habe mich
selten so deplatziert gefühlt. Es stellte sich nämlich heraus, dass
der Laden, den ich abends zwecks essen und trinken eigentlich
schätze, vormittags eine Mischung aus Hühnerstall, Proseccobar und
Kindertagesstätte ist. Außer uns beiden war nur noch der Barkeeper
männlichen Geschlechts. Sein Benehmen und seine Art zu reden aber
legten den Verdacht nahe, dass er in intimeren Dingen eher das eigene
Geschlecht bevorzugte. Kurz: Indem wir das Lokal betraten, stieg der
Testosteronspiegel im Raum um nahezu hundert Prozent. Gleichzeitig
schien die Temperatur um mehrere Grad zu sinken.
Etliche der Anwesenden machten aus
ihren Gefühlen in Bezug auf uns keinen Hehl: Wir waren Eindringlinge
und wurden auch so behandelt. Es gibt diese abschätzigen und
misstrauischen Blicke, die zu sagen scheinen: "Sieh dich vor,
Fremder, du bist hier allenfalls geduldet, keinesfalls aber bist du
gelitten. Das Beste wäre, du wagtest gar nicht erst, dich hier
häuslich niederzulassen und göngest gleich wieder." Solche Blicke
hagelte es, und zwar knüppeldick. Einige andere tuschelten merklich
über uns. Vermutlich diskutierten sie die Frage, was zwei
Tunichtgute wie wir um diese Zeit hier verloren hätten. Beim Verlassen des Etablissements überzeugte
ich mich an der Tür, ob ich etwa ein Schild mit der Aufschrift "Männer verboten!" oder einem entsprechenden Piktogramm übersehen
hatte.
Etwa eine Woche später - ich hatte
ein paar Tage Resturlaub abzubummeln – bat mein Vater mich, ihm bei
einem Computerproblem zu helfen. Keine Sache, meinte ich, ich hätte
Zeit und käme eben vorbei. Das Wetter war schon sehr angenehm und
ich hatte große Lust mich mal wieder aufs Fahrrad zu schwingen.
Meine Verursacher wohnen in einem Neubaugebiet mit hoher Familien-
und Kinderdichte. Daher gibt es auch mehrere großzügig angelegte
Spielplätze. An einem kam ich vorbei und stutze: Alle Sitzplätze,
bestimmt zwanzig an der Zahl, waren voll mit Müttern, die, wenn sie
nicht fröhlich miteinander ratschten, ihr komplettes
Tupperware-Sortiment im Anschlag hatten und ebenso eifrig wie
lautstark dafür sorgten, dass die Kleinen weder dehydrierten
("Lukas-Leon, du musst jetzt was trinken!") noch Gevatter Skorbut
anheim fielen ("Maximiliane, jetzt komm her und iss dein
Äpfelchen!").
Normalerweise hasse ich es wie die
Pest, wenn Leute penetrant herumkaspern, wie viel besser früher doch
alles gewesen sei. Ich meine mich aber zu erinnern, dass meine
Freunde und ich es ab dem Kindergartenalter reichlich lästig fanden,
wenn unsere Mütter uns beim Spielen auf Schritt und Tritt überwacht
hätten. Spielen war Kindersache und wir wollten unsere Ruhe dabei.
Kulturpessimismus hin oder her, ich ertappte mich dabei, Mitleid mit
den Kleinen zu haben.
Das Problem mit Vaterns Rechner ward
schnell behoben und als ich mich auf den Heimweg machte, ließ
vermutlich frühlingsbedingter Übermut mich einen folgenschweren
Fehler machen: Ich beschloss, die Abkürzung über den Spielplatz zu
nehmen.
Kennen Sie das Gefühl, wenn schlagartig alle Gespräche verstummen, wenn jemand einen Raum betritt? Oder diese Szene aus Todd Fields Film Little Children? Ich bin weder stehen geblieben noch habe ich irgendwie blöd geglotzt. Ich habe nur von meinem Recht Gebrauch gemacht, meinen braven Drahtesel über ein öffentliches Gelände zu schieben, weiter nichts. Trotzdem kam ich mir vor, als wäre ich mitten im Hochamt splitternackt in den Kölner Dom marschiert. Ich lernte: Männer auf Spielplätzen sind im Zweifelsfall potenzielle Kinderschänder, mindestens jedoch Fremdkörper. Ich machte, dass ich wegkam. Aus dem Augenwinkel meinte ich nämlich gesehen zu haben, dass ein paar der Ladys schon die Handys gezückt hatten.
Kennen Sie das Gefühl, wenn schlagartig alle Gespräche verstummen, wenn jemand einen Raum betritt? Oder diese Szene aus Todd Fields Film Little Children? Ich bin weder stehen geblieben noch habe ich irgendwie blöd geglotzt. Ich habe nur von meinem Recht Gebrauch gemacht, meinen braven Drahtesel über ein öffentliches Gelände zu schieben, weiter nichts. Trotzdem kam ich mir vor, als wäre ich mitten im Hochamt splitternackt in den Kölner Dom marschiert. Ich lernte: Männer auf Spielplätzen sind im Zweifelsfall potenzielle Kinderschänder, mindestens jedoch Fremdkörper. Ich machte, dass ich wegkam. Aus dem Augenwinkel meinte ich nämlich gesehen zu haben, dass ein paar der Ladys schon die Handys gezückt hatten.
Zurück im Dienst erzählte ich dem
erwähnten Kollegen davon. Dem hatte ein langer und zäher
Scheidungskrieg jede Illusion und jede Romantik ausgetrieben. Der
meinte, klar seien wir, beziehungsweise ich Eindringlinge gewesen.
Zwar gäbe es viele Mütter, vor allem allein erziehende und gering
verdienende, die wirklich schwer zu kämpfen hätten. Viele besser
gestellte Mittelschichtlerinnen aber genössen so ein idyllisches
Leben ohne Erwerbsarbeit durchaus. Nur passe das eben so gar nicht
zur gern ventilierten Selbstdarstellung von der ach so belastenden
und schlecht beleumundeten Familienarbeit. In der Tat, die Frauen im
Bistro und auf dem Spielplatz schienen durchaus ihren Spaß zu haben
und wirkten keineswegs deprimiert und gefrustet. Und genau dabei
hatte ich sie erwischt. Gott der Dicke möge meiner Seele gnädig
sein.
(01.04.2012)
(01.04.2012)
Vielleicht nicht in der falschen Richtung suchen? Vielleicht ist das mit den "Männern" nur Verdeckung. Als ich 2008 mit dem Mieter unseres Hauses über den Schulweg seiner Tochter, der gleiche wie einer unserer Söhne vor 15 Jahren, ins Gespräch kam und ob sie den auch (vorwiegend durch Feld und Wiesen) bei gutem Wetter mit dem Rad macht? - Um Gottes willen nein! Wenn die hinfällt, kann sie sich nicht helfen... Klar, was da camoufliert wird?
AntwortenLöschenKorrektur von G.E. Das Gespräch war 2018, nicht 2008
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