Samstag, 10. Oktober 2020

Dünkel wars...


"Und wieder bin ich gezwungen, auf unsere Bildungsbürger […] einzuhauen, die ja glauben, sie verdienten Mitleid, aber statt irgendeiner Art von Reflexion (oder gar Selbstreflexion) nur immer den allerärgsten Unsinn und verächtlichst vulgärdistinktorischen Scheißdreck ausbrüten." (Stefan Gärtner)

Und, haben Sie mitbekommen, wie das Abendland zu Staub zerfallen ist? Das Alte Europa endgültig dem Wahnsinn anheimgefallen? Einer der größten Intellektuellen unserer Zeit nämlich hat in das Lager der Reichsbürger und Covidioten gewechselt. Der Unterhaltungskünstler Michael Wendler, von seinen Freunden und seinen Fans, darunter ihm selbst, liebevoll 'Der' genannt, hat neuerdings einen Telegram-Kanal, auf dem er sich was zusammenschwurbelt von "alles Zensur!", "Merkel-Diktatur!!1!", die Schnurre verbreitet, alle Medien seien "gleichgeschaltet und politisch gesteuert" und anderen Aluhut-Blödsinn. Auch davor, bräunlich Miefelndes, mehr oder minder latent Antisemitisches zu teilen, soll er nicht zurückschrecken, wie es heißt.

Daraufhin hat die Firma Kaufland ihren Werbevertrag mit 'Dem' Wendler gecancelt und RTL verkündete in einer Sondersendung, 'Der' Wendler stehe mit sofortiger Wirkung nicht mehr als 'DSDS'-Juror zur Verfügung. Wofür er sich unter anderem vom samuraischwertschwingenden Bratling-Brutzler Attila Hildmann als "Ehrenmann!" feiern lässt. Nun ja. Sage mir, wer dich lobt und ich sage dir, wo dein Problem ist, soll Old Lenin einst gemeint haben.

Das kann man ja alles ganz lustig finden und auch berichtenswert oder eben nicht. Dass Teile des bürgerlichen Feuilletons sich aber ob dieser Nachricht aufplustern, als habe soeben ein bärenfelltragender Barbar ein paar Seiten aus dem Codex Manesse gerissen und sich damit den Hintern gewischt, ist nicht nur anrüchig, sondern auch hochgradig bedenklich.

Kann gut sein, dass 'Der' Wendler nicht unbedingt klug, vulgo: 'belesen' im bildungsbürgerlichen Sinne ist. Es ist sehr wohl vorstellbar, dass er mit dem Kategorischen Imperativ wenig bis nichts anfangen kann, dass ihm aus dem Stegreif kaum ein Goethe-Zitat einfällt, dass er scharf aber letztlich erfolglos nachdenken müsste, wenn man ihn früge, wie lang der Dreißigjährige Krieg dauerte, wer Arthur Schopenhauer war etc. Einer beliebten bildungsbürgerlichen Selbsttäuschung zufolge, muss so jemand ergo dumm sein. Und das ist Quatsch. Über so genannte 'Allgemeinbildung' zu verfügen, was heißt, einen gewissen Vorrat an klug klingendem, aber nicht eben erkenntnisförderndem 'Trivial Pursuit'-Faktenwissen abrufbereit zu haben, sagt absolut nichts über die Intelligenz eines Menschen aus, dafür sehr viel über dessen soziale Herkunft und Beherrschen milieuspezifischer Codes.

Nun würde ich mich eher mit glühenden Zangen und anderen Marterinstrumenten traktieren lassen, als mich freiwillig und ohne Not dem musikalischen Schaffen 'Des' Wendlers auszusetzen. Dass er eine Lebenspartnerin hat, die locker seine Tochter sein könnte, habe ich mitbekommen, aber es interessiert mich nicht groß. Sicher, man kann da immer spekulieren, ob und inwieweit es da einer eventuell ganz gewaltig nötig hat oder eine da allein hinter Fame und Kohle her oder es doch die wahre Liebe ist, aber wozu? Es genügt zu wissen, dass die junge Dame zum Zeitpunkt der Beziehungsanbahnung alt genug war. Das muss reichen, alles weitere ist allein die Baustelle des glücklichen Paares.

Die diversen TV-Formate, in denen er mit oder ohne Schnalle so tätig ist, schaue ich nicht. Nicht aus Bildungsdünkel heraus, sondern weil es mich grenzenlos anödet und es für mich Zeitverschwendung wäre. Ich verstehe ja auch nicht, was so toll daran ist, eine technisch wie optisch zwar makellose, doch komplett sterile Singpuppe kultisch zu verehren. Oder mir zwei Stunden lang die eher schlichten Lieder einer aufreizend gekleideten ältlichen Frau anzuhören, in denen es vornehmlich darum geht, wie mies sie von den Arschlochkerlen behandelt wird, die sie sich offenbar zwangsneurotisch immer anlacht. Selbstverständlich kann und sollte man so was durchaus kritisieren und ideologiekritisch hinterfragen und dem Impuls "Lass doch den Leuten einfach ihren Spaß, man muss nicht alles analysieren!" widerstehen. Damit aber, das als Masturbationsvorlage auf seine kulturelle Überlegenheit herzunehmen, sollte man vorsichtig sein.

Als smart gilt ja auch, sich über diejenigen zu erheitern, die mit solcher Privatfernsehwelt, für die einer wie der Wendler emblematisch steht, sehr viel anfangen können. Haha, Prollkultur! Unterschichtenfernsehen! Aber auch solches Gebaren hat eher wenig mit Klugheit zu tun, dafür sehr viel mit dünkeliger Selbstinszenierung als Schlaubischlumpf. Einen Schritt weiter und damit etwas weniger doof wäre da eine Erkenntnis wie die, dass solche Formen der Unterhaltung eine ganz bestimmte, nämlich stabilisierende Funktion im herrschenden System innehaben und deswegen von Politik, Medien und diversen Industrien durchaus mit Gründen freundlich begleitet bis gefördert, wenn nicht gar hofiert werden.

Es ist wahrscheinlich, dass es beim Gemüse-Goebbels Hildmann und dem "Mannheimer Wimmerschinken" (Droste) Naidoo wirklich arg zugig zugeht unterm Aluhut. Es somit also sehr wohl sein könnte, dass es sich bei den beiden um echte Überzeugungstäter handelt. Im Falle 'Des' Wendlers hingegen kann man sich auch für den Gedanken erwärmen, dass der Mann zumindest nicht so dumm ist wie er gern geredet wird. Wie sein Ex-Mitjuror Dieter Bohlen mag er einem unsympathisch sein wie nur was und überdies ein branchenüblich heillos aufgeblasener Fatzke an der Grenze zum Größenwahn, aber wie man Geld macht, das weiß er sehr gut (was in jenem Teil des arrivierten Bürgertums, der lieber erbt und andere für sich Geld machen lässt, mitunter als vulgär gilt). Und schmerzfrei genug, dem alles andere unterzuordnen, darunter seine privaten Lebensumstände, ist er allemal.  

Kann also sein, dass 'Der' Wendler bloß mal testet, wie anschlussfähig spinnertes reichsbürgerliches Gedankengut in seiner Fangemeinde so ist. Wenn ja, dann sicherte das sein Geschäftsmodell für die weitere Zukunft (was in Corona-Zeiten in der von zahlendem Publikum abhängigen Unterhaltungsbranche nicht unerheblich ist). Wenn nicht, dann könnte er immer noch einen eloquenten Rückzieher machen, von wegen, er habe sich geirrt, sei Idioten auf den Leim gegangen und nunmehr geläutert etc. Kann natürlich sein, dass ich mich täusche und auch 'Der' Wendler schlicht nicht mehr völlig knusper ist unterm Toupet. Denn Einbußen wie der Verlust der RTL- und Kaufland-Honorare sind in Corona-Zeiten für einen von zahlendem Publikum abhängigen Unterhaltungskünstler auch kein Pappenstiel.

Natürlich ist es die Frage, inwieweit es der Aluhut-Szene zugute kommt, dass ein weiterer C-Promi sich ihr, warum auch immer, anschließt. Einer Versuchung aber sollte man nicht nachgeben: Diese Szene wegen der Tatsache, dass da ein musikalisch eher übersichtlich ausgestatteter Schlagerfuzzi eingestiegen ist, bequemerweise zur Ballermann-Deppenparade zu erklären. Abitur und immer die richtigen Fremdwörter drauf zu haben, das zeigt nicht nur historische Erfahrung, schützt im Zweifel mal vor gar nichts. Es ist ja auch nicht das Proletariat, das sich mehrheitlich in der Esoterik-Szene tummelt, sondern meist durchaus akademisches Publikum.




11 Kommentare :

  1. Moin Stefan R.

    Ich halte das gar nicht für so sehr aus der Luft gegriffen »dass 'Der' Wendler bloß mal testet, wie anschlussfähig spinnertes reichsbürgerliches Gedankengut« ist. Das DSDS-Format hat sich bis auf Weiteres zerlegt, solange die Rüsselseuche grassiert. Das funktioniert nur, wenn man die gekürten Hupf- Dohlen und Dohlinen vor lebendigem Publikum auftreten läßt, nicht aber in einem Umfeld, in dem man an der Abschaffung von Live-Events arbeitet.
    So gesehen wäre es gar nicht dumm, das sinkende Schiff zu verlassen, zumal einem als Covidioten und Verschwörungsmechaniker im Moment Tyr und Thor offen stehen und mehr Publicity zuteil wird, denn als Kaufhausbarde oder Freischwimmer auf Kreuzfahrtschiffen.

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  2. Ach herrje...

    ...da ist mir aber richtig etwas durch die Lappen gegangen! Kaum macht man mal eine 6-Tage-Woche, geht selbst im Genre Schlager der Punk ab.

    Wenn sich da jemand so profiliert wie hier Wendler oder andernorts zur Zeit wieder ein POTUS mit seinen Eskapaden trotz Infektion mit Corona, dann schwingt doch der Anruch einer mehr oder minder geschickten PR immer mit durch den Raum, noch dazu wenn "die Medien" das "Thema" so herzallerliebst aufgreifen und breit tratschen. Tendenziell habe ich mir da etwas Abwarten angewöhnt, um im Gegensatz zu offensichtlichen Fehlzündern differenzieren zu können wie bei Naidoo und anderen der Szene wie auch ein ehemaliger Radiomoderator, dessen Name nicht mehr genannt werden darf. Bei denen ist es offensichtlich nicht mehr nur der Geltungsdrang, sondern da steckt schon echter Glaube an vieles dahinter, was an Verzerrtem und Unwahrem durch sie verbreitet wird als Weltbild.

    Aus dieser Sicht ist es dann besser, dem ganzen nicht so viel beizumessen, denn damit befeuert man einerseits das Thema selber unnötig und verharmlost zugleich die echten Hardliner und macht sie damit gleichzeitig gesellschaftsfähiger. Soviel Reichweite hat auch dieser Schlagerbarde denn doch auch wieder nicht

    Wenn man denn wollte, liessen sich durchaus Parallelen ziehen zwischen dem Eiapopeia einer ewig heilen Schlagerwelt und den in sich geschlossenen Weltbildern mancher Zeitgenossen. Da stört dann wie ein grassierender Virus ohne konkrete Gegenmassnahme eben alles, was in diesen schmachtenden Überkitsch aus Heimat, Liebe und heiler Welt nicht passt. Das Ergebnis dieser zertrümmerten Scheinwelt sind dann die Ausflüchte in solche parallelwelten, die zwar auch nichts erklären, aber wenigstens weiteres Nachdenken und Abwägen verhindern und damit etwas an Selbstsicherheit zurück bringt, weil man mit sich wieder "im Reinen" ist und die Doofen die anderen "Nichtchecker" sind, genauso wie es eben mit "Ausländern" usw. als Schuldigen für gesellschaftliche Probleme ist. Hauptsache es ist immer noch einer drunter, über den man sich qua Volk, Intellekt oder anderswie aus seinem eigenen Modder erheben kann, wenn Kritik oder Frust an den eigentlich Zuständigen abprallt oder nicht möglich ist.

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  3. Schöne Kolumne dazu von Anja Rützel:

    https://tinyurl.com/y35t52m6

    Wendler (Michael Norberg, geb. Skowronek) ist ein von sich selbst geblendeter Selbstdarsteller und überteugtes Gesangsgenie, der von medialen Skandalen lebt. Angesichts der monetären Folen seiner Message halte ich das Ganze nicht für einen Joke. Sein Publikum ist meistens Ü50. Sein Gesang wird schon vor Jahren in Guantanamo nicht mehr als Aussagenerzwingungsmittel angewandt.

    Zum Fremdschämen ein Beispiel für diejenigen, die ihn nicht kennen:

    https://www.youtube.com/watch?v=WgGEi6St8uI
    Altes deutsches Sprichwort: Liebe geht durch den Wagen.

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  4. Mein Hund hat gerade sein erstes Wort gesprochen:

    WENDLER

    Folgt mir auf Telegram!

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    1. Ach, Eberling, das Leben hat keinen Sinn mehr für mich. Die wahre Hammermeldung des gestrigen Tages war nämlich, dass meine Mit-Recklinghäuserin Carina Spack und der Ihrige sich getrennt haben. Ich habe die Fenster abgedunkelt, leide still vor mich hin und schaffe es nicht mehr vor die Tür, so mitgenommen bin ich emotional...
      @altauto: Jub, Rützels Kolumne bringts wie immer, aber in Guantanamo wurde m.W.n. Metallica gegeben.
      @Siewurdengelesen: Ich denke ja, wer schmerzfrei genug ist, allen Ernstes ein Fan Dieses Wendlers zu sein, bei dem richtet dessen Telegram-Gequargel auch nicht mehr so viel Schaden an.

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    2. @Stefan Rose

      Geschmäcker sind halt verschieden und immerhin das steht fest, dass es für jeden noch so absurden Konsumbedarf die entsprechende Marktnische gibt. Dazu gehört eben auch die Ballermannmucke, die Wendler verbricht. Muss man jetzt nicht mögen, ist aber leider so ähnlich den m.E. uniformen Schlagersternchen, deren Musik und oft auch die Interpreten selber nahezu unisono austauschbar wären, ohne das es auffiele - so jedenfalls aus meiner subjektiven Sicht auf dieses Genre. Wirkliche und authentische Interpreten wie Roland Kaiser, ein ehedem Udo Jürgens u.ä. sind da inzwischen dünn gesät.

      Immerhin hat er derzeit seine Publicity und was da wirklich gehauen und gestochen ist, wir werden´s wie im Fall des sich trennenden Paares sehen oder auch nicht. Die Yellow Press will ja auch ihren Anteil am Batzen haben. Selber blende ich diesen Teil von "Nachrichten" ähnlich konsequent aus wie die täglichen Pushs über den ach so interessanten Präsidentenwahlkampf in den USA, das Getröte um Nawalny oder das Gehype für, gegen und um Corona generell, welches derzeit selbst die ÖR wieder regelmässig zum Erbeben bringt, während die Schlachterei in Berg-Karabach, Rechte und deren Infiltrieren in öffentlichen Institutionen oder die Mißstände bei den Flüchtlingen schon wieder nahezu unter den Tisch fallen.

      Wer will auch schon den Schlamm aufrühren mit U-Ausschüssen oder einem türkischen oder russischen Präsidenten auf den Schlips treten, wenn man dabei selbst Spritzer abbekommen könnte und wo es doch derzeit so viel mediale Tünche gibt?

      Denn das hat Brecht ja schon in der Dreigroschenoper gewusst...

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  5. Guter Artikel, bei dem der Humor nicht zu kurz kommt.

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  6. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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  7. „Es ist sehr wohl vorstellbar, dass er mit dem Kategorischen Imperativ wenig bis nichts anfangen kann …“ – man muss nicht Kant gelesen haben, um den Kategorischen Imperativ zu leben. Wendler hat in einem Statement dargelegt, was ihn treibt – möge es falsch oder richtig sein. Verletzung ethischer Prinzipien müsste ihm nachgewiesen werden, und zwar am geäußerten Wort. Zumindest hier nicht geschehen.

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  8. Der Artikel verweist bei Wendler auf eine Site mit Namen „Volksverpetzer“. Ist jemandem aufgefallen, dass das ein Synonym für „Denunziant“ ist? Damit lässt sich ein Zubrot verdienen. Nach meiner Erinnerung einen Grimme-Award. – Nun ja. Jedem seinen Broterwerb.

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  9. Ihr zieht euch Sachen rein, dagegen ist die Bunte ja fast intellektuell.

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