Dass Preßwesen hinter allen und jedem herzuhecheln pflegt, mit dem sich Skandal machen lässt, ist systemimmanent und erst recht keine neue Entwicklung. Weswegen es sich sowohl verbietet, darob kulturpessimistisch herumzubarmen als auch so zu tun, als habe man mit dieser Erkenntnis soeben eine geradezu Kantianische Welterklärungsformel Faustischen Ausmaßes aufgetan. Es ist ferner nichts Neues, dass in hyperboler Blähsprache aus schnödem Glatteis schon mal "TODES-BLITZ-EIS!!!" wird und aus allem, bei dem ein gestresster Superperformer länger als fünf Minuten warten muss, ein "CHAOS!!1!!11". Das ist natürlich Quatsch.
"Wenn in Deutschland eines nicht herrscht, dann »Chaos«! Es gibt allerdings relevante Gruppen der Bevölkerung, die ein solches entweder erträumen oder sich wahnhaft darin befinden oder große Angst davor haben, es könne demnächst ausbrechen, zum Beispiel wenn kein Klopapier mehr da ist, Mallorca vor Capri im Meer versinkt oder Papst Franziskus einen Kardinal heiratet.
Nur mal ein paar Erinnerungsbrocken: Impfchaos, Coronachaos, Kitachaos, Maskenchaos, Verkehrschaos, Schneechaos, Hitzechaos, Regenchaos. Regierungschaos, Kirchenchaos, Virologiechaos, Pflegechaos, Rentenchaos, Migrationschaos, Urlaubschaos. Man könnte nun annehmen, dass ein Volk, dass seit 70/71 so manches Chaos überstanden und noch mehr angerichtet hat, eine gewisse Routine der Gelassenheit entwickelt hat, oder sagen wir: der selbstbewussten Identität." (Thomas Fischer)
(Man fragt sich, was nach 'Chaos' eigentlich noch als Steigerung kommen soll in einem Medienbetrieb, der auf stetige Reizeskalation gepolt ist.) Schon haariger wird’s nämlich, wenn auch bürgerliche Organe beginnen, sich leichtfertig eines Vokabulars zu bedienen, das teils in Milieus populär ist, von denen man sich sonst wortreich zu distanzieren pflegt. Die Rede ist vom zunehmenden Gefasel vom 'Staatsversagen' (so geschehen z.B. in Spiegel, Welt, FAZ, NZZ, Rundschau).
Wir erinnern uns: Seit ca. 2015 ist 'Staatsversagen' ein Sammelbegriff für alles, was die amtierende Regierung tut und dem rechten Spektrum irgendwie auf die Eier oder sonstwie gegen den Strich geht. Inzwischen scheint 'Staatsversagen' eine Standardformel zu sein für alles, für das Journalisten noch vor nicht allzulanger Zeit das Wort 'Skandal!' benutzt hätten. Sicher ist unbeholfenes und/oder fehlerhaftes Handeln einer Regierung bzw. einzelner inkompetenter/überforderter Minister hochgradig ärgerlich und kann in Pandemie-Zeiten Menschenleben kosten. Aber Regierungsversagen ist noch lange kein Staatsversagen.
"Die Diagnose »Staatsversagen« stammt ursprünglich aus der Wirtschaftswissenschaft und wird dort vor allem von Befürwortern einer radikalen Marktfreiheit verwendet - als Gegenstück zum »Marktversagen«. Ein Staatsversagen liegt laut »Duden der Wirtschaft« vor, »wenn eine unternehmerische Tätigkeit des Staates zu schlechteren volkswirtschaftlichen Ergebnissen oder ineffizienteren Lösungen wirtschaftlicher Probleme führt als eine Organisation über den Markt unter Wettbewerbsbedingungen.« (Jakob Biazza)
Bedenkt man, dass es zu den vornehmsten Aufgaben bürgerlicher Demokratien gehört, dafür zu sorgen, dass die Geschäfte der Wirtschaft möglichst unbehelligt vonstatten gehen können, dann ist dieser Staat von Versagen sehr weit entfernt. Oder hat Frau Merkel ihren Vorschlag eines fünftägigen Totallockdowns über Ostern etwa deswegen wieder zurückgenommen, weil ihr am nächsten Morgen ganz alleine klargeworden ist, um was für eine Schnapsidee sich handelt? Eben.
Insgesamt wird man das Gefühl nicht los, nicht wenige sehnten Chaos und Untergang förmlich herbei. Wieso? Weil sie dann hinterher sagen können: "Haha, ich habs damals gleich gesagt, aber auf mich hat keiner gehört!"? Möglich. Weil es so wahnsinnig sexy ist, sich inmitten des Chaos zu wähnen? Nicht ausgeschlossen. Schon vor Jahren wies Georg Seeßlen darauf hin, die zunehmende Popularität rechter/rechtspopulistischer Politikangebote sei auch Ausdruck einer Sehnsucht nach dem verlorenen (imaginierten) Heroischen in der Politik, dem ganz großen Wurf, der derm ewigen Hickhack, der endlosen Quasselei über 'weiche' Themen endlich ein Ende setzt.
"Ein Glanz sein." (Irmgard Keun)
Zumal Heldenerzählungen wohl so alt sind wie die Menschheit. Schon die Ilias, das älteste größerere bekannte Stück abendländischer Literatur, ist eine. Wir damals vor Troia. Oder vor sonstwo. ("Na, Schulze, wissensenoch? Wie wir zwei damals in der Scheiße lagen? Ich in Russland, Sie inne Windeln?") Auch die mittelalterliche höfische Literatur ist voller vollverchromter Rittersleut', die sich in gefährlichen Âventiuren zu bewähren hatten. Und es braucht keine allzu überbordende Phantasie, sich einen Urmenschenclan vorzustellen, der beim nächtlichen Lagerfeuer den Heldentaten des Ältesten lauschte. Oder lauschen musste. Wie ich das Mammut erlegte und gleichzeitig das Kleinkind vor dem Säbelzahntiger rettete.
Und was haben wir? Was werden wir dereinst unseren Enkeln erzählen können? Nicht shoppen, nicht in ins Theater/Kino/Restaurant zu dürfen, stattdessen stumpf zu Hause bleiben und Home Office, Home Schooling, Home Drinking etc. praktizieren zu müssen, hat eher wenig Glamour. Kein Vergleich mit Opas Erzählungen von 68, als er bei der Demo in West-Berlin die Barrikade allein gegen die anstürmende Bullerei verteidigt hat (obwohl er bloß am Gymnasium Fallingbostel mit drei anderen bekifften Klassenkameraden die Aula einen Vormittag lang besetzt und sich mittags dann vom Direx hatte "zur Vernunft bringen" lassen).
Dereinst von sich sagen zu können, man habe damals, in der großen Pandemie, zu den Durchblickern und Checkern gehört, der Sanitätsdiktatur mutig die Stirn geboten, derweil alle anderen doof und brav daheim geblieben sind und Maske getragen haben, hat da natürlich einen anderen Punch. Die Enkel wird’s dennoch langweilen.
Zumal Heldenerzählungen wohl so alt sind wie die Menschheit. Schon die Ilias, das älteste größerere bekannte Stück abendländischer Literatur, ist eine. Wir damals vor Troia. Oder vor sonstwo. ("Na, Schulze, wissensenoch? Wie wir zwei damals in der Scheiße lagen? Ich in Russland, Sie inne Windeln?") Auch die mittelalterliche höfische Literatur ist voller vollverchromter Rittersleut', die sich in gefährlichen Âventiuren zu bewähren hatten. Und es braucht keine allzu überbordende Phantasie, sich einen Urmenschenclan vorzustellen, der beim nächtlichen Lagerfeuer den Heldentaten des Ältesten lauschte. Oder lauschen musste. Wie ich das Mammut erlegte und gleichzeitig das Kleinkind vor dem Säbelzahntiger rettete.
Und was haben wir? Was werden wir dereinst unseren Enkeln erzählen können? Nicht shoppen, nicht in ins Theater/Kino/Restaurant zu dürfen, stattdessen stumpf zu Hause bleiben und Home Office, Home Schooling, Home Drinking etc. praktizieren zu müssen, hat eher wenig Glamour. Kein Vergleich mit Opas Erzählungen von 68, als er bei der Demo in West-Berlin die Barrikade allein gegen die anstürmende Bullerei verteidigt hat (obwohl er bloß am Gymnasium Fallingbostel mit drei anderen bekifften Klassenkameraden die Aula einen Vormittag lang besetzt und sich mittags dann vom Direx hatte "zur Vernunft bringen" lassen).
Dereinst von sich sagen zu können, man habe damals, in der großen Pandemie, zu den Durchblickern und Checkern gehört, der Sanitätsdiktatur mutig die Stirn geboten, derweil alle anderen doof und brav daheim geblieben sind und Maske getragen haben, hat da natürlich einen anderen Punch. Die Enkel wird’s dennoch langweilen.
Volltreffer. Genau! Schlag die Zeitung auf und das Chaos lacht dir ins Gesicht. Ich sag nur: Februar 2020, Bergamo (… schauder …)
AntwortenLöschenIch habe mich 2021 dem Impferialismus nicht gebeugt. Wir haben damals am Ballermann alle eine Ehrenerklärung abgegeben, bevor wir zu acht einen Sangria-Eimer niedergemacht haben.
AntwortenLöschenHabt ihr auch die Strohhalme desinfiziert?
AntwortenLöschenGuten Tag zusammen,
AntwortenLöschenwie bemerkte weiland der leider verstorbene Wiglaf Droste (wenn ich mich recht erinnere) "wenn der Deutsche emotional wird, endets entweder in Bayreuth oder in Stalingrad".
Dem windelweichen, verwöhnten Westeuropäer und besonders — habe ich den Eindruck — dem Deutschen wird die kleinste Unanehmlichkeit von Benzinpreiserhöhung bis Masken-tragen von der Journaille doch schon seit Jahren als "Chaos" verkauft. Auf diesen Begriff hat man sich nun seit 1968 hochgearbeitet und dahinter kommt nur noch unfreiwillige Komik im Bereich der Synonyme — eigentlich schade.
Gruß
Jens
Du hast das "massiv" vergessen. "Massives Chaos", so heißt das heute.
AntwortenLöschen... Ok — Sie haben Recht: Massives Chaos, absolutes Chaos etc.
LöschenGruß
Jens
Staatsversagen? Bankotterklärung des Staates trifft es wohl eher. Diese haben wir seit der NSA-Affäre schriftlich. Nochmal nachgelegt hat der Staat dann beim NSU. Dagegen sind die heutigen Aufreger eher Peanuts.
AntwortenLöschenDeutschland reiht sich wohlverdient ein in die #failedstates der #shitholecountries. Sollte die aktuelle Krisenzeit tatsächlich irgendwann überwunden werden, wird Deutschland ein Entwicklungsland sein. Vielleicht entwickelt sich dann ja mal was in die richtige Richtung, aber ausgehen sollte man davon wohl eher nicht.
Die oben im Artikel angeführten Freiheiten kannst Du übrigens nutzen. Du muss halt nur Vermögend und "Bekannt" sein. Die Strenz ist ja auch erst im Flieger von Kuba nach Deutschland kollabiert.
Wem es mit dem Impftermin hier zu lange dauert, kann sich, gegen eine angemessene Aufwandsentschädigung, auch in Dubai impfen lassen. Zum Ramadan gibt es immer preiswerte Flüge dahin.