Mittwoch, 31. März 2021

Gekärcherte Lyrik

 
"Lyrik ist schwyrik, / Leicht wird sie schmyrik." (Wiglaf Droste)

Zunächst muss man dem Verlag Hoffmann und Campe gratulieren für die verlegerische Großtat, das gerade einmal 723 Wörter umfassende Gedicht The Hill We Climb, das die junge Dichterin Amanda Gorman zur Amtseinführung Joe Bidens vortrug, als zweisprachige Ausgabe Englisch - Deutsch (60 S.) für satte 11 Euronen in die Regale zu stellen. Philipp Reclam jun., der Alte Weiße Mann, rotiert im Grabe. Zumal das englische Original des Gedichts problemlos für lau zu lesen ist. (Es ist im übrigen davon auszugehen, dass der Großteil der vom Verlag angepeilten Zielgruppe halbwegs Englisch kann).

Nicht muttersprachliche Lyrik gilt gemeinhin als unübersetzbar, eine Übersetzung ist daher noch mehr eine Nachschöpfung als bei anderer Literatur. Zumal man verschiedene Schwerpunkte setzen kann. Gormans Gedicht ist in hymnisch hoher Sprache gehalten und einigermaßen anspielungsreich. Was will will man da vorrangig transportieren? Den sprachlichen Punch? Die Sprechmelodie, den Rhythmus? Die kulturellen Bezüge? Oder sprachliche Transparenz schaffen? Letzteres ist vor allem für den akademischen Bereich von Belang, geht aber meist auf Kosten der Ästhetik und wirkt leicht hölzern.

Genau das ist wohl im Fall der Übersetzung des Gorman-Poems passiert. Der erfahrenen Übersetzerin Uda Strätling wurden nämlich die schwarze Hadija Haruna-Oelker und die türkischstämmige, in Hamburg geborene Kübra Gümüsay an die Seite gestellt. Die sollten, quasi als Politkommissarinnen, ein scharfes Auge drauf haben, dass es auch woke genug zugeht beim Übersetzen. Gab mal Zeiten, da hatte man für so was ein Lektorat. Genügt aber offenbar nicht mehr in Zeiten, da eine kleine aber laute Twitteria sich eine moralisch durchgekärcherte Welt herbeiempören und -shitstormen will. Und zwar nach Kriterien, über die allein sie befindet. Bis hin zu dem historischen Treppenwitz, im Namen des Antirassismus zu propagieren, die Eignung eines/r Übersetzer*in von der Hautfarbe abhängig zu machen.

Literaturwissenschaft ist keine empirische Wissenschaft. Doch wäre es ein interessantes Experiment, das Prinzip der Blindstudie auch auf Literatur anzuwenden. Man lege einem nach aller Kunst der Wokeness zusammengesetzten Panel aus Proband*innen mehrere Übersetzungen des Gedichtes vor. Und dann müssen die Proband*innen ankreuzen, ob die jeweilige Version von einer PoC, einem Alten Weißen Mann, einer lesbischen schwarzen Behinderten oder einem geflüchteten Sinto stammt und auf einer Skala von -3 bis +3 bewerten, wie sie sie finden. Die Ergebnisse dürften einigermaßen interessant werden.





8 Kommentare :

  1. ... wortgetreu und sinngetreu im Sinne des (evtl. Versorbenen) zu übersetzen? Dazu hat Harry Rowohlt selber schon alles gesagt — sowohl in seinen Briefen an den Verleger Haffmann als auch in "der Rabe" Anthologie. Fremdes Zitat zu H. Rowohlt:"Sein ganzes Schaffen zeichnet sich aus durch höchste Ansprüche an sich selbst und Sprachverliebtheit bis zur Sprachbesessenheit.“

    Gruss
    Jens

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  2. Für die bevorstehende Übersetzung meines lyrischen Övres ins Andorranische habe ich gegenüber dem Verlag auf einen heterosexuellen weißen Mann mit rheinland-pfälzischem Migrationshintergrund bestanden. Fußballfan und Weinkenner erwünscht, aber nicht Bedingung.

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    1. Uh, viel Glück beim Suchen. Derart qualifiziertes Personal ist quasi nicht mehr zu kriegen heutzutage.

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    2. Stellt sich in diesem Kontext die Frage, welchem Anforderungsprofil ein kompetenter Übersetzer etwa für Günter Grass’ Hervorbringung “Europas Schande“ (M. Reich-Ranicki: “Ich sehe keine Reime.“) entsprechen müsste: z.B. ein verbitterter alter weißer Mann, Pfeifenraucher sowie ehemaliger Teilnehmer eines juvenilen SS-Schnupperkurses, mit letzter Tinte – damit bei der Sache was gebührlich authentisches rüberkommt? So jemand müsste sich halt irgendwo auftreiben lassen.

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    3. Noch schlimmer: Wer übersetzt die Inschriften eines alten Maya-Tempels?

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  3. Ich hab' mal angefangen Gormans Gedicht zu lesen (im O-Ton) und muss sagen das ich diesen theatralischen Pathos nur grauenhaft finde und habe es dabei belassen nur den Anfang zu lesen.
    Ich kann Deine Argumentation verstehen, gerade was die Intention von Hoffmann und Campe angeht, aber dafür auf eine Anna Pritzkau zu verlinken...nun denn.
    Ihre Einleitung ist stringent und nachvollziehbar, danach folgen nur noch Mutmaßungen und Unterstellungen.
    Es empfinden die Kartoffeln seit jeher schon als unverschämt, wenn hier lebende Migranten in zweiter oder dritter Generation die "Frechheit" haben und das Maul aufreissen.
    Die FAZ ist dafür genau der richtige Ort.

    Fred

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    1. Kann ich nicht nachvollziehen. Als 'Kartoffel' begrüße ich es sehr, wenn Migranten zweiter oder dritter (oder) vierter Generation "das Maul aufreißen". Und? Muss ich jedes Resultat dieses Maulaufreißens gut finden? Ist Kritik verboten? Gerade Frau Gümüsay liefert da einiges an Angriffsfläche. Und Frau Pritzkau, die man auch so oder so finden kann, belegt ihre Kritik durchaus. Wo also ist das Problem?

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    2. Ich finde es ehrlich gesagt unlauter von Prizkau, Kübra Gümüsay in die Ecke einer antisemitischen Islamistin zu stellen, so etwas ist schlechter A. Schwarzer-Style.
      Zumal Gümüsay das auch nicht hergibt. Wenn man sich an ihrem Kopftuch stört dann soll man das sagen, aber gleich daraus ein "Allahu Akbar" zu konstruieren, ist stumpfer Kulturalismius der, wie schon geschrieben, seinen Platz in der FAZ hat.

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