Wer glaubte, nach dem 0 : 6 gegen Spanien (wir berichteten) sei der vorläufige Tiefpunkt hiesiger nationaler Fußballkunst erreicht, sah sich am Mittwochabend eines Anderen belehrt. Mit 1 : 2 verloren Jogis Jungs in Duisburg gegen Fußballgigant und Favoritenschreck Nordmazedonien. Wie fängt man da an? Am besten, indem man versucht, der Sache Positives abzugewinnen:
Dem DFB und der von ihm betreuten Fußball-Nationalmannschaft der Herren muss man attestieren, vieles richtig zu machen zur Zeit. Dank deren Arbeit dürfte nämlich die Boykottkampagne gegen die absurde, für 2022 angesetzte Weltmeisterschaft in Katar ein voller Erfolg werden. So das Nationalteam sich überhaupt qualifiziert, dürften auch die schwarzrotgeilsten Hardcore-Fans und Kfz-Beflagger nur wenig geneigt sein, sich bei Glühwein und Lebkuchen irgendwelche verzweifelten Grottenkicks anzutun. Es sei denn, sie haben eine masochistische Ader.
Spaß beiseite. Natürlich gibt es schon längst keine 'Fußballzwerge' mehr und auch frühere WM-Qualifikationen waren nicht selten Zitterpartien, aber ein Team mit WM-Ambitionen, das sich derart die Zähne ziehen lässt, sollte sich ernsthaft überlegen, überhaupt anzutreten. Die MannschaftTM konnte sich überdies beim Schiedsrichter bedanken, der ihr einen strittigen Elfmeter zusprach und der nordmazedonischen einen klaren Handelfmeter verweigerte (und am Ende noch großzügige sechs Minuten Nachspielzeit draufpackte, aber auch dreißig hätten wohl nichts genutzt), sonst hätte es noch deutlich peinlicher werden können.
Was kommt als nächstes? Sagen wir so: Es gab Zeiten, da man sich hierzulande sehr erheiterte über die 0 : 1-Niederlage der österreichischen Nachbarn gegen die Färöer, die dem damaligen österreichischen Trainer Joseph 'Pepi' Hickersberger den Spitznamen 'Färöer-Pepi' einhandelte. Joachim Löw dürfte sehr dankbar sein, dass 'Nordmazedonien' phonetisch deutlich sperriger ist.
Denn natürlich muss vor allem über den Bundestrainer geredet werden. Dessen Rolle und dessen Möglichkeiten werden nämlich zumeist dramatisch fehleingeschätzt, darunter von ihm selbst. Es gibt einen Grund, warum gute Nationaltrainer so schwer zu kriegen sind, warum qualifizierte Kandidaten wie Tuchel, Klopp, Flick oder Ragnick dankend abwinken. Ein Nationaltrainer hat viel zu wenig Zeit mit seiner Mannschaft zur Verfügung, als dass er ihr nachhaltig einen Stempel aufdrücken könnte. Sicher, man kann in Trainingslagern ein paar Freistoßvarianten und Laufwege einüben, die Hauptarbeit aber findet in den Klubs statt. Letztlich kann er nur hoffen, einen ausreichend großen Pool an erfahrenen Spielern und ein paar hungrigen Neulingen zur Verfügung zu haben, die mit einer kompletten Saison in den Knochen zum Turnier in Form sind und so miteinander harmonieren, dass sie das Ding schon irgendwie wuppen. Ansonsten muss er die Kunst beherrschen, sich auch mal nicht einzumischen.
Wir erinnern uns: Der WM-Titel 1974 wurde gewonnen, weil die Führungsspieler um Beckenbauer, Breitner und Hoeneß gegen den ungeschickten Herbergsvater Helmut Schön rebelliert, ihn zur bloßen Repräsentationsfigur zurechtgestutzt hatten und fortan ihr eigenes Ding machten. Halt dich raus, Mützenmann, und lass das mal die Profis machen. Vermutlich geprägt durch diese Erfahrung, unternahm Teamchef Franz Beckenbauer, der, höflich ausgedrückt, von Taktik nicht allzu viel verstand, 1990 gar nicht erst den Versuch, seinen Topleuten um Matthäus und Brehme irgendwas groß erklären zu wollen, sondern stellte sie auf den Platz und ließ sie weitestgehend machen.
Langsam aber sicher sollte sich die Erkenntnis durchsetzen, dass auch der WM-Titel 2014 größtenteils nicht wegen Joachim Löw, sondern trotz seiner Arbeit als Trainer gewonnen wurde. Seiner klar besten Entscheidung, im Finale gegen Argentinien zum richtigen Zeitpunkt Mario Götze einzuwechseln nämlich, steht eine lange Reihe hanebüchener Fehlentscheidungen gegenüber. Zum Beispiel nach dem Karriereende Miroslav Kloses einen klassischen Mittelstürmer wie Stefan Kießling konsequent zu Hause zu lassen und statt dessen weiter mit falscher Neun zu spielen. Oder jetzt ein gerade eingespieltes System mit Viererkette, das gegen Island und Rumänien einigermaßen funktionierte, ohne Not auf Dreierkette umzustellen.
Das Team, das in Rio gewann, hatte sich seit 2006 langsam aufeinander eingespielt. Schlüsselfigur war hier zunächst Philipp Lahm, ein hochintelligenter Verteidiger und brillanter Techniker, der ein Spiel auf dem Platz lenken konnte (was ich übrigens mal grob fehleingeschätzt habe). 2010 profitierte man von einer soliden Abwehr um Mertesacker und Friedrich sowie von der Schnelligkeit der beiden Newcomer Thomas Müller und Mesut Özil. Die waren mit Ball am Fuß schneller als viele Gegenspieler ohne Ball und machten entscheidende Kontertore. 2014 gesellte sich mit Khedira, Kroos und Schweinsteiger ein Weltklassemittelfeld hinzu. Diese Mannschaft, die auch athletisch und konditonell im Zenit stand, hätte vermutlich auch gewonnen, wenn Löw auf der Tribüne gesessen hätte oder gar nicht im Stadion gewesen wäre.
Ein Nationaltrainer fährt immer gut damit, wenn mehrere Schlüsselspieler beim gleichen Verein sind, sich entsprechend blind verstehen und ihr gewohntes System spielen können. Im Falle der deutschen Nationalmannschaft war dieser Verein, ob man ihn mag oder nicht, in der Vergangenheit meist nun einmal der FC Bayern München. Es ist zwar erfreulich, wenn Werner, Rüdiger und Havertz bei Chelsea kicken, Kroos bei Real Madrid und Gündogan bei Manchester City Stammspieler sind, aber damit hat man noch lange keine eingespielte Truppe beisammen.
So muss Löws Schritt, mit Boateng, Hummels und Müller die letzten erfahrenen Bayern-Profis ohne Not aus der Mannschaft zu kegeln, zur Liste seiner schwer verständlichen Entscheidungen hinzugefügt werden. Zumal 2014 neben Per Mertesacker mit Philipp Lahm und Bastian Schweinsteiger schon zwei wichtige Münchner ihre Karrieren beendet hatten. Seine Idee, den Ballbesitzfußball der Jahre 2012ff. aufzugeben und einen Umschalt- und Konterfußball zu etablieren, bei dem Spieler wie Werner, Sané und Klostermann ihre Schnelligkeit ausspielen können, mag ihren Charme haben, funktioniert aber nicht, wenn man kein Rezept gegen tief stehende auf dem Papier unterlegene Gegner findet.
Joachim Löw hat nach dem gewonnenen WM-Titel 2014 den besten und nach dem verlorenen EM-Halbfinale 2016 den letztmöglichen Zeitpunkt zum würdigen Aufhören verpasst und klammert sich seither an die Idee, etwas Neues aufzubauen und unbedingt noch den EM-Titel zu holen. Mit bislang überschaubarem Erfolg. Es bleibt unklar, wieso man beim DFB Löws Vertragsverlängerung nicht vom Abschneiden bei der WM 2018 abhängig machte. Noch unklarer, wieso man ihn nach dem blamablen Vorrundenaus weiter machen ließ, obwohl klar war, dass er an den Grenzen seiner Möglichkeiten angekommen war.
Und natürlich muss man diskutieren, inwieweit die Personalie Löw vor allem eine Folge der Causa DFB ist. Ein Verband, der sich gern damit schmückt, der größte Einzelsportverband der Welt zu sein, aber von unprofessionellen Opportunisten geführt wird und dann so auftritt, darf sich halt nicht wundern:
"Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea, verwaiste Fanmeilen sowie ein Bundestrainer, der sich nach der größten Pleite der DFB-Geschichte aussuchen darf, ob er weitermacht, und nach einem Nicken in den Urlaub verschwindet, ohne auch nur mit einem Satz zu erklären, woran es lag, und ob er in Zukunft etwas anders machen will." (Fritsch/Spiller)
Dass Löws Tage als Bundestrainer gezählt sind, ist ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass er in einem professioneller geführten Verband schon längst seinen Job los wäre. Ein neuer Trainer aber wird kaum kompensieren können, dass in der DFB-Elf außer Manuel Neuer momentan kaum echte Weltklasse auf dem Platz steht. Mit eher mittelmäßigem Abschneiden bei künftigen Turnieren ist also zu rechnen. Aber, um noch einmal das Positive zu sehen: Die unzweifelhaften Verdienste Joachim Löws und der DFB-Führung um die weitgehende Abschaffung des grassierenden scheißrotgoldenen Partypatriotismus können nicht hoch genug geschätzt werden.
Gibt es eigentlich schon "Die Schande von Duisburg"-Shirts zu kaufen? Das "Die Schande von Cordoba"-Shirt passt mir nicht mehr.
AntwortenLöschenIch hätte lieber ein T-Shirt von "Tarzoon - Schande des Dschungels":
Löschenhttps://ssl.ofdb.de/film/21977,Tarzoon---Schande-des-Dschungels
(NSFW)
Neuer hat doch gar nicht gespielt ...!?
AntwortenLöschenJep, da war ich schon weggedämmert. War Ter Stegen. Danke.
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