Samstag, 25. Juni 2022

Jenseits der Blogroll - 06/2022

 
Die Links und Fundstücke des Monats. Kann man, so die kurrente Gretchenfrage, Pazifist sein und den ukrainischen Widerstand gegen die russische Invasion trotzdem gutheißen, so im Sinne von: Notwendiges Übel? Meine Position ist bekannt. Seit dem 24. Februar ist es ziemlich müßig, stundenlang bis in die fallende Nacht über diverse Versäumnisse und Sauereien 'des Westens' zu diskutieren (wozu ich übrigens gern bereit bin, wenn mit gleicher Offenheit und Akribie über diverse Versäumnisse und Sauereien Russlands debattiert wird). Wer den Frieden will, muss diesen Konflikt beenden wollen. Das aber geht nur aus einer Position der Stärke heraus und, leider, leider, wohl nur mit Gewalt. Auch wenn dadurch eventuell jahrzehntelang gehegte Wertvorstellungen Kratzer bekommen.

Es ist armselig, geradzu kindisch, jeden reflexhaft der Russophobie oder des Russland-Hasses zu bezichtigen, der es wagt, Kriegsverbrechen wie in Butscha beim Namen zu nennen. Oder "Aber der Westen ist viel schlimmer!" zu krähen. Warum? Weil davon der Krieg keinen Tag früher zu Ende sein und kein einziges Leben dadurch gerettet wird.

Niemand, der nur halbwegs auf allen Platten kocht, würde 'den Westen' pauschal als Hort des Friedens und der Güte bezeichnen. Aber man sollte schon zur Kenntnis nehmen, dass es im Westen immer noch so was wie Rechtsstaatlichkeit gibt. So wurden etwa die Kriegsverbrechen während des Irakkriegs 2003 von einer freien Presse ans Licht gebracht, gegen die Täter wurde ermittelt und es wurden Strafen verhängt. Ist in vielen anderen Gegenden der Welt eher weniger oder gar nicht der Fall.

Widerstand ist der Weg zur Freiheit, meint der Marxist Paul Mason zum Ukraine-Krieg.

"Denn dies ist nicht einfach irgendein Widerstand eines Landes gegen die Aggression eines anderen, dies ist nicht einfach ein Krieg bei dem es um das ethnische und nationale Überleben der Ukrainer gegen einen vom Faschismus inspirierten russischen Ethno-Nationalismus geht. Es ist ein systemischer Konflikt. [...] Xi Jin Ping und Vladimir Putin haben es selbst angekündigt in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 4. Februar in Peking. Es soll keine universellen Werte mehr geben. Was sie im Visier haben, ist eine totalitäre Welt, unter russisch-chinesischer Vorherrschaft, in der alle Revolten im Keim aus ihrer Sicht legitim erstickt werden, mit der einfachen Begründung, sie seien aus dem Ausland heraus angestiftet und provoziert worden. Aus dieser Sicht wird der Westen zunehmend irrelevant, dekadent und geschwächt, im Würgegriff des »LGBT Kapitalismus«". (Mason, a.a.O.)


Und noch ein Interview mit ihm.

Wie kriegen wir alle diese Krisen bloss unter einen Hut? Fragt sich Adam Tooze.

Interview mit Christopher Clark. Seiner Meinung nach ist die momentane Situation weder mit der 1914 noch mit der 1939 vergleichbar. Weil, anders als 1914, niemand außer der Kriegspartei in Russland wirklich Krieg wolle. Unreflektiertes Geblubber wie das von einem kriegsgeilen Europa, das in einen dritten Weltkrieg schlafwandle, ist daher ziemlich plemplem. Und anders als 1939 führt Putin keinen rassistisch unterfütterten Vernichtungskrieg, sämtliche Vergleiche mit Hitler führen also ebenfalls ins Leere.
 
"Wer sich daran gewöhnen kann, dass fast jede Woche Schulkinder Schulkinder umbringen, kann sich an fast alles gewöhnen.", findet Leo Fischer.

Sieben Thesen zur Linkspartei.

Warum die Nachdenkseiten ein Scharnier in die Welt der Verschwörungsideologie sind, begründet Markus Linden im Interview.

Kultur, Gesellschaft, Gedöns. Wunderschönes Portrait von Peter Krause, der deutschen Stimme Donald Ducks.

Der Kasperle ist zwar wieder da, aber dummerweise ist das Publikum weg, konstatiert Georg Seeßlen.
 
"Also. Ich hab’ kein Geld, und einen Job krieg ich auch nicht. Wo ich doch eindeutig systemrelevant und Kunst und alles bin. Da hab ich der Frau Kulturkrokodil geschrieben, wegen einer Subvention wegen der Inflation und Corona und alles, und weil keiner mehr ins Kasperltheater geht. Glauben Sie vielleicht, die Frau Kulturkrokodil hätt sich auch nur ein Tränderl verdruckt wegen uns arme Kasperln? Nix! Die Frau Kulturkrokodil muss so viel Kultur eröffnen, dass man gar nicht merkt, wie viel Kultur grad zum Teufel geht." (Seeßlen, a.a.O.)

Jan Michael Richter alias Jamiri zeichnet nach einer langen Krise wieder. Guter Mann, gute Nachricht.

Musik. Es gab eine ganz kurze Zeit, in der in meiner ruhrpöttischen Heimatregion Musik entstand, auf die man ein klein bisschen stolz sein konnte und die einem hier und dort sogar den einen oder anderen anerkennenden Blick eintrug. Ab Mitte der Achtziger, als mit Sodom und Kreator zwei der Großen Drei des deutschen Thrash Metal von hier waren. Und ab Ende der Achtziger, als Phillip Boa and the Voodooclub geniale Songs raushauten. 'And The She Kissed Her' vom 91er-Album Helios ist einer der schönsten. Aber bereits im Exil auf Malta entstanden:


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Sport. Wie hat Roberto Carlos das damals, 1997, gegen Frankreich gemacht mit dem Freistoß? Die 11Freunde haben die Formel parat.

Bodybuilding ist von seinen Ursprüngen her viel unmännlicher als man gemeinhin denkt, klärt Anton Bochser auf.

Stefan Osterhaus erinnert an die beste deutsche Fußball-Nationalmannschaft aller Zeiten.

Essen, Trinken, gut leben. Lachs ist gesund. Proteine. Omega 3. Und noch der größte Idiot kriegt ihn irgendwie zubereitet. Leider zerstört die intensive Lachszucht den Planeten.

Die Kochgenossen über den Humbug mit dem bösen Glutamat.

Nochn Humbug: Der mit der 'kulturellen Aneignung'. Ein, wie ich letztens las, "Idiotenkonzept. Es wurde von Idioten erfunden, es wird ausschließlich von Idioten verwendet und wer sich länger damit beschäftigt, läuft Gefahr selber zum Idioten zu werden. Die Übernahme griechischer Philosophie durch muslimische Gelehrte, die Übernahme arabischer Ziffern durch italienische Rechenmeister, nachdem die Araber diese von den Indern übernommen hatten, Mozarts Übernahme italienischer Kompositionstechnik, die Transformation von Pörkölt in Gulasch oder von Mailänder Piccata in Wiener Schnitzel. Das hört nicht auf und nennt sich Fortschritt." So isses.

Bemerken Fine dining gewohnte Gourmets, wenn man ihnen Fertigmampf und Tütensumpf vorsetzt? Maître Lege meint: Am Arsch! Und tritt den Beweis an.


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Vincent Klink über seine Jugend. Er wuchs mit einem Speisezettel auf, für den heute viel Geld ausgegeben würde: Alles hausgemacht, alles bio, direkt vom Bauern, Gemüse aus dem eigenen Garten. Der Vater war Tierarzt und schleppte Wurst aus Hausschlachtung an, melkwarme Milch, frisch geschlagene Butter. Klein-Vince aber hungerte es nach dem cleanen Industriekram, den er bei Freunden bekam: Dosenravioli, Miracoli, Brausepulver, abgepacktes Brot mit hauchdünner Fabrikwurst, Dosengemüse. Denn das war modern und cool.

Das Rezept. Passend zum britischen Thronjubliäum dieses Mal. Kevin Recher hat sich mit 'Coronation Chicken' befasst, dem, so heißt es, offiziellen Gericht zur Krönung Elizabeths II. vor über 70 Jahren. Im Prinzip handelt es sich dabei um einen unter anderem mit Currypulver und Schlagsahne aufgerüschten Geflügelsalat. Angeblich hat die Köchin Rosemary Hume das Gericht eigens für das Krönungsbankett erfunden und es Poulet Reine Elizabeth genannt. Der Name 'Coronation Chicken' taucht erst drei Jahre später in dem Millionenseller Cookery Book auf, den Hume zusammen mit Constance Spry verfasste.

Angeblich soll es sich extra um ein kaltes Gericht gehandelt haben, damit man es bequem am Vortag vorbereiten und es zur Fernsehübertragung der Krönung unkompliziert nur mit der Gabel verzehren konnte. Inwieweit das glaubwürdig ist, kann ich nicht beurteilen. In Westdeutschland wurde 1953 gerade mal der 10.000. Fernsehempfänger zugelassen.

In den folgenden Jahrzehnten degenerierte der gelblich-rötliche Matsch zum currylastigen Belag für abgepackte Tankstellensandwiches und wurde zu einer der Inbegriffe uninspirierter britischer Küchenpanscheien. Was uns heute befremdlich erscheint, passte durchaus gut zur Zeit seiner Erfindung: Durch Zutaten wie Currypulver, Wein, Aprikosenpüree und Sahne verströmte es einen Hauch Luxus und Exotik, war aber noch frugal genug, dass es auch für Durchschnittshaushalte erschwinglich war und nicht dekadent wirkte. Recher versucht sich an Humes und Sprys Originalrezept (und verzweifelt an den nichtmetrischen Maßeinheiten), Felicity Cloake liefert metrische Einheiten, nimmt sich bei den Zutaten aber Freiheiten wie Mango Chutney.







5 Kommentare :

  1. Es war Linken-Parteitag. Währenddessen trat der NachDenkSeiten-nahe Diether Dehm lieber bei den verschwörungsideologischen 'Freien Linken' in Berlin-Weissensee auf und bezeichnete die Nato als "die grösste Verbrecherorganisation nach der SS".
    https://twitter.com/JFDA_eV/status/1540674170995896326

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  2. Ich frage mich immer, warum so viele Pseudo-Linke ein Problem damit haben, dass die Ukrainer ihre Unabhängigkeit und ihre Freiheit verteidigen. Als sich die Vietnamesen gegen die US-Imperialisten gewehrt haben (übrigens erfolgreich - mithilfe der chinesischen Waffenlieferungen), wussten sie noch, auf welcher Seite man zu stehen hat.

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  3. Man komme Ideologen nicht mit lästigen Fakten, das mögen sie gar nicht. Hier ein schönes Beispiel, mit welchen intellektuellen Verrenkungen man es hinbekommt, dass Russland zwar auch kapitalistisch ist, aber eben nicht so imperialistisch wie der Westen. Oder anders halt.
    @Hüssy: Obacht bitte damit, die kryptorechten 'Freien Linken' mit der Linkspartei in einen Topf zu werfen.

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  4. Toll, dass der militärische Massenmord am schwarzen Meer dem Pott wohl die Kohle zurückbringt.

    Trotzdem ist es nicht mein Massaker, obwohl es sicher toll für die gelernten Steiger ist.

    Und Kohle haben ist immer noch besser, als keine. Lumpen hin oder her.

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    1. Ob die Kohle zurückkommt, wage ich noch zu bezweifeln. Fun fact: Hier in der Nähe wurde erst letztes Jahr eines der größten Kohlekraftwerke der Region zum Gaskraftwerk umgebaut. Dumm gelaufen...

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