In diesen Tagen vor dreißig Jahren, zwischen dem 22. und dem 28. August 1992, blies ein mordbereiter Mob aus Rechtsextremen und Neonazis in Rostock-Lichtenhagen zur Menschenjagd auf Asylbewerber und ehemalige 'Vertragsarbeiter' aus Vietnam, allgemein beklatscht, bejubelt und angefeuert von Anwohnern. Die Polizei stand die meiste Zeit hilflos daneben und war zum Zusehen verdammt. Dass in diesem Orlog aus Körperverletzung und Brandstiftung kein Mensch ums Leben gekommen ist, grenzt an ein Wunder. Sicher hatten Neonazis aus dem Westen entscheidenden Anteil, aber hier, kurz nach der und mitten in den Zumutungen der 'Wende' fiel ihre Arbeit endlich auf fruchtbaren Boden.
"Vom Himmel gefallen [...] war da gar nichts. 207 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten waren allein 1992 in Mecklenburg-Vorpommern registriert worden. Aufmerksame Beobachter hatten vor drohender Gewalt gewarnt. Vergeblich. Fast alle, die bei den zuständigen Polizeibehörden etwas zu sagen und zu entscheiden hatten, waren Westimporte und verbrachten das Wochenende bei ihren Familien daheim. Die Polizei freilich versagte nicht als einzige. Medien schürten Ängste und Ressentiments gegen die 'Asylantenflut', die Politik hielt sich weitgehend zurück. Weil's wohl auch in den Kram passte. »Es wird der deutschen Regierung und Helmut Kohl schwerfallen[,] sich von dem Verdacht reinzuwaschen, daß sie die Gewaltwelle gegen Ausländer aus einem ganz bestimmten Grund nicht stoppten: In der Hoffnung, die sich sträubende sozialdemokratische Opposition im Bundestag für die Abschaffung des Artikels 16 zu mobilisieren«, urteilte die 'Haaretz', als das Unheil geschehen war." (Deutscher Herbst 1992)
Schlimmer noch: Dadurch dass die SPD sich am Ende den 'Asylkompromiss' abschwatzen ließ, konnten die Täter und ihre Unterstützer sich in ihrem Tun bestätigt sehen und das als Erfolg verbuchen. Sie machten die Erfahrung: Der Staat würde zurückweichen, wenn sie nur dreist und rabiat genug aufträten. Man kann durchaus sagen, dass rechte Gewalttäter sich noch nie so sicher sein konnten, einen unausgesprochenen Mehrheitswillen zu exekutieren wie in jenen Tagen von Rostock.
Auch nachher offenbarte die Regierung Kohl ihre ganze Schäbigkeit, indem sie sich in erster Linie besorgt um das Ansehen Deutschlands in der Welt zeigte. Nun gehört öffentliches Trauern und Tränenvergießen sicher nicht zur Berufsbeschreibung von Politikern, auch ist Empathie eine Eigenschaft, die einen in der Politik nur bedingt weiterbringt. Aber eine derartige Abwesenheit jeglicher humanen Geste im Angesicht von verstörten, verletzten, traumatisierten Menschen, die beinahe in ihren Wohnungen verbrannt wären, war dann noch einmal eine neue Qualität.
(Die taz damals über Rostock-Lichtenhagen: Teil 1 - Teil 2 - Teil 3)
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