In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.
In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.
Georg Heym, 1911
Edward Bergers Neuverfilmung von Remarques 'Im Westen nichts Neues' ist kein Meisterwerk, aber sehenswert.
In 'historischen' Romanen und Filmen gibt es, ebenso wie bei Science fiction, bekanntlich weniger etwas über eine bestimmte Vergangenheit bzw. Zukunft zu lernen, sondern vor allem einmal etwas über die Zeit ihrer Entstehung.
Seit Februar geschieht direkt in unserer Nachbarschaft, mit gerade mal einem schmalen Streifen Polen und Baltikum dazwischen, seit Februar etwas, das uns postheroischen Wohlstandskindern völlig fremd geworden ist und das wir nur aus dem Kino kannten: Menschen ziehen freiwillig in den Krieg, riskieren, opfern ihr Leben, um das eigene Land gegen einen Aggressor zu verteidigen. Schlimmer noch: Moralisierende Belehrungen und Kapitulationsaufrufe deutscher Friedensbewegter sind ihnen komplett egal. Und das überfordert uns.
In 'historischen' Romanen und Filmen gibt es, ebenso wie bei Science fiction, bekanntlich weniger etwas über eine bestimmte Vergangenheit bzw. Zukunft zu lernen, sondern vor allem einmal etwas über die Zeit ihrer Entstehung.
Seit Februar geschieht direkt in unserer Nachbarschaft, mit gerade mal einem schmalen Streifen Polen und Baltikum dazwischen, seit Februar etwas, das uns postheroischen Wohlstandskindern völlig fremd geworden ist und das wir nur aus dem Kino kannten: Menschen ziehen freiwillig in den Krieg, riskieren, opfern ihr Leben, um das eigene Land gegen einen Aggressor zu verteidigen. Schlimmer noch: Moralisierende Belehrungen und Kapitulationsaufrufe deutscher Friedensbewegter sind ihnen komplett egal. Und das überfordert uns.
Anfang des Monats stellte ich mir selbst
die Frage, warum ausgerechnet jetzt, im Jahr 2022, eine dritte
Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Roman 'Im Westen nichts Neues'
erscheint, dieses Mal aus Deutschland. Antwort: Weil uns jetzt, im Jahr
2022, der Krieg so nahe ist wie seit 1945 nicht mehr. Wir sollten also
hinsehen.
Die Handlung ist bekannt und eigentlich keine: Der Schüler Paul Bäumer (hier: Felix Kammerer) und seine Klassenkameraden ziehen 1914 voller Begeisterung in den Krieg. Sie lernen Männer kennen wie den Torfstecher Tjaden, den Bauern Westhues und vor allem den väterlichen Veteranen Stanislaus 'Kat' Katczynski (großartig: Albert Schuch), der sie unter seine Fittiche nimmt. In einer Reihe von Episoden erleben wir, wie der moderne, industrialisierte Krieg die jungen Männer wenn nicht tötet, so doch deformiert und sie von ihrem normalen Leben immer mehr entfremdet. Als letzter stirbt Paul 1918 an einem besonders ruhigen Abschnitt der Westfront.
Die Handlung ist bekannt und eigentlich keine: Der Schüler Paul Bäumer (hier: Felix Kammerer) und seine Klassenkameraden ziehen 1914 voller Begeisterung in den Krieg. Sie lernen Männer kennen wie den Torfstecher Tjaden, den Bauern Westhues und vor allem den väterlichen Veteranen Stanislaus 'Kat' Katczynski (großartig: Albert Schuch), der sie unter seine Fittiche nimmt. In einer Reihe von Episoden erleben wir, wie der moderne, industrialisierte Krieg die jungen Männer wenn nicht tötet, so doch deformiert und sie von ihrem normalen Leben immer mehr entfremdet. Als letzter stirbt Paul 1918 an einem besonders ruhigen Abschnitt der Westfront.
(Ab hier spoilert's übrigens.)
***
Für
die Neuverfilmung haben sich Regisseur Edward Berger und seine
Co-Autoren in vielem von der Vorlage gelöst. Das ist völlig legitim und
funktioniert auch meistens. Der Beginn wird ins Jahr 1917 verlegt und
vor allem wird vieles, vieles weggelassen. Die Rekrutenausbildung mit
dem Unteroffizier Himmelstoß fällt ebenso unter den Tisch wie
Abschiedsszenen und Pauls Heimaturlaub. Weiterhin werden Episoden
ausgelassen wie die, in der die
Jungs ihren todgeweihten Kameraden im Lazarett besuchen. Ebenso wie das
berühmte Gespräch, in dem die Soldaten den Widersinnigkeit von Kriegen
offenlegen ("Ein Land hat ein anderes beleidigt? Wie soll das gehen?")
=====
Im Westen nichts Neues. D/USA/UK 2022, 148 min. R: Edward Berger, B: Lesley Paterson, Edward Berger, Ian Stokell. D: Felix Kammerer, Albert Schuch, Aaron Hilmer, Daniel Brühl, Devid Striesow u.a. Auf Netflix.
Es
fehlt einem nichts. Weil das doch nur ein Wiedersehen mit, ein
Wiederkäuen von Altbekanntem gewesen wäre. Überhaupt ist die
Kameraderie, die im Roman und den beiden Verfilmungen von 1930 und 1979
eine Art Gegenpol bietet zum Grauen der Front, auf ein Minimum
zusammengedampft. Geblieben ist eine einzige Szene, in der Paul und Kat,
die der Krieg zu Marodeuren gemacht hat, eine Gans stehlen und sie im
Kreis der Kameraden genüsslich verspeisen. Hinzuerfunden ist, wie Kat
und Paul auf dem Donnerbalken sitzen und Kat, der nicht lesen kann, Paul
bittet, ihm einen Brief seiner Frau vorzulesen, den er gerade bekommen
hat. Als klar wird, dass Kats Frau fremdgeht, erfindet Paul aus dem
Stegreif ein alternatives Ende. Fake News. Natürlich bemerkt Kat den
Schwindel, kämpft mit den Tränen, sagt aber nichts. Eine der stärksten
Szenen.
In der Romanvorlage und den beiden älteren Verfilmungen
bildet sich eine heimelige Grabengemeinschaft, quer durch alle Stände
und Klassen. In der Version von 2022 wird deutlich, dass das
proletarische Raubein Kat und der bürgerliche Pennäler Paul aus
grundverschiedenen Welten kommen und dass das auch so bleibt. Nur der
Krieg hat sie zusammengeführt, sie bilden eine Zweckgemeinschaft. Für
tiefe Freundschaft ist kein Platz, da der Tod allgegenwärtig ist.
***
Überhaupt
ist mir kein Kriegs- oder Antikriegsfilm bekannt, mit Ausnahme von
'Saving Private Ryan' vielleicht, und da auch nur die ersten 20 Minuten,
in der so gnadenlos und konsequent zu sehen ist, wie wahllos und wie
beiläufig Menschen im Krieg sterben. Da gibt es kein "Warum?", es
passiert einfach. Und wer überleben will, gewöhnt sich Trauern besser
schleunigst ab. Zum ersten mal glaube ich, wird der oft erhobene
Anspruch 'die (ganze) Sinnlosigkeit des Krieges' zu zeigen, mal
ansatzweise eingelöst. Der alte Lothar-Günther Buchheim meinte in einem
Interview in den Neunzigern, Krieg sei kein bewaffneter Pfadfinderausflug und erst recht
kein höheres Erlebnis, im Krieg werde einem der Arsch aufgerissen und
wer was anderes behaupte, sei ein Lügner. Wer 'Im Westen nichts Neues'
sieht, glaubt das aufs Wort.
Auch wurde meiner Kenntnis nach noch
nie so drastisch gezeigt, dass Soldaten in einem Krieg diesen Ausmaßes
zunächst ein logistisches Problem sind. Es gibt eine Art Prolog: Bevor
man ihnen noch die Ehre erweist, sie in Särgen zu bestatten und mit
Löschkalk zu bedecken, werden die toten Soldaten behandelt wie
Packstücke und alles, was weiter verwendbar ist, wird ihnen abgenommen
und wieder aufbereitet. Recycling. Natürlich, was auch sonst, kann man
da fragen. Dennoch beklemmend, da ungewohnt, das so explizit gezeigt zu
bekommen. Als Paul seine Uniform erhält, meint er, die gehöre jemand
anders, denn da sei ein anderer Name eingenäht. Der von der
Kleiderkammer reißt das Etikett heraus und sagt, die sei wohl jemandem
zu klein gewesen. Was Paul nicht sieht: Auf dem Boden liegen bereits zig
herausgerissene Namensschilder. Ein letzter Versuch, den Schrecken, der
auf die Jungen zukommt, noch einmal fernzuhalten von den armen Teufeln?
Der Film ist da keine zehn Minuten alt.
***
Ästhetisch
bietet 'Im Westen nichts Neues' übrigens einiges. Vor allem die völlige
Abwesenheit von Kitsch. Es wird auf jeglichen Antik-Look verzichtet.
Vorspann und Inserts sind in moderner Schrift gehalten, statt
Orchesterklängen gibt es Dissonantes aus dem Synthesizer. Das verhindert
bequemes Historisieren. Das Gezeigte mag 100 Jahre her sein, ist uns
aber viel näher als uns lieb ist, soll uns wohl signalisiert werden und
es funktioniert. Vielleicht wurde die Westfront im ersten
Weltkrieg noch nie zuvor so gekonnt in Szene gesetzt wie hier. Auf
sichtbare Farbverfremdungen wird ebenso verzichtet wie auf rasante
Schnitte und Jitter-Effekte. 'Realistisch'? Man hat jedenfalls genau bei
Otto Dix hingeschaut. Überdies nimmt der Film sich Zeit, das Tempo ist
eher ruhig und doch übt alles einen starken Sog aus.
***
Wir haben es mit Fiktion zu tun. Verdichtung, Erfindung und
Verfremdung gehören da dazu. Daher ist eine Frage wie die, inwieweit das
Gezeigte 'realistisch' sei, irrelevant. So kann man kritteln, dass es
heißt, die jungen Rekruten würden in Flandern eingesetzt, wo sie dann
auf Franzosen treffen. Flandern wurde aber von Briten und Kanadiern
gehalten. Damit den Film entwerten zu wollen, wäre pure Kritikasterei.
Ich habe ein paar andere Probleme.
Sowohl im Roman als auch in
den bisherigen zwei Verfilmungen sehen wir, wie im Rausch von 1914 eine
patriotisch verführte Jugend in den Untergang stürzt. Der neue Film
beginnt, wie gesagt, 1917 im dritten Kriegsjahr, die Jahrgänge 1898/99
werden eingezogen. Drei Jahre ging das Morden an den Fronten da schon,
Verdun und die Somme waren passiert. Krüppel und Invaliden gehörten zum
Straßenbild, in vielen Familien gab es bereits tote, verkrüppelte,
traumatisierte Männer und Söhne und es griff nicht nur in Deutschland
Kriegsmüdigkeit um sich. Von all dem sieht man hier - nichts. Mussten
nicht wenigstens einige dieser Erwachsenen und Lehrer 1917 gewusst
haben, in was für eine Hölle sie diese jungen Männer da schicken würden?
Wir
sehen zum Schluss, wie der fiktive General Friedrich (Devid Striesow)
noch kurz vor Inkrafttreten des Waffenstillstands einen allerletzten
Angriff befiehlt, bei dem auch Paul und seine letzten überlebenden
Kameraden den Tod finden. Friedrich ist aufgrund seines Alters nie selbst
im Feld gestanden (fünfzig Jahre Frieden seien einfach zu viel,
meint er), sieht sich aber als Soldat, obwohl er aus seinem komfortablen
Hauptquartier nie herauskommt, und will mit der komplett unnützen
Aktion die Ehre der deutschen Fahnen retten. Ihn trifft es ja nicht.
Nun
kann ich zum Glück nicht aus eigener Erfahrung beurteilen, was Krieg
aus Menschen macht und ich bin dankbar dafür. Aber: Wie glaubhaft ist
es, dass eine schlecht ernährte, ausgepowerte Armee, die schon vom
Waffenstillstand weiß, sich in letzter Minute noch ohne jedes Murren so
verheizen lässt? Wie gesagt, ich weiß es nicht. Was ich weiß, ist, dass
in Kiel ungefähr zur selben Zeit die Matrosen meuterten, als die
Hochseeflotte 1918 einen ähnlichen Befehl bekam, um der 'Ehre' Willen
einen letzten Angriff gegen England zu starten.
Neu eingeführt
wird auch Matthias Erzberger (Daniel Brühl), der deutsche Chef de
mission bei den Waffenstillstandsverhandlungen. Über seine Motive
erfahren wir jenseits des ehrenwerten humanitären Ansinnens, das
Abschlachten um der Menschlichkeit willen zu beenden - nichts. Geradezu
anrührend, wie er in Compiègne bei Marschall Pétain, der seine Position
genau kennt, mit seinen moralischen Appellen vor die Wand läuft. (Hat da
einer "Verhandlungen!" gesagt? Man glaubt, Richard David Precht durchs
Bild laufen zu sehen). Warum der Zivilist Erzberger die Verhandlungen
führte und kein militärischer Befehlshaber, erfahren wir - nicht. (Die
deutschen Militärs, die längst an der Dolchstoßtheorie strickten,
schoben Erzberger als nützlichen Idioten vor, rechte Kreise sollten ihm
seinen 'Vaterlandsverrat' ein paar Jahre später heimzahlen.)
Und
schließlich: Obwohl Remarques Roman kein kommunistisches Manifest ist,
klingt bei ihm und den beiden alten Verfilmungen immerhin am Rande an,
dass es welche gibt, die von der ganzen Schlächterei profitieren. Bei
Berger ist der Krieg eine Urgewalt und Große Männer machen Geschichte.
Das ist dann mit Verlaub doch etwas arg dünne, wenn nicht sogar
ärgerlich. Da waren wir schon viel weiter. Trotz allem lohnt das
Ansehen.
***
Die
Gretchenfrage: Ist 'Im Westen nichts Neues' Baujahr 2022 nun ein Kriegs-
oder ein Antikriegsfilm? Von der Intention her haben wir es zweifellos
mit einem Antikriegsfilm zu tun. Glorifiziert wird hier nichts, an
keiner Stelle. Vom Effekt her habe ich meine Zweifel, aber den habe ich
bei allen Antikriegsfilmen. Die werden nämlich vor allem von denen
gesehen, die Krieg eh ablehnen.
Also, was kann dieser Film leisten? Ein
paar Leute zu der Einsicht bringen, dass gerade ein paar hundert
Kilometer östlich keine Heldengeschichten sich abspielen, sondern bloß
ein erbärmliches Morden? Dass, wenn man freiwillig zum Militär geht,
nicht Ruhm, Ehre und Abenteuer einen erwarten? Das ist nicht viel, wäre
aber immerhin etwas.
=====
Im Westen nichts Neues. D/USA/UK 2022, 148 min. R: Edward Berger, B: Lesley Paterson, Edward Berger, Ian Stokell. D: Felix Kammerer, Albert Schuch, Aaron Hilmer, Daniel Brühl, Devid Striesow u.a. Auf Netflix.
Was ich mich immer wieder frage...
AntwortenLöschenEine freie demokratische Gesellschaft ist pluralistisch. Es kann niemals Einstimmigkeit geben.
Selbst bei den kriegsgeilen Kaiserdeutschen im Film und Buch ist das nicht so.
Aber nun 2022 ist es so und soll auch so sein?
Wo bleibt das "dreht euch um Soldaten und schiesst auf die Offiziere"?
Der General Friedrich könnte auch ein dt Aussenminister sein.
Unfug!
LöschenWie kommen Sie auf die absurde Idee, Deutschland reagiere einstimmig auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine? Precht, Wagenknecht, viele Autoren der Alternativmedien, zehntausende Demonstranten usw. vertreten offen eine andere Meinung als die Regierung. Das ist selbstverständlich ihr Recht. So war es doch schon immer bei jeder politischen Frage in Deutschland. Ich kann mich an gar keinen Fall von "Einstimmigkeit" zu meinen Lebzeiten erinnern.
AntwortenLöschenEin mit Abstand wesentlich besserer Antikriegsfilm lief vor ein paar Tagen in der ARD und ist noch in der Mediathek: Ramstein.
AntwortenLöschenhttps://tinyurl.com/28546eet
Ich denke, dass sowohl einige Schauspieler sowie die Regie reichlich Preise abräumen werden. Kaum ein Film hat mich dermassen stark beeindruckt. Hochemotional und realistisch.