"Sprache ist das Fundament des Massenmords." (Daniel Jonah Goldhagen)
Zwischen März und Juli 1994 ermordeten in Ruanda Hutu-Milizen zirka 800.000 Menschen, fast ausschließlich Tutsi, innerhalb von 100 Tagen. Das macht im Schnitt 8.000 am Tag. Eine Quote, die gerade einmal die SS in ihren Mordfabriken an einzelnen Tagen hinbekam. Das geschah ganz offen unter den Augen der Weltöffentlichkeit, die sich außerstande sah, das Massaker auch nur einzudämmen. Die in Ruanda stationierten UNO-Truppen hatten weder das Mandat noch die Ausrüstung, etwas auszurichten. Nichteinmischungsgebot, kann man nichts machen.
Man muss hier übrigens von "abschlachten" reden, denn die Täter, also die an den Schreibtischen, dachten höchst kosteneffizient. Schusswaffen und Munition wären viel zu teuer gewesen, also ließen sie das Töten in guter alter Handarbeit mit Macheten erledigen. Macheten sind keine Präzisionswerkzeuge, sondern primitive Hiebwaffen. Die Opfer verbluteten meist unter grausamen Schmerzen, erlitten lange Todesqualen. Ein Genickschuss war eine Gnade. Viele Frauen wurden zuvor noch vergewaltigt.
Beendet wurde das Morden letztlich mit Waffengewalt, durch das Eingreifen der RPF unter dem Kommando des späteren ruandischen Präsidenten Paul Kagame. (Warum hat er nicht einfach verhandelt?) Übrigens kann man aus der Wahrnehmung der 1990er heraus durchaus fragen, ob nicht genau dieses blamable Gefühl der Hilflosigkeit der UNO letztlich den Anstoß gab, 1994 die Belagerung von Sarajevo und 1999 den Kosovo-Krieg mit NATO-Luftangriffen zu beenden. Wobei man im Falle des Kosovo-Krieges sogar einen Bruch des Völkerrechts in Kauf nahm.
Wollte man diesem Grauen irgendwie noch einen positiven Aspekt abgewinnen, dann den, dass sich hier eine einmalige Chance bot, einen Völkermord genau von A bis Z zu studieren. Es mochte und mag zynisch anmuten, aber immerhin hatte die Menschheit am Ende dieses verfluchten 20. Jahrhunderts eine Chance, noch einmal dazu zu lernen. Dann wären, könnte man sagen, die Toten nicht ganz umsonst gestorben.
Zumal man dieses Mal nicht nur alle modernen Mittel zur Verfügung hatte, sondern wegen der Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte auch ein echter Wille zur Aufklärung vorhanden war. Und weil die Weltgemeinschaft sich in der Einschätzung der Vorkommnisse weitgehend einig war und zudem die ruandische Regierung kein Interesse an Verschleierung hatte, waren auch die politischen Rahmenbedingungen für eine möglichst lückenlose Dokumentation günstig.
Wenig überraschend war es, dass die Täter, also die mit den Macheten, keine Bestien, keine Monstren mit irrem Blick, wirren Haaren und grünem Schaum vor dem Mund waren, sondern in jeder Hinsicht durchschnittliche Menschen. Arbeiter, Bauern, Angestellte, Familienväter. Und weil Bildung im Zweifel vor gar nichts schützt, mordeten auch Studenten, Anwälte und Lehrer mit. Alles Leute, wie Goldhagen notierte, als er etliche von ihnen später in Gefängnissen interviewte, mit denen man, wüsste man nicht um ihre Taten, problemlos an der Bar ein Bier trinken und ein paar nette Worte wechseln würde.
Zum Mitschreiben: Das waren keine jahrelang in SS-Eliteschulen ideologisch durchgedrillten Mordmaschinen, keine verrohten, zu Haftstrafen verurteilten Gewalttäter, den man extra aus dem Knast geholt hatte, und auch keine mit Alkohol und Gewalt zu irgendwas geschurigelten armen Teufel, die zu Mördern wurden, um ihr eigenes Bisschen Leben irgendwie zu retten. Nein, es waren Menschen wie du und ich.
(Natürlich kann man erwähnen, dass es in Ruanda nach der Unabhängigkeit 1962 zu Gewaltexzessen gekommen ist und in einer Gesellschaft, die so etwas erlebt hat, ein Menschenleben vielleicht weniger wert ist und Hemmschwellen niedriger hängen. So wie analog das NS-Regime in Deutschland sicher nicht ohne die Erfahrung des ersten Weltkrieges denkbar ist. Aber das scheint mir eher ein Nebenaspekt zu sein.)
Und da stellt sich die Frage: Wie bekommt man in jeder Hinsicht durchschnittliche Durchschnittsmenschen dazu, so etwas zu tun? Antwort: Man muss eine Stimmung schaffen, die ihnen das Gefühl gibt, sie tun etwas, das zwar schlimm ist, aber letztlich notwendig, also getan werden muss. So wie es schon Heinrich Himmler klar und deutlich formuliert hatte.
Der Völkermord in Ruanda war über mehrere Jahre vorbereitet worden, auch das ist sehr gut dokumentiert. Zu Beginn damit, dass Hutu-Rebellen mithilfe von UNO-Fördergeldern private Radiosender gründeten. Die waren bald sehr beliebt im Lande, weil sie populäre Musik spielten. Und irre lustige Comedysendungen brachten, in denen Tutsi konsequent als "Ungeziefer", als "Kakerlaken" bezeichnet wurden. Nahm jemand Anstoß? Eher nicht. Die Reaktionen waren angeblich so: Na ja, diese Spinner sollte man nicht so ernst nehmen. Was soll schon passieren? Hutu und Tutsi leben seit Jahrzehnten friedlich nebeneinander, heiraten untereinander. Völlig absurd.
So viel zum Thema: Ach ja, die Medien! Die schreiben/senden doch eh, was sie wollen. Diese Schmierfinken sollte man nicht zu ernst nehmen.
Nur für den Fall, dass jemanden interessiert, wie Völkermorde beginnen. Und man muss dazu noch nicht einmal an den "Vogelschiss" (Gauland) erinnern.
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"Ungeziefer". Na, Ramsauer, kommt's Ihnen? Irgendwie bekannt vor?
Wörtlich sagte der Ramsauerpeter:
"Deng Xiaoping hat einmal gesagt: »Wenn man die Fenster zu weit aufmacht, kommt auch viel Ungeziefer mit rein«. Das heißt - übertragen auf die Einwanderungsproblematik -, dass wir aufpassen müssen, dass wir neben den Fachkräften nicht auch x-beliebige Wirtschaftsflüchtlinge mit ins Land holen."
Das sagte nicht irgendein Dorfnazi, sondern ein Politiker, dem man Erfahrung nicht absprechen kann, der das Etikett 'bürgerlich' für sich in Anspruch nimmt und der einer Partei angehört, die immerhin das Attribut 'christlich' im Namen Gassi führt. (Interessant übrigens, dass Bürgerlich-Konservative es inzwischen offenbar nötig haben, sich hinter kommunistischen Autoritäten zu verschanzen; aber wehe ein Grüner oder Sozi täte das.) Auch wenn es sich um einen Rekurs auf Deng Xiaoping gehandelt hat - macht das diese Äußerung irgendwie weniger problematisch oder gar besser?
Nein, zumal Ramsauer das Deng-Zitat, seiner Parteifreundin Hohlmeier, née Strauß, zufolge auch noch so krass sinnentstellend wiedergegeben hat, dass man beinahe schon Absicht vermuten könnte.
Ich bin nun wirklich bereit, für vieles zumindest Reste von Verständnis aufzubringen. Etwa dafür, dass Politik ein zynisches, mitunter brutales Geschäft sein kann, dass Macht Menschen deformiert und sie unter Umständen Dinge sagen und tun lässt, die sie sonst nie gesagt hätten. Andererseits werden Politiker heute umschwirrt von einem Heer aus Beratern und Kommunikationstrainern. Das Wissen, darüber, was geht und was nicht, sollte also vorhanden sein. Und einen wie Ramsauer unverzüglich entsprechende Schritte einleiten lassen.
Es mag meinetwegen eine Einwanderungsproblematik geben, wenngleich die Einschätzungen da auseinandergehen und viel Panikmache im Spiel ist. Aber auch das rechtfertigt immer noch nicht so eine Aussage. Menschen sind kein Ungeziefer. Niemals. Punkt und Ende der Diskussion. Wenn es auch nur eine einzige Konsequenz aus dem letzten Jahrhundert gibt, geben muss, dann doch wohl die. Wer bereit ist, eine solche Äußerung, für die man in der Bundesrepublik Deutschland noch vor nicht allzu langer Zeit reif für den Rücktritt gewesen wäre, zum bloßen Versehen zu verharmlosen, offenbart damit, wes Geistes Kind er ist.
Warum tun die das? Wissen die nicht, was sie tun? Schwimmen die wirklich bloß doof im Papen-Fahrwasser herum? Vielleicht ist es ja hilfreich, die Perspektive zu wechseln und sich anzusehen, was für Angebote von Rechts eigentlich in Richtung Union gemacht werden.
In Italien macht die Regierung Meloni sich gerade daran, Sozialleistungen abzuräumen und streicht Armen komplett das Geld. So was in der Art läge auch voll auf der Linie der Anti-Sozialstaatspartei AfD, denn es gibt einen Typus bestrafungsgeiler Kleinbürger, für den nichts unerträglicher ist als die Vorstellung, da bekommen welche was, das ihnen irgendwie nicht zusteht. Die Aussicht auf eine politische Mehrheit, mit der sich die Axt an das ganze deutsche Sozialgedöns legen ließe, wirkt da auf nicht wenige in den Unionsparteien wohl zu verlockend.
Leider liest scheinbar kaum ein Wahlberechtigter die Parteiprogramme seiner Favoriten- sondern bildet sich bevorzugt im Ozean voller Scheisse (statt im wirklichen Leben) seine Meinung und dann kommt sowas wie das kleinere Übel dabei heraus. Die ökonomisch Armen und Schwachen gegeneinander aufhetzen ist eine der ältesten Disziplinen der herrschenden Klasse und verfehlt nie ihre Wirkung- weil Neid und Missgunst Teil des Erbguts sind und Einigung durch Ausgrenzung in schlechten Zeiten bestens funktioniert. Das mit der zyklischen Geschichte habe ich lange verneint, doch mental sind wir wohl noch nicht lange genug vom Baum runter um Ethik nicht nur zu begreifen sondern auch zu leben. Prinzip Hoffnung.
AntwortenLöschen"bestrafungsgeile Kleinbürger".
AntwortenLöschenEwig zu kurz gekommene, welche die Ansicht vertreten, dass ihnen ja "was ganz anderes, viel mehr" zustünde.
Damit — glaube ich — würde sehr genau die Gemütsverfassung der AfD-Wählerschaft getroffen.
Gruß
Jens
Saltatio Mortis - Linien im Sand
AntwortenLöschenEtwas auf höherem Niveau haben das mit der Sprache Adorno im "Jargon der Eigentlichkeit" und Klemperer in seiner "LTI" beschrieben.
"Wenig überraschend war es, dass die Täter, also die mit den Macheten, keine Bestien, keine Monstren mit irrem Blick, wirren Haaren und grünem Schaum vor dem Mund waren, sondern in jeder Hinsicht durchschnittliche Menschen. Arbeiter, Bauern, Angestellte, Familienväter. Und weil Bildung im Zweifel vor gar nichts schützt, mordeten auch Studenten, Anwälte und Lehrer mit. Alles Leute, wie Goldhagen notierte, als er etliche von ihnen später in Gefängnissen interviewte, mit denen man, wüsste man nicht um ihre Taten, problemlos an der Bar ein Bier trinken und ein paar nette Worte wechseln würde."
AntwortenLöschenDas unterstützt ja eigentlich meine und ach anderer Leute These, dass es den AfD-Protestwähler nicht gibt. Darüber geben die "Leipziger Studie", das Buch von Christopher Browning "Ganz normale Männer" und Adornos "Studien über den autoritären Charakter" viele Anhaltspunkte.
Obwohl kein Fan von ihm, möchte ich der Vollständigkeithalber auch Erich Fromm erwähnen: "Die Seele des Menschen: Ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen".
Sogenannte Protestwähler sind keine Menschen, die man ideologisch mit der Überzeugungskraft des angeblich besseren Aguments einfach irgendwo abholen kann.