Mittwoch, 30. August 2023

Jagdszenen aus Bayern


Natürlich wird Markus Söder so lange wie irgend möglich an Hubert Aiwanger festhalten. Er wäre mit der Muffe gepufft, wenn er was Anderes täte, denn er wird ihn demnächst wieder zum Regieren brauchen. Und Aiwanger will Macht, die bekommt er nur mit Söder, und er ist bereit, dafür Kröten zu schlucken. Söder wiederum kann gar nichts Besseres passieren als ein potenziell lästiger Koalitionspartner, der gern mal freidreht, den er aber jetzt so richtig an den Eiern hat und den er das wieder und wieder wird spüren lassen können. Daher auch seine Empörung über das Flugblatt und seine heftigen Distanzierungen vom Hubsi. So geht Politik. Man nehme niemals Moral als Erklärung an, wenn Machtkalkül es auch täte.

Daher sind geistige Kurzschlüsse Marke "Diese linken Hetzer und Verleumder! Ausgerechnet jetzt kommen sie mit diesem uralten Flugblatt um die Ecke!" auch so gaga. Das ist herziges Kleinmäxchendenken. In der Politik geht es nicht um Freund oder Feind, sondern um Macht und um Verhandlungspositionen, um nichts anderes. Und deshalb ist es z.B. auch einem Söder komplett egal, wer genau den Wisch letztlich lanciert hat und wieso.

Daher wiederum geht auch der spottbillige Vorwurf des Kampagnenjournalismus, der jetzt gegen die SZ erhoben wird, so am Thema vorbei. Medien sind nicht 'neutral', sondern politische Akteure und handeln entsprechend. Taten sie schon immer. Die Aufdeckung der Barschel-Affäre ('Waterkantgate') 1987 gilt bis heute als einer der größten Scoops des 'Spiegel'. Der legendäre Titel 'Barschels schmutzige Tricks' erschien am 7. September 1987, sechs Tage vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Die Brüder von der Brandstwiete hätten mit Maggi geduscht, wenn sie was anderes getan hätten. Maximum impact.

Natürlich schäumte die Union von wegen 'linke Kampfpresse'. Danach wurden dann einige etwas ruhiger. Mit Verzögerung übrigens auch SPD-Kandidat und Bildungsbürgerdarling Björn Engholm. Denn auch der hatte, er wäre - Politik halt - mit dem Klammerbeutel gepudert gewesen, wenn nicht, die Affäre für seinen Wahlkampf genutzt.

Aber zurück nach Bayern. Als die 18jährige Schülerin Christine Schanderl 1980 mit einem 'Stoppt Strauß'-Button zur Schule erschien, passierte erst einmal nichts. Bis - oh, die Ironie! - ein Ethikkundelehrer sie beim Schulleiter verpfiff und ihr ihr das, anders als Aiwanger, der (woanders) mit einem Referat davonkam, einen Schulverweis einbrachte. Der damalige Direx tat dies angeblich mit den Worten: "Schanderl, Sie verlassen jetzt sofort das Schulgelände, sonst rufe ich die Polizei und erstatte Anzeige wegen Hausfriedensbruchs." -- Obwohl sich etliche Lehrer offen mit ihr solidarisiert hatten.

Hausfriedensbruch. Wegen eines Buttons, der damals vor der Bundestagswahl tausendfach im Umlauf und auch nicht verboten war. Sie klagte sich zurück in die Schule, bekam nach mehreren Instanzen recht und absolvierte ein Jurastudium. Der bayerische Verfassungsschutz hatte sie immer noch auf dem Kieker. Ihr Referendariat durfte sie trotz hervorragender Noten nicht im Beamtenverhältnis leisten, sondern nur als angestellte Assessorin. Wegen 'Kontaktschuld', wie es offiziell hieß. Auch als Anwältin wurde sie noch bis Ende der 1990er von Behörden schikaniert. Mal so zum Vergleich und zum Thema 'Jugendsünde'.

Seit 1919 ist es ein fortdauernder Missstand in Deutschland, dass in bürgerlich/rechten Kreisen rechtsradikale Umtriebe zu aus dem Ruder gelaufenen Dummejungenstreichen verharmlost, leiseste Anflüge linken Gedankenguts hingegen zu vollzogenen Terrorakten aufbauscht werden. Wenn es in der Sache Aiwanger jetzt also von rechts schallt, man möge die ollen Kamellen doch bitte mal lassen, dann sollte man das ganz getrost, ja dringend ignorieren.







13 Kommentare :

  1. Ich fand in einem Trödelladen vor einiger Zeit (Söder und Aiwanger mußten da bereits zusammenarbeiten) einen USB-Stick, auf dem sich interessante Dinge fanden: Scans von Waffenscheinen, Rechnungen zu Waffen, Fotos, etliche offizielle Schreiben, alles ausgestellt/adressiert an Helmut Aiwanger, aber zum größten Teil schon älter.
    Der Stick tauchte übrigens in Baden-Württemberg auf, wie er mit diesem Material dahinkam - keine Ahnung. Ob das Zeug für einen Skandal gereicht hätte? Wir werden es nie erfahren, denn ich habe ihn mehrmals formatiert und irgendwann verschenkt.

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    1. Na was das Ding heute bei 'Bares für Rares' bringen könnte!

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    2. *lach* Eher nichts. Aber der Söder Markus hätts bestimmt interessant gefunden.
      Aber letztendlich war das ganze Zeug - unabhängig davon, was ich davon dachte - privat und nicht ungesetzlich.

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  2. Wäre Aiwanger ein Linker, würde Linke das Schreiben als Satire werten.
    Marcus Mittermeier beklagte, dass gewisse Konservative keine Moral hätten. Gewisse Linke haben doppelt so viel davon.

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    1. Zum Thema links vs. rechts lesen Sie vllt. noch einmal die letzten drei Absätze.

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    2. Ganz ruhig Brauner! Bei Linken ist die Staatsgewalt sehr schnell und konsequent: "Umringt von Polizisten sagt der Umweltingenieur in die Kamera: "Ich habe heute Sekundenkleber in meiner Tasche gehabt. Ich habe ihn nicht benutzt, ich habe ihn nur transportiert. Ich habe allerdings ein Sekundenklebertransportverbot für München. Das heißt, ich muss 1.000 Euro Strafe zahlen für einen Sekundenkleber, den ich nicht benutzt habe und nur in der Tasche hatte."

      In dieser Logik muss ein Mann damit rechnen, wegen Vergewaltigungsabsicht in Präventivhaft genommen zu werden.

      Jetzt DU....

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  3. „In Deutschland gilt derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als derjenige, der den Schmutz macht.“
    ―Kurt Tucholsky

    Das ist auch heute noch so.

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    1. "Auch wenn der SZ-Bericht von Konjunktiven, Unschärfen und Andeutungen sowie vermeintlichem Mitgefühl mit dem Übeltäter trieft, bleibt am Ende eines: die glasklare Vorverurteilung. Ich wäre nicht verwundert, wenn Aiwanger die Süddeutsche Zeitung in Grund und Boden klagt. "

      aus: https://www.lawblog.de/archives/2023/08/26/der-minister-ein-flugblatt-und-viele-offene-fragen/

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    2. Auch Udo Vetter:
      „Ich habe noch so einen Gedanken zu dem ja mittlerweile namentlich bekannten Lehrer und SPD-Mann, der Hubert #Aiwanger abschießen wollte. Der Pädagoge konnte doch vor 35 Jahren nicht ahnen, welcher seiner Schüler ihm mal auf den Keks gehen würde. Es gibt ja auch Presseberichte, wonach er Dokumente hortet.
      Von wie vielen seiner Schüler oder anderer Personen hat er denn noch Kompromat gesammelt? In diesem Zusammenhang kommt mir spontan die Strafvorschrift des § 42 Bundesdatenschutzgesetz in den Sinn. Und natürlich die Bußgeldvorschriften der Datenschutz-Grundverordnung. Auch das Bayerische Datenschutzgesetz.

      Wäre vielleicht mal Zeit für eine Hausdurchsuchung.“

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  4. "Einige Feiernde seien „richtig genervt gewesen“, dass der Ex-Lehrer bei diesem lockeren Anlass, bei dem eine Party geplant war, komische Fragen zu Hubert Aiwangers Vergangenheit von vor 35 Jahren gestellt habe. „Er hat dort Zeugen gesucht, die ihm bestätigen könnten, dass Hubert der Verfasser des Flugblattes gewesen ist.“ Doch dies sei ihm „ganz offenbar bis heute nicht gelungen“, stellt Serlitzky, der sich von seinem alten Deutschlehrer seit dem Bekanntwerden der Flugblatt-Affäre „instrumentalisiert“ fühlt, fest." (Focus)
    Wie Aiwanger schon schrieb: "Schmutzkampagnen gehen am Ende nach hinten los."
    Eine Person behauptet sogar, Aiwanger hätte Hitlers 'Mein Kampf' in der Schultasche gehabt. Aiwanger bestreitet dies vehement.

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    1. https://www.volksverpetzer.de/faktencheck/aiwanger-antisemitismus-skandal-alle-fakten/

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    2. Entnazifizierung heute: https://twitter.com/lacasadepopel/status/1696877495134339170

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  5. Im Dezember 2022 wurde die 97 Jahre alte Irmgard F. wegen Beihilfe zum Mord in 10.505 Fällen die sie vor 70 Jahren als Sekretärin der Kommdantur des KZ Stutthof begangen hat, zu 2 Jahren Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Da sie zum Zeitpunkt der Tat zwischen 18 und 19 Jahren alt war, wurde gegen die Schreibtischtäterin eine Jugendstrafe verhängt. Auch sie konnte sich im Laufe des Prozesses nicht erinnern.

    Das Erinnerungsvermögen in Bezug auf eine (nur) 35 Jahre zurückliegende "Jugendsünde" tendiert im Fall H. A. auch gegen Null und wird im Fall eines Rücktritts mit einer üppigen Apanage "bestraft".

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