Die Tage wurden die Uni-Präsidentinnen Claudine Gay (Harvard), Elizabeth Magill (Pennsylvania) und Sally Kornbluth (M.I.T.) bei einer Anhörung des Kongresses von der republikanischen Abgeordneten Elisa Stefanik hart zur ihrer Haltung zu antisemitischen Umtrieben an ihren Institutionen befragt. (Das geschah übrigens, weil auch US-amerikanische Privatuniversitäten öffentliche Mittel bekommen.) Der Auftritt der drei Damen geriet zu einem Desaster, da sie sich auf Stefaniks autoritäres Nachbohren nicht einlassen wollten und ins Relativieren gerieten.
Damit schienen drei der führenden Bildungseinrichtungen der Nation (und der Welt) entlarvt als moralisch verkommene Brutstätten eines linkswoken Zeitgeistes. Magill ist inzwischen zurückgetreten, vermutlich um ihrer Kündigung zuvorzukommen.
And now, testimony from three University presidents on the subject of antisemitism on college campuses pic.twitter.com/EtLFiEvM1z
— Saturday Night Live - SNL (@nbcsnl) December 10, 2023
(Szene nachgestellt.)
Man sollte darauf hinweisen, dass die drei keine verpeilten, woke verstrahlten Idiotinnen sind, sondern durchaus versierte Akademikerinnen. Abgesehen von Claudine Gay, die Politologin und Professorin für afrikanische und afroamerikanische Studien ist, kommen sie aus Fachrichtungen, die woker Ideologie eher unverdächtig sind. Kornbluth ist Zellbiologin und Magill Juristin. Dass sie nicht wussten, was sie da taten, ist unwahrscheinlich. Dass sie sich sichtlich verbaten, sich einem Tribunal gegenüber zu sehen, das ihnen "Ja oder Nein?"-Fragen vor den Latz knallt, war ihnen anzusehen.
Hätte man mehr von ihnen erwarten können, ja müssen? Kein Zweifel. Nur hatten sie nicht die Chance dazu. Das Ironische ist ja: Einer der Schlachtrufe der Pro-Hamas-Aktivisten lautet: "It’s not complicated!" Zu den Pflichten von Akademikern gehört es aber, im Zweifel zu sagen: "Yes, it is complicated". Daher müssen sie gegen Aktivisten aller Couleur, die alles auf einfache Schwarz-Weiß-Fragen herunterbrechen, zwangsläufig den Kürzeren ziehen.
Denn es ging bei dem Hearing nicht um Kampf gegen Antsemitismus, sondern um Kulturkampf. Der seinerseits nicht selten kryptoantisemitische Kampf gegen 'liberale' Universitäten, die vor lauter Wokeness und Political Correctness ihren moralischen Kompass verloren haben, ist spätestens seit den 1990ern ein Leitmotiv der politischen Rechten in den USA. Das machte die politische Aktivistin Stefanik sich zunutze. Es ist derselbe Kulturkampf, in dessen Zuge seit einiger Zeit auch Abtreibungen zunehmend unmöglich gemacht und Bücher mit 'anstößigen' Inhalten aus Bibliotheken geräumt werden sollen.
So sehr ich der Meinung bin, im Fall von Antisemitismus sei es nötig, klare Kante zu zeigen, so problematisch erscheint mir daher, Stefanik zur mutigen Kämpferin gegen Antisemitismus hochzustilisieren. Zumal es noch folgendes zu bedenken gibt:
Die Eliteuniversitäten der Ivy League sind international operierende Konzerne mit jeweils mehreren zehntausend Studierenden und Tausenden Angestellten. Der Deal geht so: Gegen stattliche Gebühren gibt es die bestmögliche Ausbildung plus qua Diplom quasi eine Jobgarantie im oberen Einkommensbereich. Außerdem ist es für Ehemalige ('Alumni') Ehrensache, auch nach der Uni ein Leben lang für ihre Alma Mater zu spenden.
"Der Job von Universitätspräsidenten in den Vereinigten Staaten besteht darin, von ihren Spendern Geld zu sammeln. Es gibt fast täglich Zeitungsberichte über Spender, die Geld von diesen Universitäten abziehen als Reaktion auf die ihrer Meinung nach mangelnde Solidarität mit Israel. Und das stärkt die antisemitischen Vorstellungen der Rechten: Sie glauben ja, alle Spender seien Juden, weil das gesamte Geld in den Händen der Juden liegt. So lese ich diesen Fall: Die »Verschwörung jüdischer Bankiers« wie auch die "Verschwörung liberaler Universitäten" gehören zu den Mythen der Trumpisten -- und hier hat man eine großartige Gelegenheit gefunden, um einen Keil zwischen beide Seiten zu treiben." (Masha Gessen)
Zwar machen bei den Top-Unis Spenden und Studiengebühren nur einen kleineren Teil der Einnahmen aus, aber das wichtigste Kapital dieser Einrichtungen ist ihr Ruf, die weltweit bestmögliche Bildung zu bieten, die für Geld zu kriegen ist. Dieser Ruf wiederum ist mit Geld kaum zu beziffern. Daher sind amerikanische Top-Universitäten existenziell darauf angewiesen, bloß keinen potenziellen Geldgeber auf der Welt unnötig vor den Kopf zu stoßen. Die Marke darf auf keinen Fall Schaden nehmen. It's the economy, stupid!
Das tut sie aber schnell. Etwa wenn die Tochter eines solventen Spenders daheim berichtet, dass die Uni es versäumt habe, Safe Spaces einzurichten, der Prof sie unangemessen angeschaut oder es versäumt habe, Texte mit Triggerwarnungen zu versehen und Daddy zum Telefon greift. Oder wenn ein prominenter, einflussreicher Großspender öffentlichkeitswirksam verlauten lässt, seine Zuwendungen einzufrieren, weil seine alte Uni nicht klar Stellung bezieht zu diesem und jenem. Allzu klar Stellung zu beziehen aber könnte irgendwo irgendjemanden vergrätzen. Und das erzeugt am Ende genau jene windelweichen Haltungen, wie die drei Uni-Chefinnen da wohl gezwungenermaßen an den Tag legten.
Anders gesagt: Wer jetzt schadenfroh jubelt über den Triumph Stefaniks, sollte sich vielleicht überlegen, wem er da zujubelt und ob der Feind eines Feindes wirklich immer ein Freund ist. Oder ob es wirklich eine so gute Idee ist, Gegenaufklärung mit Gegenaufklärung zu bekämpfen.
Man sollte darauf hinweisen, dass die drei keine verpeilten, woke verstrahlten Idiotinnen sind, sondern durchaus versierte Akademikerinnen. Abgesehen von Claudine Gay, die Politologin und Professorin für afrikanische und afroamerikanische Studien ist, kommen sie aus Fachrichtungen, die woker Ideologie eher unverdächtig sind. Kornbluth ist Zellbiologin und Magill Juristin. Dass sie nicht wussten, was sie da taten, ist unwahrscheinlich. Dass sie sich sichtlich verbaten, sich einem Tribunal gegenüber zu sehen, das ihnen "Ja oder Nein?"-Fragen vor den Latz knallt, war ihnen anzusehen.
Hätte man mehr von ihnen erwarten können, ja müssen? Kein Zweifel. Nur hatten sie nicht die Chance dazu. Das Ironische ist ja: Einer der Schlachtrufe der Pro-Hamas-Aktivisten lautet: "It’s not complicated!" Zu den Pflichten von Akademikern gehört es aber, im Zweifel zu sagen: "Yes, it is complicated". Daher müssen sie gegen Aktivisten aller Couleur, die alles auf einfache Schwarz-Weiß-Fragen herunterbrechen, zwangsläufig den Kürzeren ziehen.
Denn es ging bei dem Hearing nicht um Kampf gegen Antsemitismus, sondern um Kulturkampf. Der seinerseits nicht selten kryptoantisemitische Kampf gegen 'liberale' Universitäten, die vor lauter Wokeness und Political Correctness ihren moralischen Kompass verloren haben, ist spätestens seit den 1990ern ein Leitmotiv der politischen Rechten in den USA. Das machte die politische Aktivistin Stefanik sich zunutze. Es ist derselbe Kulturkampf, in dessen Zuge seit einiger Zeit auch Abtreibungen zunehmend unmöglich gemacht und Bücher mit 'anstößigen' Inhalten aus Bibliotheken geräumt werden sollen.
So sehr ich der Meinung bin, im Fall von Antisemitismus sei es nötig, klare Kante zu zeigen, so problematisch erscheint mir daher, Stefanik zur mutigen Kämpferin gegen Antisemitismus hochzustilisieren. Zumal es noch folgendes zu bedenken gibt:
Die Eliteuniversitäten der Ivy League sind international operierende Konzerne mit jeweils mehreren zehntausend Studierenden und Tausenden Angestellten. Der Deal geht so: Gegen stattliche Gebühren gibt es die bestmögliche Ausbildung plus qua Diplom quasi eine Jobgarantie im oberen Einkommensbereich. Außerdem ist es für Ehemalige ('Alumni') Ehrensache, auch nach der Uni ein Leben lang für ihre Alma Mater zu spenden.
"Der Job von Universitätspräsidenten in den Vereinigten Staaten besteht darin, von ihren Spendern Geld zu sammeln. Es gibt fast täglich Zeitungsberichte über Spender, die Geld von diesen Universitäten abziehen als Reaktion auf die ihrer Meinung nach mangelnde Solidarität mit Israel. Und das stärkt die antisemitischen Vorstellungen der Rechten: Sie glauben ja, alle Spender seien Juden, weil das gesamte Geld in den Händen der Juden liegt. So lese ich diesen Fall: Die »Verschwörung jüdischer Bankiers« wie auch die "Verschwörung liberaler Universitäten" gehören zu den Mythen der Trumpisten -- und hier hat man eine großartige Gelegenheit gefunden, um einen Keil zwischen beide Seiten zu treiben." (Masha Gessen)
Zwar machen bei den Top-Unis Spenden und Studiengebühren nur einen kleineren Teil der Einnahmen aus, aber das wichtigste Kapital dieser Einrichtungen ist ihr Ruf, die weltweit bestmögliche Bildung zu bieten, die für Geld zu kriegen ist. Dieser Ruf wiederum ist mit Geld kaum zu beziffern. Daher sind amerikanische Top-Universitäten existenziell darauf angewiesen, bloß keinen potenziellen Geldgeber auf der Welt unnötig vor den Kopf zu stoßen. Die Marke darf auf keinen Fall Schaden nehmen. It's the economy, stupid!
Das tut sie aber schnell. Etwa wenn die Tochter eines solventen Spenders daheim berichtet, dass die Uni es versäumt habe, Safe Spaces einzurichten, der Prof sie unangemessen angeschaut oder es versäumt habe, Texte mit Triggerwarnungen zu versehen und Daddy zum Telefon greift. Oder wenn ein prominenter, einflussreicher Großspender öffentlichkeitswirksam verlauten lässt, seine Zuwendungen einzufrieren, weil seine alte Uni nicht klar Stellung bezieht zu diesem und jenem. Allzu klar Stellung zu beziehen aber könnte irgendwo irgendjemanden vergrätzen. Und das erzeugt am Ende genau jene windelweichen Haltungen, wie die drei Uni-Chefinnen da wohl gezwungenermaßen an den Tag legten.
Anders gesagt: Wer jetzt schadenfroh jubelt über den Triumph Stefaniks, sollte sich vielleicht überlegen, wem er da zujubelt und ob der Feind eines Feindes wirklich immer ein Freund ist. Oder ob es wirklich eine so gute Idee ist, Gegenaufklärung mit Gegenaufklärung zu bekämpfen.
Robert Misik hat - nicht nur dazu - einen guten Kommentar abgegeben.
AntwortenLöschenThanks, ist sehr lesenswert.
LöschenJa, einerseits kann ich gut nachvollziehen, was er meint, andererseits frage ich mich, wie ein jüdischer Student, der auf dem Weg zum Hörsaal an 10 Leuten mit Palästinenser-Flagge und "Intifada"-Rufen vorbei muss, dies _nicht_ als Mobbing wahrnehmen kann. Selbst, wenn es nicht als "Aufruf zum Völkermord" gilt.
LöschenDie Präsidentinnen haben ihren Standpunkt sehr schlecht verteidigt, mMn. Und wenn das an Spendern liegt, die man nicht vergrätzen will, ist das Prinzip einer Privathochschule evt auch einfach überdenkenswert.
Das es Misik hier nicht um ein Relativieren geht, dürfte völlig klar sein.
LöschenEs gilt eben dabei, die Situation vor Ort und den damit "plötzlich" aufflammenden Antisemitismus anderswo auseinanderzuhalten (der schon immer da war und jetzt nur wieder öffentlicher wird - siehe das durch die jeweiligen Ereignisse Verschieben von Diskursen generell).
Der Terror der Hamas als Ursache ist m.E. auch in Misiks Beitrag unstrittig, der von Anfang an auch die eigene arabischstämmige Bevölkerung als Deckung und Opfer mißbraucht. Es geht aber auch darum, dass eben diese Betroffenen nicht pauschal mit der Hamas gleichgesetzt werden, denn auch da soll es Menschen geben, die dieses Vorgehen verurteilen. Inwieweit das sinnvoll ist, sich dort vor Ort öffentlich dagegen zu äußern oder ob es besser ist, die Klappe zu halten und den Kopf im eigenen Interesse etwas einzuziehen, können wir gar nicht beurteilen. Ähnlich wie ein IS wird die Hamas auch vor Gräueln an der "eigenen" Bevölkerung nicht zurückschrecken.
Was die "palästinensischen" Proteste betrifft, so bekommen s.o. die jetzt Oberwasser und können auch tatsächlich ihr Kälbchen austreiben und das nicht nur in den USA, sondern eben auch hier. Wie es da mit dem Sponsoring aussieht und wer da oft genug im "unabhängigen" Bildungsbetrieb die Richtung bestimmt, muss m.E. auch nicht betont werden.
Andererseits sehe ich da beinahe schon eine im negativen Sinne Tradition, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs Bestand hat. Es wurde entweder totgeschwiegen, relativiert, abgeschwächt und eher schlecht als recht aufgearbeitet. Das Unrecht an den Juden kam dabei sowieso eher marginal vor und hat sich wie bei anderen Menschen wie Sinti und Roma erst etwas Raum verschafft, nachdem die meisten Verantwortlichen nicht mehr für ihre Untaten zu bestrafen waren. So verhält es sich für mich jetzt auch wieder mit dem "neuen" muslimisch geprägten Antisemitismus, der hier durch den Palästinenserkonflikt neue Nahrung bekommt, so wie vorher schon der von rechts übertünchter Usus war. Juden und damit auch israelische Bürger haben halt keine Lobby, sondern nur Lippenbekenntnisse.
Deswegen den Betroffenen vor Ort die Hilfe zu verweigern, ist jedoch genauso unmenschlich und macht das Leid und das Grausame an der israelischen Bevölkerung auch nicht ungeschehen. Leider wird das juristische Aufarbeiten ganz ähnlich wie bei anderen Vorfällen dieser Art nicht stattfinden, weil man der Täter nicht habhaft wird und danach deren Handeln nicht nachzuweisen sein dürfte, wenn es denn überhaupt zu einem Tribunal käme.
Die UNO wird sich schon deshalb zurückhalten, weil unter den Unterstützern auf arabischer Seite eben auch ein paar fette Ölmultis sitzen und damit der Westen wie von russischer Seite zu erpressen ist durch seine Abhängigkeit vom Schwarzen Gold.
Bei einer Demo an der FU Berlin rufen Studenten „Zionisten sind Faschisten“. Deutsche bezeichnen Juden als Nazis. Genau mein Humor.
AntwortenLöschenMan muss wohl lernen, das 'intersektional' und 'postkolonial' zu verstehen. Oder man sagt einfach: Die allerdümmsten Kälber wählen sich den Schlachter selber.
LöschenIn diesem Fall: Deutsche Linke bezeichnen Juden als Nazis.
LöschenNoch kurz zu Masha Gessen: "Masha Gessen ist für Links-Woke dasselbe wie Norman Finkelstein für Neonazis, nämlich das personalisierte jüdische Feigenblatt für offen ausgelebten Judenhass." (@bitterlemmer auf Twitter)
AntwortenLöschen"Publizistin Masha Gessen hat Gaza mit einem jüdischen Ghetto der Nazis verglichen." (Spiegel)
Ich will von solchen Leuten nichts erklärt bekommen.
Dann lassen Sie es halt.
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