Dienstag, 5. Dezember 2023

Wahre Worte (71)


Heute: Hans Mentz über Witzshirts

"Seit längerem schon frage ich mich, warum Witzshirts meinen Widerwillen wecken, denn eigentlich zeugt es von Edelmut, seine Mitmenschen unterhalten zu wollen. Es tritt nur schnell ein Ermüdungseffekt ein: nach einmaliger Lektüre. Auf offener Straße mögen solche T-Shirts ja noch auszuhalten sein, in Büros und anderen Zwangs- wie Zufallsgemeinschaften nicht. Niemand sollte die Kollegen für die Dauer des gemeinsam verbrachten Tages ununterbrochen mit demselben Oneliner konfrontieren und mangels neuen Stoffs in der nächsten Woche eventuell schon wieder. Und im Zugabteil möchte ich nicht ständig »Als Gott mich schuf, wollte er angeben« auf dem Bauch des Gegenübers lesen.

Man müßte in solchen Situationen vom Witzshirtträger verlangen, seine Oberbekleidung mindestens viertelstündlich zu wechseln. Im Vorübergehen aber können schöne Geistesblitze wie »Primzahlen. Kennste eine, kennste alle« den Tag heben. Wenn mir hingegen jemand per Textil mitteilt: »Meine vier Kolben und der Turbo knallen dich weg, du Hubraum-Hugo«, dann hoffentlich nicht im Wartezimmer meines Arztes. Für Bahnfahrten empfehle ich wenigstens in den T-Shirt-Monaten den Großraumwagen." (Titanic-Humorkritik März 2018)


Anmerkung: Dass das mit deutschem Humor so eine Sache ist, weiß jeder, der schon einmal versucht hat, sich einen Reim darauf zu machen, wieso Lessings 'Minna von Barnhelm' und Kleists 'Der zerbrochne Krug' als 'Komödie' bzw. 'Lustspiel' gehandelt werden, obwohl es dort eigentlich kaum was zu lachen gibt, wohingegen etwa Molières und Shakespeares komisches Schaffen, wiewohl 1-2 Jahrhunderte älter, noch heute ganz gut funktionieren. Alter ist also kein Kriterium für Humor.

Allein Aktualität zum zentralen Kriterium für Humor und Satire zu machen, hieße im Umkehrschluss, das zirka 100 Jahre alte Schaffen eines Kurt Tucholsky und das 50 Jahre alte eines Loriot altersbedingt für nicht mehr relevant zu erklären. Ist also Quatsch. Ob das Frankfurter Satiremagazin 'Titanic' an die genannten heranreicht, mag ich nicht beurteilen, das muss bitte die Geschichte erledigen.

Alles in allem ist es dennoch schön und verdienstvoll, dass die finanzielle Existenz des siechen Blattes gerettet werden konnte. Auch ich habe jetzt ein Abonnement. Ich bin in der privilegierten Lage, sagen zu können, dass mir die jährlichen Kosten dafür nicht weh tun und ich muss nach der ersten gelieferten Ausgabe sagen, ich lese das Blatt auch als Lange-schon-nicht-mehr Student wieder mit Gewinn. Weil es ironischerweise so ungeheuer wohltuend ist. Und das liegt nicht nur an der traditionellen, fast völligen Abwesenheit von Werbung (außer als Parodie).

Deutscher Humor wird ja gern mit der Sentenz parodiert, Humor sei eine ernste Sache. Nur ist das eben nicht ganz falsch. Humor bedarf als Voraussetzung tatsächlich einer gewissen Ernsthaftigkeit. Die meisten großen Komiker und Satiriker sind im persönlichen Umgang kaum witzig, sondern ziemlich ernste Leute. Wenn einer nichts und niemanden ernst nimmt, dann ist das Ergebnis nicht Komik, sondern bloß öde Witzelei, die schlimmstenfalls in einen destruktiven Zynismus führt. Weil "komische Kunst der Form bedarf und in schlechten Sätzen keine guten Pointen wohnen" (Mentz, a.a.O.)

Bei 'Titanic' hatten sie und haben sie immer noch kapiert, dass Humor und Satire eben nicht durchgängig 'beißend' oder 'brüllend komisch' sein und erst recht nicht 'Leute abholen' müssen, sondern zunächst einmal heißt, sich der Welt mit einem anderen, meist schrägeren Blickwinkel zu nähern. Das kann im Ergebnis puren Nonsens bedeuten, aber auch seriöse Essayistik. 'Titanic' war nie nur - höhöhö - 'Zonen-Gaby' oder Papst-Pipi-Witze, worauf sie meistens reduziert wird, sondern auch Max Goldt, Gerhardt Henschel und Stefan Gärtner. Das ist manchmal misslungen, manchmal gelungen, mitunter platt, ennervierend und gar nicht witzig, manchmal aber auch sehr erhellend. Eine gute Nachricht, dass es so was noch gibt in diesen Zeiten der totalen Verwitzelung und der Zielgruppengerechtigkeit.






 

6 Kommentare :

  1. Wie ,,Der zerbrochene Krug'' ist nicht lustig? Aber da geht es doch um einen alten Sack *hihi!*, der mit einer jungen Frau *hoho!* gegen ihren Willen Ficki machen will und dann wird auch *hähä!* gekackt!

    Ok ... Du hast Recht ...

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  2. Mich irritieren "witzige" T-Shirts bei Frauen mit langem Text auf der Vorderseite, weil sie mich zwingen, ihnen lange auf die Brüste zu sehen, was ich ja als reflektierter Mann gar nicht machen soll.

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    1. War schon wieder Bonetti, weil ich als Google-Konto nicht antworten konnte ...

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    2. Mit "Name/URL" geht eigentlich ganz gut. Oder Ausnahme für Cookies im Adblocker.

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    3. Der Schulrat besucht die Deutschstunde der Klasse 8 eines Gymnasiums und fragte den Schüler Klaus: "Was weißt Du über den zerbrochenen Krug?" Der Schüler bekommt einen hochroten Kopf und sieht seinen Lehrer unschuldig an und antwortet: "ich war es nicht."

      Auf den vorwurfsvollen Blick des Schulrates erklärt der Lehrer: "Ich kenne den Klaus jetzt schon ein paar Jahre, und wenn er sagt, dass er es nicht war, dann glaube ich ihm."

      Empört läuft der Schulrat zum Schulleiter und schildert ihm diesen Vorfall. Daraufhin zückt der Schulleiter seine Geldbörse, entnimt ihr eine 50-Euro-Schein und sagt: "Nehmen Sie den und die Sache ist vergessen."

      Wochen später trifft der Schulrat auf einem Bankett den Schul- und Kulturminister und beschwert sich bei diesem über seine Erfahrungen an der Schule. Dazu kommentiert der Minister: "Meiner Meinung nach war es Schulleite, sonst hätte er Ihnen die 50--Euro nicht gegeben!"

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