Freitag, 26. September 2025

Brandmauern, medial

 
Ein nicht eben neues Problem des gegenwärtigen Diskurses ist ja, dass Rechte es geschafft haben, so ziemlich alles als 'links' zu framen, was ihnen irgendwie gegen den Strich geht und das sie gern wegmachen würden. So geht es mancherorts inzwischen schon für links durch, daran zu erinnern, dass Menschenrechte bittesehr für alle Menschen gelten, dass Migration vielleicht auch nützlich sein kann oder dass man nicht glaubt, dass der Klimawandel eine Lüge ist. Dass man bereits in der linken Ecke steht, wenn man einfach nur das Grundgesetz verteidigt, in dem so lästige Dinge stehen wie die, dass kein Mensch wegen Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung etc. benachteiligt werden darf. 

"Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben." (Max Reimann, 1949)

Jüngster Aufreger: Julia Ruhs (31) eine sich selbst als konservativ und mutige Kämpferin gegen Feminismus und Wokeness vermarktende Journalistin von "zur Schau gestellter Durchschnittlichkeit" (Titanic 10/25), hat bei NDR und BR das Magazin 'Klar' moderiert. Dort wurden, so hieß es, Themen angepackt, die sonst in den Medien zu kurz kämen. Bislang waren das u.a.: "Migration, Bauern, Corona. Echt noch nie von gehört." (Küppersbusch). Und nun wurde sie gefeuert, pardon: gecancelt. Weil sie 'unbequem' war, gar keine Frage. Interpretation: "Alarm! Alarm! Die linke Cancel-Culture hat wieder einmal zugeschlagen! [...] Nun gibt es im Öffentlich-Rechtlichen keine einzige konservative Stimme mehr, die dem links-grünen Mainstream etwas entgegensetzen kann. Die Meinungsfreiheit ist endgültig beerdigt." (Ole Nymoen) Buhu!

Daran ist so ziemlich alles heillos aufgeblasener Unfug. Man muss weder Experte für Journalismus sein noch muss man in die unergründlichen Tiefen der Black Box NDR vordringen, um das zu erkennen. Simple Logik reicht völlig.

Zunächst kann von 'canceln' nicht die Rede sein. Ruhs war freie Mitarbeiterin des NDR und solange sie nicht im Sonderstatus einer 'festen Freien' war, kann ein Auftraggeber, so vertraglich nicht anders vereinbart, die Zusammenarbeit von heute auf morgen ohne jede weitere Begründung beenden. Das ist mir auch mal passiert, als ich noch freiberuflich unterwegs war, ist auch keine schöne Situation, aber ein Risiko, das eine freiberufliche bzw. selbstständige Tätigkeit dummerweise mit sich bringt. Zumal der Bayerische Rundfunk, anders als die Nordlichter, entschieden hat, sie weiterhin zu beschäftigen. Es scheint da also durchaus Unterschiede zu geben bei den Öffis. 

Dass es womöglich atmosphärische Störungen gegeben haben könnte zwischen Ruhs und dem NDR lässt sich zumindest spekulieren. Ich mag mich täuschen, aber die Tatsache, dass Ruhs selbst es als "Armutszeugnis für den NDR" bezeichnet hat, dass sie dort jetzt nicht mehr moderieren darf, mag gewiss Enttäuschung geschuldet sein. Oder von etwas künden, das in Arbeitszeugnissen gemeinhin "gesundes Selbstbewusstsein" heißt und kein Kompliment ist.

Aber auch sonst spricht einiges dafür, dass die Entscheidung, Ruhs nicht weiter zu beschäftigen, weniger eine politische war. Oder wie kann es sonst sein, dass als Nachfolgerin bei 'Klar' jetzt Tanit Koch installiert wurde? Koch war nicht nur zwei Jahre lang Chefredakteurin von Springers Organ des "Unterhosenjournalismus" (Henschel), sondern hat auch die CDU im Bundestagswahlkampf beraten -- beides ausgesprochen typische Jobs für eine linke Aktivistin und ein dazu überaus smarter Move des NDR, seine linksgrüne Agenda in die Köpfe der Menschen zu schrauben. Muss man schon sagen. 

Daran, dass Rechte Räuberpistolen von linker Cancel Culture verbreiten und von einem linksgrünen Staatsfunk bramabasieren, ist weiß Gott nichts neu. Neu ist hingegen, in welchem Maße das bürgerliche Lager ebenfalls in dieses Horn stößt. Die FAZ sieht die "linksgrüne Meinungsmehrheit im Abwehrkampf", Carsten Linnemann nannte das gar einen neuen "Tiefpunkt in Sachen Debattenkultur in Deutschland" und forderte, der Rundfunkanstalt das Geld einzufrieren. 

Es geht bei alledem ja gar nicht so sehr um die Frage, ob Julia Ruhs nun rechts ist oder konservativ oder um ihre Themenwahl. Meinetwegen soll sie halt noch mutig gegen "Gendersprache, faule Bürgergeld-Empfänger und teuren Öko-Quatsch" (Küppersbusch, a.a.O.) medial zu Felde ziehen, wenn sie Spaß daran hat. Kommt eh schon nicht mehr drauf an. Worum es vielmehr geht, sind Fragen wie die, was sie und Akteure wie die oben genannten noch unter konservativ verstehen. Oder was es mit dem politischen Diskurs macht, wenn sie und Akteure wie die oben genannten rechte Rhetorik und Kulturkampf-Narrative 1 : 1 übernehmen. Oder wie war das mit dieser 'Brandmauer'?

Wird ja wohl noch fragen dürfen.





2 Kommentare :

  1. Und ich fordere, Carsten Linnemann einzufrieren und, damit er nicht so allein ist, die Frau Ruhs gleich mit. Auftauen bitte erst, wenn Deutschland endlich kommunistisch ist. Könnte also noch ein bisschen dauern.

    AntwortenLöschen
  2. Pardon, das mit dem Kommunismus in Deutschland nehm ich zurück, das wird nie was werden, auch wenn der kluge Herr Reimann möglicherweise mal gehofft hat, dass es doch was wird. Aber vielleicht könnte man als Auftautag den wählen, an dem das Verbot der Verblödung des Menschen durch den Menschen ins Grundgesetz aufgenommen wird?

    AntwortenLöschen

Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.