Ob ein Buch ein Erfolg wird, hängt von vielen Faktoren ab. Einer davon ist meist die handwerkliche Qualität. Zufälle spielen oft eine Rolle. Marketing auch. Sicher muss ein Buch irgendwie in die Zeit passen, einen Nerv treffen. Tut es das nicht, muss ein Verlag bereit sein, ins Risiko zu gehen und einen Stoff zu bringen, der gerade als wenig erfolgversprechend gilt, überall abgelehnt wird, aber Potenzial hat. Beim Carlsen Verlag etwa hat 1997 der frisch gebackene Verleger Claus Humann bei den Arbeiten einer gewissen Joanne K. Rowling zugegriffen. Außer ihm war nur eine Lektorin der Meinung, aus den Geschichten um den englischen Zauberlehrling könnte auch in Deutschland was werden.
Zur Zeit sind die Bücher von Caroline Wahl oben in den Bestsellerlisten. '22 Bahnen', ihr bislang größter Erfolg, ist verfilmt worden und gerade in die Kinos gekommen. Zwar habe ich (noch) keines ihrer Bücher gelesen, aber die öden, oberflächlichen Debatten darum offenbaren die ganze geistige Armut identitätspolitischen Denkens und die Geistlosigkeit großer Teile des literarischen Diskurses. Frau Wahl, die mit ihren Büchern, die man mögen kann oder nicht, bereits sehr viel Geld verdient hat, beging nämlich einen furchtbaren Fehler: Sie räumte in einem Interview offen ein, ihre finanziellen Mittel auch genießen zu wollen und eine Vorliebe für teure Sportwagen zu hegen. Das gab einen veritablen Shitstorm.
Wikipedia zufolge ist Wahl Tochter eines Chirurgen und einer Lehrerin, man kann ihren Background also getrost als bürgerlich bezeichnen, wenn man das wichtig findet. Nun siedeln ihre Bücher aber teils in Milieus, die gemeinhin als prekär bezeichnet werden. In '22 Bahnen' etwa geht es um eine Studentin, die mit ihrer alkoholkranken Mutter und ihrer zehnjährigen Schwester lebt und oft die Aufgaben der Mutter übernehmen muss. Wie kann diese Neureiche, heißt es nun, es wagen, über Armut zu schreiben? Sich schamlos am fiktionalen Schilderungen des Prekariats zu bereichern, derweil sie selbst im Luxus schwelgt? Erfolg haben mit so was darf demnach nur, wer selbst arm wie eine Kirchenmaus ist, am 15. nicht mehr weiß, wie es bis zum 30. des Monats finanziell weitergehen soll.
Man könnte auch fragen, warum der junge Goethe sich einst nicht selbst eine Kugel durch den Kopf gejagt hat, damit der 'Werther' so richtig glaubwürdig knallt. Oder ob Émile Zola und Victor Hugo, die auch bürgerlichen Verhältnissen entstammten und Armut nicht selbst erlebt hatten, überhaupt berechtigt waren, Romane wie Germinal und Les Misérables zu schreiben. Macht die soziale Herkunft der Autoren diese Bücher weniger relevant? Mit dem gleichen Recht könnte man allen privilegierten Schnatzen oberhalb einer gewissen Gehaltsklasse, die sich jetzt über Caroline Wahl ereifern, den Mund verbieten, da sie schließlich auch nicht arm sind. Zumal man erwähnen sollte, dass das Geld, das Wahl eingenommen hat, ziemlich 'ehrlich' verdient ist. Es gibt deutlich windigere, inhumanere und unseriösere Geschäftsmodelle als Bücher zu verkaufen.
Dass nur irgendwie 'Betroffene' sich zu bestimmten Dingen äußern dürfen, wird zwar gern gefordert, zeugt aber bloß von Banausentum und völliger Unkenntnis darüber, was Literatur leisten kann. Ist mindestens genauso doof wie das mit der 'kulturellen Aneignung'. Aber sehr beliebt, weil die damit verbundenen intellektuellen Mühen höchst überschaubar sind. Dass das mitunter groteske Blüten treibt, scheint nicht weiter wichtig. Etwa wie der Übersetzerin des Gedichts The Hill We Climb von Amanda Gorman, das diese bei der Amtseinführung Joe Bidens vorgetragen hatte, ein Stab von Politkommissarinnen an die Seite gestellt werden musste, auf dass auch alle erdenklichen Empfindlichkeiten berücksichtigt wurden.
Selbstverständlich ist es legitim, eine Autorin für Handwerkliches wie holprige Dialoge, Erzählstrukturen oder ihre Wahl von Sujet, Setting und Figuren etc. zu kritisieren. Wenig Anregenderes kann es geben, als einen grandios geschriebenen sprachlich virtuosen, stringenten Verriss nach allen Regeln der Kunst. Gewiss kann einem eine Autorin auch von Herzen unsympathisch sien. Aber ihr vorwerfen, mit der Schilderung von Armut Geld zu verdienen? Wäre es da nicht die viel interessantere Frage, was der Erfolg gerade eines solchen Buches über diese Gesellschaft aussagt? Weil Literatur, wie alle Kunst, immer in einem Kontext und nie im luftleeren Raum stattfindet. Da ist es ist natürlich viel bequemer, die Autorin persönlich anzugehen.
Es ist über die Maßen deprimierend, dass es in diesen geistig maximal armen Diskursen kaum mehr um das geht, was Literatur oder das Beschäftigen damit irgendwie spannend, erhellend oder bedeutend macht. Nicht um Sprache, um literarische Mittel, um die Komposition eines Romans, oder auch um die politische Relevanz des Stoffes, sondern nur mehr darum, ob ein Buch 'einen mitnimmt' und ob die Autorin sich ein teures Auto kaufen darf. Die schlichte Erkenntnis, dass sich auch aus schlechten Büchern mitunter viel lernen lässt, scheint schon zu viel der Dialektik. Als Gipfel solcher Deppenhermeneutik wird vielleicht noch in den Biographien von Autor:innen herumgeforkelt, ob sich in ihren Arbeiten eventuell 'autobiographische Züge' finden lassen, mit denen sich dann dicke tun lässt.
Nicht minder albern gehen allerdings auch einige Verteidiger:innen Wahls zu Werke: Der Schittsturm sei nur ein weiteres Indiz dafür, dass mächtige Frauen Männern Angst machten. Äh, wie bitte? Frage eins: Gibt es Belege, dass die Abwehrphalanx gehen Frau Wahl mehrheitlich männlich ist? Frage zwei: Inwieweit ist sie eine "mächtige" Frau? Sie hat durch ihre Arbeit ordentlich Geld zum Verjuxen eingenommen, gewiss. Aber wo hat sie reale Macht? Also politische Macht? Sie mag inzwischen ein gewisses Standing im Literaturbetrieb haben, ihr Wort Gewicht haben, ihre Stimme gehört werden, sie kann vielleicht, wenn sie mag, Talente fördern. Das ist nicht nichts, ansonsten aber hat sie kaum mehr Macht als ein Lottogewinner, der dank Jackpot von einem Tag auf den anderen nicht mehr auf einen Arbeitgeber angewiesen ist.
Zwar ist politische Macht ohne Geld nicht denkbar, aber es ist ein Missverständnis, dass mehr Geld zu haben als der Durchschnitt, automatisch Macht bedeutet. Zahlreich die Beispiele ausgebooteter Firmenerben, die, von den Familien für geschäftlich untauglich befunden und mit großzügigen Zahlungen abgespeist, ein Leben als gelangweilte, machtlose Tunichtgute mit teuren Hobbys führ(t)en. Macht kommt immer noch aus der Kontrolle über die Produktionsmittel und die Läufe möglichst vieler Gewehre, alles andere ist Pillepalle. Das wusste nicht nur Marx, das wussten schon die alten Römer. Und es gab Zeiten, in denen Feministinnen das noch bekannt war.
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