Zwei Mark Taschengeld pro Woche bekam ich als Grundschulkind in den Siebzigern. Das reichte für ein Micky Maus-Heft für 1,50 DM und ein paar Salinos oder Colaflaschen von der Bude. Ein YPS-Heft hingegen kostete happige 2,50 DM. Zu viel. Oft half Oma aus mit zwei Mark extra oder so. Was nicht nur sehr lieb von ihr war, sondern mich auch in die Lage versetzte, mich für den endlosen Fußweg von der Schule nach Hause, der wohl einen Kilometer lang gewesen sein mochte -- wir waren noch nicht solche Schneeflöckchen damals! --, wenigstens hin und wieder an der Bude zu verproviantieren. Irgendwann verdoppelte sich, warum genau, weiß ich nicht mehr, mein wöchentlicher Taschengeldetat auf vier Mark und das Problem war gelöst. Micky Maus und YPS! Wenn ich auf Süßes verzichtete.
Nun gab es mit YPS neben dem schier astronomischen Kaufpreis noch ein kleines Problem: Eines Tages schlug ich bei meinem Sandkastenfreund E. auf, dessen Eltern Spätaussiedler aus Polen waren. Als seine Mutter des YPS-Heftes unter meinem Arm gewahr wurde, meinte sie, sie habe E. das jetzt verboten, denn das sei ein kommunistisches Propagandapamphlet, mit dem der Kreml und vermutlich auch Honecker unschuldige Kinderseelen zu vergiften trachteten. Comics waren also nicht mehr nur 'Ami-Schund', wie konservatives Bildungsbürgertum und antiamerikanische Linke unisono zu barmen pflegten, sondern auch Kommunistenkram? Wer sollte sich da noch auskennen? Ich ward irritiert.
Altersbedingt wusste ich nicht, dass das zwar ausgemachter Quatsch war, aber durchaus einen wahren Kern hatte. Die Idee, einem Comic-Heft für Kinder etwas zum Spielen beizulegen, ein 'Gimmick' eben, kam aus Frankreich von der Zeitschrift 'Pif gadget'. Und die war tatsächlich während des zweiten Weltkriegs mal von der Kommunistischen Partei Frankreichs konzipiert worden, trug aber später nur noch den Namen weiter.
Hauptattraktion waren sicher die Gimmicks. Die Schrecken vieler Eltern. Weil sie die Kinderzimmer YPS lesender Kinder mit Tüdelkram zumüllten, wie sie fanden. Etliches war tatsächlich echter Schrott, einiges aber auch genial. In die Schrott-Kategorie fielen zum Beispiel der Solar-Zeppelin, der nie funktionierte, weil die Sommer damals so verregnet waren, oder das Überlebens-Zelt, das nichts Anderes war als ein am Boden aufgeschnittener Müllsack. Dann gab es mal ein Teleskop zum Zusammenbasteln. Das war in optischer Hinsicht zwar eine Katastrophe, ebenso wie das Sternen-Teleskop, aber man lernte als Kind schon lange vor der ersten Physikstunde, wie so was funktioniert. Auch weil im Innenteil auch immer gut geschriebene Hintergrundtexte standen. Bis heute merke ich mir den Unterschied zwischen konvex und konkav damit, dass man in eine konKAVe Linse KAFFee schütten kann. Wenn man denn mag.
In die Kategorie 'genial' fiel zweifellos die Eierpresse. Nein, nicht was Sie jetzt denken. Es handelte sich dabei um ein viereckiges Kästchen, in das man ein frisch gekochtes, noch heißes hartes Ei gab, einen Pressstempel herunterdrückte und arretierte und das dann für einige Stunden in den Kühlschrank stellte. Danach hatte man ein würfelförmiges Ei. Das war so originell und neu, dass auch viele Erwachsene ganz weg waren davon und gleich mehrere Hefte kauften. Für die nächste Party. Um den staunenden Gästen auf dem kalten Buffet ausreichend Quadrateier kredenzen zu können.
Dann waren da noch die Solala-Gimmicks. Zum Beispiel plumpes Product Placement der Firma Play Bic, die sich als Konkurrenz zu Playmobil etablieren wollte. Oder die legendären Urzeit-Krebse. Das war nichts anders als verkapselte Eier von Salinenkrebsen (Artemia Salina), wie sie von einem US-Unternehmen unter dem Markennamen 'Sea Monkeys' schon zuvor angeboten worden waren. Die Eier gab man in ein Glas mit Salzwasser. Ein paar Tage später schlüpften die Miniwesen und es begann zu wuseln. In der nächsten Ausgabe gab es ein Tütchen mit Futter. Wenn das alle war? Meiner Zucht ging es wohl wie vielen. Die Kloschüssel und letztlich die Kläranlage waren ihr Schicksal. Friede ihrem Angedenken.
Warum ich das alles erzähle? Morgen erscheint eine Jubiläumsausgabe von YPS, eingedenk dessen ersten Erscheinens vor 50 Jahren. Und da bietet es sich an, nicht nur nostalgisch an die Gimmicks zu erinnern, die für viele sicher der wesentliche Kaufanreiz waren.
Oft unerwähnt bleiben bei der ganzen Gimmick-Nostalgie nämlich die Verdienste von YPS für die Entstehung einer eigenständigen deutschen Comicszene, die in den Siebzigern quasi nicht existierte (abgesehen von der teils hoch diskutablen Arbeit Rolf Kaukas). Die grandiosen Disney-Übersetzungen einer Erika Fuchs und die nicht minder hervorragenden Asterix-Übersetzungen von Gudrun Penndorf waren zwar in literarischer Hinsicht bedeutend, doch basierten sie eben auf Importware. Als erster Versuch, andere europäische, dann auch deutsche Comics bekannter zu machen und sie aus der miefdeutschen Ecke des 'Ami-Schunds' herauszuholen, war das seit 1972 erscheinende Magazin ZACK.
Auch YPS setzte nicht nur größtenteils auf Europäisches ('Pif', 'Percy Pickwick'), sondern bot auch deutschen Zeichnern und Autoren wie Heinz Körner und Peter Wiechmann (1935-2020) Raum. Körner zeichnete alle 1.235 Folgen der Serie 'Yinni & Yan', die vom ersten bis zum letzten Heft kontinuierlich erschien. Auch wenn das hinterher meist in liebloses Gekritzel ausartete, bleibt das ein in Deutschland wohl unerreichtes Output. Wiechmann heuerte für sein Studio Comicon spanische Zeichner an, die in den Siebzigern während der Franco-Ära professionell ausgebildet wurden und deren Honorare wegen der schwachen Peseta günstig waren. Seine Versuche, auch dunkle Seiten der deutschen Geschichte wie den Dreißigjährigen Krieg im Medium Comic zu verarbeiten, waren echte Pioniertaten. Dass Druckqualität, Lettering und Colorierung gemessen an heutigen Standards unter aller Kanone waren, auch wegen technischer und finanzieller Grenzen, störte uns damals nicht.
YPS-Leserkarrieren waren zeitlich befristet. Wer ab einem gewissen Alter mit einen Gimmick wie dem 'schießenden Agenten-Wörterbuch' in der Schule gesichtet wurde, outete sich als infantiler Pubertätsverweigerer. So lief es auch bei mir. Ich verkaufte meine Bestände (Sammlung konnte man das nicht nennen) bald zum Kilopreis auf einem Gemeindebasar. Dass immer neue Lesergenerationen antraten, hatte für die Redaktion natürlich den Vorteil, dass man irgendwann keine neuen Gimmick-Ideen mehr brauchte, sondern einfach alles im Abstand von etwa vier Jahren recyceln konnte. 2000 schließlich war endgültig Schluss. Die Konkurrenz war zu stark geworden und alles schrillbunte Anbiedern an wechselnde Moden hatte nichts geholfen.
Und, werde ich mir ein Jubliäums-Heft kaufen? (Mir fiel schon damals auf, dass die YPS-Redaktion ein Faible für den Bindestrich hatte.) Nun, mal sehen, wenn mir eines in die Finger gerät, vielleicht. Muss aber nicht. Das mit dem 'Forever Kult' schreckt schon ein wenig ab. Und natürlich der astronomische Preis.
Keine Kommentare :
Kommentar veröffentlichen
Mit dem Absenden eines Kommentars stimmen Sie der Speicherung Ihrer Daten zu. Zu statistischen Zwecken und um Missbrauch zu verhindern, speichert diese Webseite Name, E-Mail, Kommentar sowie IP-Adresse und Timestamp des Kommentars. Der Kommentar lässt sich später jederzeit wieder löschen. Näheres dazu ist unter 'Datenschutzerklärung' nachzulesen. Darüber hinaus gelten die Datenschutzbestimmungen von Google LLC.