Nicht immer Kritisches über Politik, Gesellschaft, Medien, Kultur, Essen und manchmal auch Sport
Mittwoch, 4. November 2015
Jaja, die Unterschicht
Mehr Koinzidenz geht kaum: Erst Burkhard Schröders schönen Artikel, dann den nicht minder schönen, von ihm zitierten Artikel Britta Steinwachsens gelesen, nachmittags dann beim Friseur warten müssen und insgesamt eine knappe Stunde vom RTL-Nachmittagstrash vollgemüllt worden. 'Mitten im Leben'. 'Familien im Brennpunkt'. 'Betrugsfälle'. Mit Laiendarstellern besetzte, holprig inszenierte, ordinäre Brüll- und Anpöbelhöllen. Such dir nen Job, du faule Sau! Ey, isch hab nen neuen klargemacht. Na warte, du Schlampe! Darum bitten, dass das abgeschaltet oder wenigstens leiser gemacht wird? Keine Chance. Ich wette, das Gerät kann nur RTL und die Fernbedienung liegt in einem mit Zeitschloss gesicherten Tresor. Nach einigen Minuten ist es mir zum Glück gelungen, Smartphone und Ohrhörern sei Dank, das, was da den berühmten Tick zu laut aus dem Lautsprecher quoll, einigermaßen auszublenden.
Montag, 2. November 2015
Durchlauferhitzte Krähwinkelei
"History does not repeat itself but it rhymes." (Mark Twain)
Es gibt in Deutschland diese Tradition, Staatswesen, demokratisches gar, nicht als gemeinsame Aufgabe aller Bürger zu begreifen, sondern als Obrigkeit, an die man die Verantwortung für die Politik weitgehend abtritt, die man mal machen, von der man sich bereitwillig regieren lässt und sich ansonsten heraushält. Das ist natürlich höchst bequem, denn wenn's mal schief läuft, dann ist man's auch nicht gewesen als Bürger, sondern "die da oben", die "eh machen, was sie wollen". So bin ich mir alles andere als sicher, ob es sich nur um eine Einzelmeinung handelte, wenn etwa meine selige Großmutter zu sagen pflegte, am zweiten Weltkrieg sei ausschließlich und allein "die Politik" schuld gewesen. Es könnte sich als größte, nachhaltig schädliche Folge der Kanzlerschaft Merkels erweisen, dieser Art von Aversion gegen die Politik mit ihrer jegliche Kontroverse erstickenden Art Politik zu machen massig Futter gegeben zu haben.
Samstag, 31. Oktober 2015
Alibikirgisen
Der Geschichtslehrer, den man mir in der Oberstufe zugeteilt hatte, war schon älter und riss sich keine zwei Beine mehr aus für seinen Job. Das wurde ihm aber von den meisten nachgesehen, weil er ein prima Kerl war. Dem konservativen Bürgertum jedoch, aus dem die Mehrheit der Schülerschaft sich rekrutierte, war er ein Dorn im Auge. Er war Ende der Sechziger als Junglehrer einer der ersten gewesen, der es gewagt hatte, ohne Krawatte zum Dienst zu erscheinen und er war wohl einmal von einem Lokalreporter auf einer Veranstaltung der DKP, deren Mitglied er nie war, fotografiert worden. Daher hatte er seinen Ruf als eisenharter Kommunist weg, als fünfte Kolonne Moskaus, der unschuldige Kinderseelen mit seinen gottlosen Lehren zu indoktrinieren trachtete. Als der Mann auch noch Schulleiter wurde, sahen sie endgültig den Untergang des christlichen Abendlandes gekommen. Gab es also damals auch schon, so ein hysterisches Gehuste und es war damals schon Blödsinn.
Dienstag, 27. Oktober 2015
Leben ist lebensgefährlich
... ob mit Wurst oder ohne
Schlechte Nachrichten für Atheisten. Dass Religiösität, Kirchen und traditionelle Frömmigkeit in unseren Breiten tendenziell an Bedeutung verlieren, heißt keineswegs, dass entsprechende Mechanismen und Denkweisen mit ausstürben. Wenn einem dort, wo das Christentum herrschte, früher etwas abgeklemmt werden sollte, das man gern tat oder mochte, dann hieß es, das sei Sünde und man käme in die Hölle, wenn man das nicht schleunigst bleiben ließe. Heute heißt es mit einiger Wahrscheinlichkeit, davon könne man Krebs kriegen.
Samstag, 24. Oktober 2015
Schade, dass er gegangen ist
Wolfgang Lieb, sicher den allermeisten der hier Lesenden und Kommentierenden als Mitherausgeber der NachDenkSeiten bekannt, verlässt diese mit sofortiger Wirkung, wie gestern bekannt gegeben wurde. Seine Erklärung dazu, die freundlicherweise noch veröffentlicht wurde, drückt sehr gut aus, wie auch meine Bauchschmerzen sich anfühlen, die mich angesichts der - freilich großen, diffusen, vielgestaltigen - linken Szene seit einiger Zeit immer öfter und immer stärker befallen. Ich wollte mich schon länger zu einigem äußern, was mir an Teilen des linken Spektrums zunehmend missfällt und auch beunruhigt. Da gärte was, allein, mir fehlte ein wenig der Anlass. Der ist jetzt da. Lieb meint unter anderem:
Dienstag, 20. Oktober 2015
Cocooning ist keine Lösung...
... und Ängste machen dumm. Einige ungeordnete Gedanken zum ersten Geburtstag von 'Pegida'
In den Achtzigern prägten Soziologen den Begriff des 'Cocooning'. Frei übersetzen könnte man das mit 'sich verpuppen/in einen Kokon zurückziehen'. Beschrieben werden soll damit das Phänomen, dass Menschen in unsicheren Zeiten dazu neigen, sich in aus Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit in eine private Komfortzone zurückzuziehen. Es mag ein wenig hinken, dem Terminus vielleicht nicht ganz gerecht werden, aber vieles um das Phänomen Pegida kommt vor wie Cocooning im großen Stil. Deutsche zuerst. Grenzen dicht. Alle ausweisen aus meinem Vorgarten. Die da oben sind böse und jeder, der was anderes behauptet, will mir was.
Montag, 5. Oktober 2015
Glückwunsch nach München
Als fairer Sportsmann muss man dem FC Bayern München gratulieren. Nach gerade acht Spieltagen ist, wenn nicht noch völlig Unvorhergesehenes passiert, die Meisterschaft quasi entschieden, das Rennen um den Titel, so es eines war, vorbei. Den Tabellenzweiten mit einer Klatsche nach Hause geschickt und wenn überraschenderweise doch einmal ein Unentschieden droht, eilt der Schiri zu Hilfe - was soll da noch passieren? Für die Bayern dürfte es im folgenden nur noch um zwei Fragen gehen: a) Mit wie viel Punkten Vorsprung werden wir dieses Mal Meister? b) Holen wir einen, zwei oder drei Titel? Die siebzehn übrigen Vereine der Liga dürfen sich mit Fragen quälen wie: a) Wer wird Zweiter? b) Wer kommt in die europäischen Wettbewerbe? Willkommen in der spannendsten und attraktivsten Liga der Welt.
Mittwoch, 30. September 2015
Ich bin kein Hippie!
Und, merken Sie schon was? Die Stimmung, meine ich, wie sie kippt. "Endlich!", scheint es da bei einigen insgeheim geradezu erleichtert mitzuschwingen. Bei jenen, denen es seit Wochen und Monaten viel zu multikulturell zugeht und die deswegen den ganzen Tag nichts anderes tun als unken und schwarzsehen. Wehe, die Überfremdung! Einwanderung in unsere Sozialsysteme! Von unserem Geld! All die jungen Männer, die bald schon unsere Frauen und Töchter schänden werden, und zwar massenhaft! Es steht schlimm um Deutschland! Gut, kann man alles so sehen, wenn man mag. Diplom-Schwarzseher und staatlich geprüfte Bedenkenträger sind immer irgendwo dabei. Eines aber kann ich ums Verrecken nicht leiden: Diese ewigen Unterstellungen.
Donnerstag, 24. September 2015
Wenn der Klassenprimus schummelt
Die Geschichten sind zahlreich und wir kennen sie alle, nicht wahr? Wenn der Gebrauchtwagenhändler etwa sagt: "Also ich hatte das Modell ja selbst ein paar Jahre lang und bin den normalerweise mit fünfeinhalb Liter gefahren.", dann bedeutet das: Unter klimatischen Idealbedingungen, mit Fahrradbereifung, den Motor ausgekuppelt und bergab bei Rückenwind. Im wirklichen Leben tut gut, wer sich auf einen Verbrauch nicht unter acht, neun Liter einstellt. Mit Fragen wie der, wie viel Kilogramm Spachtelmasse durch das Wort "unfallfrei" semantisch noch abgedeckt sind, wollen wir gar nicht erst anfangen.
Montag, 21. September 2015
Kurzer Altherrenanfall
Wer deutschsprachigen Gangsta-Rap für die Höchststrafe in Puncto ödes Provokationstheater gehalten hat, kennt Schnipo Schranke nicht.
Um der Ehrlichkeit genüge zu tun: Ich bin nur deswegen beim Flanieren im Feuilleton darüber gestolpert, weil es in der Dachzeile durchaus korrekterweise hieß, Pisse sei ja kein besonders schlimmes Wort. Aufmerksamkeit erregt, job done, Schreiberling. Guter Mann! Man hat den Eindruck, als solle das Hamburger Frauenduo Schnipo Schranke, das sich einst an der Frankfurter Musikhochschule kennengelernt hat, als neue Hoffnung des deutschen Jungefrauen-Pop hochgeschrieben werden. Imagemäßig als eine Art böse Schwestern des enorm erfolgreichen Duos Boy. Und, wo wir schon mal beim Lesen sind, was kriegt man denn so geboten auf Schnipos Debutalbum 'Satt'? Jurek Skrobala von SPON hat die beiden interviewt.
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